Ich hatte damals, offen gestanden, viel zu leiden. Das mutige Auftreten der Christen im Zirkus und ihre unmenschliche Bestrafung, die bei unserer durch griechische Bildung verweichlichten Jugend Abscheu erweckte, hatten zur Folge, daß man in gewissen Kreisen, die Neros Beschuldigungen nicht glaubten, heimlich mit den Christen zu fühlen begann. Ich verlor so manchen Freund, den ich für treu gehalten hatte.
Als ein Beispiel dafür, welcher Bosheit und Dummheit der Mensch fähig ist, will ich nur erwähnen, daß man damals allen Ernstes behauptete, ich hätte meinen Stiefbruder Jucundus als Christen angezeigt, weil ich fürchtete, das Erbe nach meinem Vater mit ihm teilen zu müssen. Mein Vater habe sich außerdem meines schlechten Rufes wegen von mir losgesagt und absichtlich alles so eingerichtet, daß sein Vermögen an den Staat fiel, damit ich nur ja nichts davon bekäme. Was würden die Leute wohl noch alles erfunden haben, wenn sie gewußt hätten, daß Jucundus mein leiblicher Sohn war, nicht mein Stiefbruder! So falsch und feindselig sprach man über mich in der guten Gesellschaft. Wie müssen da erst die Christen über mich geredet haben! Ihnen ging ich nach Möglichkeit aus dem Wege, um mich nicht dem Verdacht auszusetzen, mit ihnen gemeinsame Sache zu machen.
Die Allgemeinheit war so gegen mich aufgehetzt, daß ich mich nur mit einem größeren Gefolge auf der Straße zeigen durfte. Nero fühlte sich, nun da er bewiesen hatte; daß er notfalls auch streng sein konnte, sogar bemüßigt, im ganzen Reich die Todesstrafe abzuschaffen. Hinfort durfte auch in den Provinzen niemand mehr zum Tode verurteilt werden, und hatte er das schlimmste Verbrechen begangen. An die Stelle der Todesstrafe trat die Zwangsarbeit, und die Verurteilten mußten Rom wiederaufbauen, vor allem Neros neuen Palast – das Goldene Haus, wie er selbst ihn nun öffentlich nannte – und den großen Zirkus.
Die Beweggründe für dieses neue Gesetz waren freilich nicht Güte und Menschlichkeit. Nero war in ernste Geldnöte geraten und brauchte kostenlose Arbeitskräfte für die gröbsten Arbeiten. Der Senat bestätigte das Gesetz, obwohl viele der Väter vor den Folgen der Abschaffung der Todesstrafe warnten und die Befürchtung äußerten, daß die Verbrechen und die allgemeine Gottlosigkeit zunehmen würden.
An der Erbitterung und Unzufriedenheit, die in ganz Rom herrschten, war jedoch nicht nur die Bestrafung der Christen schuld, die vielen nur ein willkommener Anlaß war, ihrem Haß gegen Nero und die Herrschermacht als solche Luft zu machen. Die wahre Ursache war die, daß jetzt erst alle Schichten der Bevölkerung das volle Gewicht der Steuern zu spüren bekamen, die der Wiederaufbau der Stadt und Neros eigene Bauvorhaben mit sich brachten. Auch die Getreidepreise mußten nach den ersten Hilfsmaßnahmen erhöht werden, und sogar die Sklaven mußten feststellen, daß sie immer weniger Brot, Knoblauch und Öl bekamen.
Einem ganzen Weltreich gelang es natürlich, das Goldene Haus zu bauen, und Nero selbst teilte die Arbeit sehr vernünftig auf mehrere Jahre auf, obwohl ihm die Bauarbeiten nicht schnell genug voranschreiten konnten. Er erklärte, fürs erste genügten ihm ein Speisesaal, einige Schlafräume und ein Arkadengang für Repräsentationszwecke. Er konnte jedoch nicht rechnen und war nach Art der Künstler nicht fähig, die Erklärungen der Sachverständigen geduldig genug anzuhören. Er nahm das Geld, wo er es gerade bekam, und dachte nicht an die Folgen.
Dafür trat er bei mehreren öffentlichen Theatervorstellungen als Sänger und Schauspieler auf und meinte in seiner Eitelkeit, seine glänzende Stimme und das Vergnügen, ihn in verschiedenen Rollen auftreten zu sehen, würden die Menschen ihre eigenen geringfügigen Opfer und Nöte vergessen machen, die doch, verglichen mit der großen Kunst, ein reines Nichts waren. Darin irrte er gründlich.
Viele unmusikalische Senatoren und Ritter begannen diese Vorstellungen als eine unerträgliche Plage zu betrachten, der man noch dazu nicht so leicht entrinnen konnte, weil Nero auf Wunsch gern bereit war, bis in die späte Nacht hinein zu singen und zu spielen.
Unter Vorspiegelung aller erdenklichen Gründe, und selbstverständlich auch, weil ich auf Dein Wohl bedacht war, bewog ich Claudia dazu, beinahe drei Monate in dem so gesunden Caere zuzubringen. Ihre bitteren Briefe las ich nur flüchtig, um mich nicht ärgern zu müssen, und ich antwortete ihr immer wieder, daß ich sie und Dich nach Rom zurückholen wolle, sobald es mir meine vielen Pflichten gestatteten und ich es im Hinblick auf eure Sicherheit glaubte verantworten zu können.
Die Christen wurden allerdings nach der Vorstellung im Zirkus kaum noch oder gar nicht mehr verfolgt, sofern sie sich nicht durch ihr Benehmen einen Platz in einem der Steinbrüche einhandelten. Im großen ganzen waren sie jedoch durch die Massenhinrichtung so eingeschüchtert, daß sie sich still verhielten.
Sobald sie an ihren unterirdischen Versammlungsorten zusammentrafen, gab es Streit und bittere Vorwürfe. Sie fragten sich gegenseitig, warum so viele angezeigt worden seien und warum die Anhänger des Paulus die des Kephas verraten hätten und umgekehrt. Auf diese Weise nahm die Zwietracht unter ihnen zu, und sie bildeten immer mehr geheime Gesellschaften. Die Stilleren verzweifelten darüber, daß sie nicht mehr wußten, wie sie Christus am besten folgen sollten. Sie trennten sich von den Eiferern und schlossen sich in ihrer Einsamkeit ein.
Claudia kehrte schließlich aus eigenem Antrieb nach Rom zurück und brachte alle ihre christlichen Diener mit, dazu die Flüchtlinge, denen ich, unter der Bedingung, daß sie ein wenig arbeiteten, auf den Gütern eine Freistatt gewährt hatte. Ich eilte ihr mit einem Freudenruf entgegen. Sie aber wollte mir anfangs nicht einmal meinen Sohn zeigen, sondern befahl der Amme, Dich ins Haus zu tragen und vor meinen bösen Blicken zu verbergen.
Dann bat sie ihre Begleiter, das Haus zu umstellen, so daß ich nicht entkommen konnte. Ich mußte gestehen, daß ich mich an meinen Schutzgenius wandte und einen Augenblick für mein Leben fürchtete, denn ich erinnerte mich, daß Deine Mutter eine leibliche Tochter des Claudius ist und dessen Grausamkeit und Launenhaftigkeit geerbt hat.
Nachdem sie sich jedoch im Haus umgesehen hatte, benahm sich Claudia recht vernünftig und sagte, sie habe ein ernstes Wort mit mir zu reden. Ich versicherte ihr, daß ich selbst nichts Besseres wünschte, sofern nur erst alle Gefäße und frei umherliegenden Dolche – lauter Andenken, die sich im Laufe der Jahre angesammelt hatten – aus dem Zimmer geschafft worden wären.
Claudia hieß mich einen Verbrecher, einen gemeinen Mörder mit blutigen Händen, und behauptete, das Blut meines Adoptivbruders schreie zum Himmel und klage mich an vor Gott. Zuletzt sagte sie, ich hätte mir durch meine Mordlust den Zorn ihres Jesus von Nazareth zugezogen.
Ich war im Grunde erleichtert, weil sie offenbar nicht wußte, daß Jucundus mein Sohn war. In derlei Dingen sind Frauen sonst so scharfsichtig. Was mich kränkte, war, daß sie mir vorwarf, Tante Laelia habe meinetwegen Selbstmord begangen. Ich erwiderte ihr jedoch, daß ich bereit sei, ihr ihre bösen Worte zu verzeihen, und bat sie, doch einmal Kephas zu fragen, was alles ich getan hatte, um den Christen zu helfen und ihn selbst aus den Klauen des Tigellinus zu retten.
»Glaube nicht nur Prisca und Aquila und einigen anderen, die ich nicht nennen will«, bat ich. »Ich weiß, daß sie der Partei des Paulus angehören, dem ich übrigens auch geholfen habe, als er vor Gericht stand, und wenn man zur Zeit nicht einmal in Iberien nach ihm forscht, weil Nero nichts mehr von den Christen hören will, so ist das zum Teil gleichfalls mir zu verdanken.«
»Ich glaube, wem ich will«, gab Claudia zornig zur Antwort. »Du willst dich nur herausreden. Ich weiß nicht, wie ich mit einem Mann wie dir zusammenleben soll, dessen Hände rot sind vom Blut der Glaubenszeugen. Nichts bereue ich mehr, als daß du der Vater meines Sohnes bist.« Ich hielt es für das beste, sie nicht daran zu erinnern, daß sie selbst aus freiem Willen zu mir ins Bett gekrochen war und daß ich sie auf ihre eigenen inständigen Bitten hin zu einer ehrlichen Frau gemacht hatte, indem ich heimlich mit ihr die Ehe einging. Zum Glück waren die geheimen Urkunden, die wir bei den Vestalinnen hinterlegt hatten, durch den Brand zerstört worden, und auch das Staatsarchiv war niedergebrannt, so daß ich die Entdeckung meiner Ehe nicht ernst zu fürchten brauchte. Ich war daher vernünftig und schwieg, da ich den Worten Deiner Mutter entnehmen konnte, daß sie zu verhandeln bereit war.
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