Ich ging, um den Scheiterhaufen anzuzünden. Während ich Jucundus’ und Barbus’ Asche mit Wein begoß, dachte ich an Lugunda und meine Jugendjahre in Britannien, in denen ich noch so empfindsam, so auf das Gute bedacht und unschuldig gewesen war, daß ich mich erbrechen mußte, als ich meinen ersten Briten erschlagen hatte. Um dieselbe Zeit am frühen Morgen, was ich allerdings erst später erfuhr, kehrte Nero, mit Erde beschmutzt und den weinfeuchten Lorbeerkranz schief auf dem Kopf, auf den Esquilin zurück, um sich schlafen zu legen.
Poppaea, die sich, wie alle Schwangeren, leicht erregte, war wach gelegen und hatte auf ihn gewartet. Sie empfing ihn mit bösen Worten. Nero geriet in seinem benommenem Zustand so in Zorn, daß er sie in den Leib trat, bevor er sich auf sein Bett warf und in den tiefen Schlaf der Trunkenheit versank. Tags darauf erinnerte er sich an nichts mehr, bis er erfuhr, daß Poppaea eine Fehlgeburt gehabt hatte. Es stand sehr schlecht um sie, und die besten Ärzte Roms vermochten ihr nicht zu helfen – von ihren jüdischen Weibern mit ihren Sprüchen und Zauberbinden ganz zu schweigen.
Zu Poppaeas Ehre muß ich sagen, daß sie Nero keine Vorwürfe machte, als sie erkannte, daß ihr Zustand hoffnungslos war. Sie versuchte sogar noch in der Todesstunde ihn zu trösten und seine Gewissensqualen zu lindern, indem sie ihn daran erinnerte, daß sie sich immer gewünscht hatte, zu sterben, ehe ihre Schönheit dahinschwand. So wie sie nun aussah, schön wie eh und je, von Nero geliebt trotz dem unglückseligen Fußtritt – aber dergleichen kann unter Eheleuten vorkommen –, so hoffte sie in Neros Erinnerung bis zu seinem Tode weiterzuleben. Sie sah ein, daß Nero aus politischen Gründen eine neue Ehe eingehen mußte, und sie wünschte nur, daß er nichts überstürze und daß man ihren Leichnam nicht verbrenne. Poppaea wollte nach jüdischem Brauch unverbrannt bestattet werden.
Aus politischen Gründen konnte Nero sie nicht nach jüdischem Ritus bestatten lassen, obwohl er den Jüdinnen erlaubte, sich zur üblichen Totenklage um ihren Leichnam zu versammeln. Er Heß Poppaea jedoch nach orientalischer Sitte einbalsamieren und erlegte, ohne zu feilschen, die Summen, die sie dem Tempel zu Jerusalem und den Synagogen in Rom vermacht hatte.
Dann hielt er auf dem Forum vor dem Senat und dem Volk eine Gedächtnisrede auf Poppaea und weinte selbst vor Rührung, als er sich ihrer Schönheit in allen Einzelheiten erinnerte, von den goldenen Locken bis zu den rosigen Zehennägeln. Ein langer Trauerzug geleitete ihren einbalsamierten Leichnam, der in einem gläsernen Sarg lag, zum Mausoleum des Gottes Augustus. Daran nahmen viele Anstoß, denn Nero hatte nicht einmal seiner Mutter einen Platz im Mausoleum gegönnt, von seiner Gemahlin Octavia ganz zu schweigen. Von den Juden abgesehen, trauerte das Volk nicht um Poppaea. Sie hatte sich zuletzt schon nicht mehr damit begnügt, ihre Pferde mit Silber beschlagen zu lassen. Ihre Maulesel mußten gar goldene Hufbeschläge haben, und sie hatte zudem die Leute mit ihren ewigen Bädern in Eselsmilch gegen sich aufgebracht.
Mich schmerzte es, daß die bezaubernde Poppaea so jung gestorben war. Sie war immer sehr freundlich zu mir gewesen und würde ihre Freundschaft gewiß in meinen Armen bekräftigt haben, wenn ich genug Verstand gehabt hätte, sie kühn darum zu bitten. So über die Maßen keusch, wie ich in meiner ersten, blinden Verliebtheit geglaubt hatte, wird sie nicht gewesen sein, aber darauf war ich erst gekommen, als sie schon Othos Gattin geworden war.
Nachdem ich nun dies alles geschildert habe, muß ich von Deiner Mutter Claudia und ihrem unfreundlichen Betragen mir gegenüber sprechen. Zugleich muß ich von meiner Teilnahme an der Pisonischen Verschwörung und deren Aufdeckung berichten, und das kommt mich vielleicht noch schwerer an.
Ich will jedoch mein Bestes tun, so wie ich ja auch bisher alles ziemlich aufrichtig und ohne mich selbst zu schonen geschildert habe. Du wirst vielleicht einiges über die Schwachheit des Menschen lernen, wenn Du dies liest, mein Sohn Julius. Verachte mich nur, wenn Du willst. Ich werde nie den harten, klaren Blick vergessen, mit dem Du, ein vierzehnjähriger Knabe, mich unlängst mustertest, als Deine Mutter Dich zwang, Deinen verabscheuungswürdig reichen und nicht minder verabscheuungswürdig einfältigen Vater hier in diesem abgelegenen Kurort zu besuchen, wo er Heilung seiner Leiden sucht. Es war ein Blick, der mich frösteln machte, kälter als die eisigsten Winde des Winters. Aber Du bist ja ein Julier, aus göttlichem Geblüt, und ich bin nur ein Minutus Manilianus.
Ich sehnte mich danach, Dich auf meine Knie zu setzen, um Dich öffentlich als meinen Sohn anzuerkennen und Dir den Namen zu geben, um den Claudia gebeten hatte, aber ich hielt es für vernünftiger, zunächst ein wenig Zeit verstreichen zu lassen, damit Deine Mutter sich beruhigen konnte.
Ich hatte es nicht verhindern können, daß sie in Caere alles erfuhr, was in Rom geschehen war, auch daß ich auf Neros Befehl und gegen meinen Willen an der Hinrichtung der Christen mitgewirkt hatte. Zwar hatte ich einige Christen auf meinen Landgütern in Sicherheit gebracht, andere gewarnt und vielleicht sogar Kephas das Leben gerettet, indem ich ihn dem Tigellinus als einen fürchtenswerten Zauberer darstellte, aber ich kannte das heftige Gemüt Claudias und wußte, wie falsch Frauen im allgemeinen die Handlungen ihrer Männer beurteilen, nämlich immer nach ihren weiblichen Vorstellungen und Launen und ohne Rücksicht auf politische und andere Umstände, die nur Männer zu begreifen vermögen. Daher hielt ich es für das beste, Claudia eine Weile über das, was sie gehört hatte, nachdenken zu lassen und ihr Zeit zu geben, sich zu besinnen.
Außerdem hatte ich in Rom so viel zu tun, daß ich nicht sofort nach Caere reisen konnte. Ich mußte den Tierbestand erneuern und die vielen anderen Verluste einbringen, und das nahm alle meine Kräfte in Anspruch. Gleichwohl will ich gestehen, daß ich einen gewissen Abscheu vor dem ganzen Tiergarten zu empfinden begann.
Ein weiterer Umstand, der mich an der Abreise hinderte, war Tante Laelias unerwarteter Selbstmord. Ich versuchte ihn nach bestem Vermögen zu vertuschen, aber er hatte letzten Endes doch zur Folge, daß noch mehr über mich geklatscht wurde als je zuvor. Was für einen Grund Tante Laelia gehabt haben mochte, sich das Leben zu nehmen – sofern sie es nicht im Wahnsinn tat –, ist mir noch heute ein Rätsel. Wahrscheinlich empfand sie in ihrer geistigen Umnachtung die Absetzung und Hinrichtung meines Vaters als eine solche Schmach, daß sie sich verpflichtet fühlte, Selbstmord zu begehen, und wer weiß: vielleicht meinte sie, dies sei auch meine Pflicht, und wollte mir als echte Römerin mit gutem Beispiel vorangehen.
Wie dem auch sei, sie überredete ihre ebenso wirrköpfige Dienerin, ihr die Pulsadern zu öffnen. Da ihr altes Blut nicht einmal in dem heißen Bad rinnen wollte, erstickte sie sich zuletzt mit dem Kohlendunst aus dem Glutbecken, das sie immer in ihrem Zimmer haben mußte, weil sie wie alle alten Menschen ständig fror, und sie hatte immerhin noch so viel Verstand übrigbehalten, daß sie der Dienerin befahl, alle Tür- und Fensterritzen von außen zu verstopfen.
Ich vermißte sie zunächst gar nicht. Erst tags darauf kam die Dienerin und fragte mich, ob man den Raum nicht lüften solle. Ich brachte es nicht über mich, dieses treuergebene alte Weib zu tadeln, das mir da mit zahnlosem Munde vorjammerte, es habe den Befehlen seiner Herrin wohl oder übel gehorchen müssen. Zu sehr erschütterte mich die neue Schande, die über meinen Ruf und Namen gekommen war.
Ich ließ Tante Laelias Leichnam unter allen ihr zukommenden Ehren verbrennen und hielt in kleinem Kreise eine Gedächtnisrede, obwohl ich vor Ärger kaum dazu imstande war. Es war auch nicht leicht, etwas über Tante Laelias Leben und ihre guten Seiten zu sagen. Claudia, die eben erst vom Kindbett aufgestanden war, lud ich nicht zur Gedächtnisfeier, aber ich schrieb ihr, berichtete von dem traurigen Geschehnis und erklärte, warum ich noch in der Stadt bleiben mußte.
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