Als Nero, noch immer volkstümlich in die Tracht eines Wagenlenkers gekleidet, mit seinem Gespann die von menschlichen Fackeln gesäumten Wege entlangfuhr, wurde er nicht mit dem Beifall begrüßt, den er, erwartet hatte. Im Gegenteil, er stieß überall auf verdrossenes Schweigen und sah zu seinem Kummer mehrere Senatoren zur Stadt zurückkehren.
Er stieg vom Wagen, um mit dem Volk zu sprechen und einigen die Hand zu drücken, aber niemand mochte über seine Scherze lachen. Als er Petronius zurückzuhalten versuchte, gab ihm dieser zur Antwort, er habe um der Freundschaft willen eine langweilige Vorstellung durchgestanden, aber was sein Magen zu vertragen imstande sei, habe seine Grenzen. Er verspüre kein Verlangen, den besten Braten der Welt zu kosten, wenn dieser mit dem süßlichen Geruch von Menschenfleisch gewürzt sei.
Nero biß sich auf die Lippen. In seiner Wagenlenkertracht glich er einem grobschlächtigen, verschwitzten Ringkämpfer. Er sah ein, daß er sich etwas einfallen lassen mußte, um das Volk zu erheitern und die Geschmacklosigkeit, die Tigellinus begangen hatte, vergessen zu machen. Zu allem Überfluß begannen nun halb verbrannte Menschen von den Pfählen zu stürzen, da die Stricke durchgebrannt waren. Andere rissen in ihrem Schmerz ihre festgenagelten Hände los und rannten brennend mitten unter die Menschen.
Diese vor Schmerzen brüllenden, kriechenden und sich auf dem Boden wälzenden Gestalten, die kaum noch Menschliches an sich hatten, erregten nur Entsetzen und Abscheu. Nero befahl wutentbrannt, sie und die anderen, die an ihren Pfählen schrien und das kunstvolle Spiel seines Orchesters störten, unverzüglich zu töten.
Dann ließ er allen Weihrauch verbrennen, dessen man habhaft werden konnte, und im ganzen Park die Duftwässer ausspritzen, die ursprünglich für seine Festgäste bestimmt gewesen waren. Was diese Verschwendung kostete, mag sich jeder selbst ausmalen, und ich schweige von den vielen unbrauchbar gewordenen Eisenketten.
Mich hielten um diese Zeit meine Pflichten noch im Zirkus zurück. Ich nahm in aller Eile die Glückwünsche der angeseheneren Zuschauer zu der gelungenen Vorstellung entgegen und stieg dann in die Arena nieder, um mich zu vergewissern, daß die Scharfrichter mit ihren Keulen ihr Werk ordentlich verrichteten, vor allem aber, um zu holen, was von Jucundus und Barbus noch übrig war.
Ich fand sie leicht, aber zu meiner Verwunderung setzte sich plötzlich mitten unter den zerfleischten Leichen ein junger Christ auf. Er hielt sich den Kopf mit den Händen, war aber völlig unversehrt. Als er das Blut abwischte, das über ihn hin geronnen war, zeigte es sich, daß er weder einen Biß noch einen Prankenhieb noch einen Huftritt abbekommen hatte. Er starrte betäubt zum Abendstern empor und fragte, ob er im Paradiese sei. Dann erklärte er mir, er habe sich in den Sand geworfen, um die Tiere nicht durch ohnehin vergeblichen Widerstand zu reizen. Ich wunderte mich nicht, daß er mit dem Leben davongekommen war, denn im allgemeinen rühren weder Löwen noch wilde Stiere einen Menschen an, der sich totstellt, und so mancher Tierfänger hat auf diese Art schon sein Leben gerettet.
Ich betrachtete die Rettung dieses jungen Mannes als ein Zeichen und legte ihm meinen Mantel um die Schultern, um ihn vor dem Keulenhieb der fluchenden Scharfrichter zu bewahren. Und ich erhielt meinen Lohn dafür, denn er konnte mir genau berichten, was Jucundus und Barbus getan und worüber sie unter den anderen Gefangenen leise gesprochen hatten. Man hatte die Christen so eng zusammengepfercht, daß keiner sitzen konnte, und der junge Mann war zufällig unmittelbar neben Jucundus gestanden. Zudem war Barbus auf seine alten Tage ein wenig taub geworden und hatte deshalb Jucundus bitten müssen, lauter zu sprechen, als dieser flüsternd von der dummen Verschwörung der Knaben zu berichten begann.
Der junge Christ, der gehofft hatte, sich schon an diesem Abend mit seinen Glaubensbrüdern im Paradiese zu befinden, betrachtete seine Rettung als ein Wunder und war überzeugt, daß Christus ihn für eine andere Aufgabe ausersehen hatte. Ich gab ihm neue Kleider und sorgte dafür, daß man ihn unangetastet durch ein Seitentor entweichen ließ.
Er hoffte, Christus werde mich für meine Barmherzigkeit und meine gute Tat segnen, und glaubte, auch ich würde eines Tages den rechten Weg finden. Ich schwieg dazu, um seine Gefühle zu schonen, und fragte ihn nur nebenher nach seinem Namen. Er erzählte mir offenherzig, daß er zu den Jüngern des Paulus gehört und bei der Taufe den Namen Clemens erhalten habe. Dieses erstaunliche Zusammentreffen machte es mir leichter, Claudias Laune nachzugeben und meinen Sohn wenigstens fürs erste Clemens zu nennen.
Der junge Christ mißdeutete meine Verwunderung und gestand, er verdiene diesen Namen eigentlich nicht, denn er sei nicht milde, sondern müsse sich unaufhörlich in der Demut üben, um seinen Zorn zu bemeistern. Eben deshalb habe er sich in den Sand geworfen und Böses nicht mit Bösem erwidern wollen. Dann segnete er mich noch einmal für meine Güte und begab sich auf dem von menschlichen Fackeln erhellten Weg zurück nach Rom. Die Gewißheit, daß Christus ihn noch brauchte, tröstete ihn darüber hinweg, daß er nicht den anderen Christen ins Paradies hatte folgen dürfen.
Vor etwa drei Jahren traf ich wieder mit ihm zusammen, als ich von Amts wegen gezwungen war, einen Streit unter den Christen zu schlichten, wobei ich es für richtig hielt, zu Cletus’ Gunsten zu entscheiden. Es ging darum, wer nach Linus den Hirtenstab übernehmen sollte. Ich fand, daß Clemens noch zu jung war, und wenn er sich weiter fleißig in der Demut geübt hat, wird er das wohl auch eingesehen haben.
Eines Tages wird auch er an die Reihe kommen, aber darum brauchst Du Dich nicht zu kümmern, Julius. Die Christen sind politisch bedeutungslos, und es ist noch die Frage, ob ihr Glaube in dem harten Wettstreit mit den anderen aus dem Osten zu uns gekommenen Glaubenslehren wird bestehen können. Verfolge sie aber nie, so sehr Du Dich auch manchmal über sie ärgern magst, sondern lasse sie um Deiner Großmutter Myrina willen in Frieden.
Die Leichen von Jucundus und Barbus ließ ich in Tücher wickeln, und ich war einigen verängstigten Menschen dabei behilflich, ihre Toten zu bergen, sofern sie sie finden konnten. Ich tat es aus Gefälligkeit und nahm die Geschenke, die mir dafür angeboten wurden, nicht an. Die meisten Leichen mußten in ein Massengrab bei der Richtstätte für das gemeine Volk geschafft werden, die zum Glück ganz in der Nähe lag.
Ich konnte also mit gutem Gewissen zu Neros Festmahl eilen und meiner Entrüstung über die Geschmacklosigkeit und Eigenmächtigkeit des Tigellinus Ausdruck verleihen. Da ich voraussah, daß es schwerhalten würde, die gewaltige Zuschauermenge zu speisen, hatte ich meine wilden Stiere in aller Eile abhäuten und ausschlachten lassen, um einen Teil der Gäste auf meine Rechnung mit dem guten Fleisch zu bewirten.
Das Mahl wurde mir jedoch verleidet, denn gleich als erstes bemerkte ich einige Senatoren, die mich eigentümlich musterten oder mir sogar den Rücken wandten, ohne meinen Gruß zu erwidern, und dann dankte mir Nero allzu lustlos und verdrossen für meinen Anteil an der Vorstellung. Erst jetzt erfuhr ich aus seinem Munde von der Verurteilung meines Vaters und Tullias, denn das Auftreten meines Sohnes und meines alten Dieners in der Arena war mir bis dahin trotz der Erzählung des jungen Christen ein Rätsel geblieben. Ich hatte die Absicht gehabt, Nero, wenn er bei passender Laune war, in scharfem Tone zu fragen, wie es möglich war, daß der Adoptivsohn eines Senators mit den Christen zusammen den wilden Tieren ausgesetzt werden konnte.
Nun schilderte mir Nero, wie mein Vater bei der Senatssitzung am frühen Morgen plötzlich irrezureden begann. »Er beleidigte mich vor dem versammelten Senat«, sagte er. »Aber nicht ich habe ihn verurteilt. Seine eigenen Amtsbrüder verurteilten ihn so einhellig, daß nicht einmal eine Abstimmung vonnöten war. Einen Senator kann ja, wie du weißt, nicht einmal der Kaiser verurteilen, ohne zuvor die anderen Senatoren zu hören. Und dann brachte deine Stiefmutter Tullia durch ihr unbeherrschtes Auftreten die ganze leidige Sache, die ich, nicht zuletzt aus Rücksicht auf deinen Ruf, geheimhalten wollte, an die Öffentlichkeit. Der junge Brite, den dein Vater adoptiert hatte, glaubte es ihm schuldig zu sein, sich als Christ zu bekennen. Er wäre sonst nicht in den Zirkus gebracht worden. Aber er war ohnehin lahm und wäre nie ein tauglicher Ritter geworden. Es steht nicht dafür, daß du um ihn trauerst. Außerdem hatte dein Vater, vermutlich in seiner Sinnesverwirrung, die Absicht, dich zu enterben. Du verlierst also nichts, obwohl ich gezwungen bin, sein Vermögen zu beschlagnahmen. Du weißt ja, daß ich Geld brauche, um eines Tages endlich einmal menschenwürdig wohnen zu können.«
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