Ich hielt es für das sicherste, Nero zu erklären, daß mein Vater mir schon vor siebzehn Jahren einen Vorschuß auf mein Erbteil gegeben hatte, damit ich das für einen Ritter erforderliche Vermögen nachweisen konnte. Ich hatte allerdings die Grundstücke auf dem Aventin verkauft, bevor die Häuser vom Brand zerstört wurden. Außerdem hatte ich anfangs große Summen für den Tiergarten von meinem Vater bekommen, aber davon hatte Nero selbst, durch die Vorstellungen im Amphitheater, den größten Nutzen gehabt.
Er antwortete mir edelmütig, er denke nicht daran, Summen zurückzufordern, die ich vor langer Zeit einmal bekommen hatte. Seiner Meinung nach war die Hinterlassenschaft meines Vaters groß genug, daß sowohl für die Staatskasse als auch für seine Bauvorhaben etwas abfiel. Er erlaubte mir sogar, mir aus dem Haus meines Vaters einige Andenken auszuwählen, sobald die Ädilen alles verzeichnet hatten.
Um allen nachträglichen Verdächtigungen zuvorzukommen, bekannte ich, daß mein Vater mir unter anderem einen Becher geschenkt hatte, der mir persönlich sehr teuer war. Nero fragte neugierig nach Einzelheiten, verlor aber alles Interesse, als er erfuhr, daß es sich nur um einen Holzbecher handelte.
Nun wurde mir endlich klar, in welche Gefahr ich durch meinen Vater geraten war, und ich beeilte mich zu erklären, daß ich Nero nicht einen einzigen Sesterz für meine Tiere und die anderen Auslagen in Rechnung stellen wollte. Ich schenkte ihm sogar das Fleisch der wilden Stiere für seine Gäste und schlug ihm vor, er solle den großen Vorrat an Kleidern, der nun im Zirkus lag, sowie die Schmuckstücke und Spangen, die man den Gefangenen abgenommen hatte, auf seine Rechnung verkaufen lassen. Vielleicht konnte er damit einige Säulen der Arkaden bezahlen, die die Gebäude auf dem Palatin und dem Caelius mit dem Goldenen Haus auf dem Esquilin verbinden sollten.
Nero war entzückt und versprach mir, er werde sich meiner Freigebigkeit stets erinnern. Er war erleichtert, weil ich ihm wegen des Todes meines Vaters und meines Stiefbruders – so nannte er Jucundus – keine Vorwürfe machte, und dankte mir nun aus ganzem Herzen für meinen Beitrag zu der Vorstellung. Er gab zu, daß seine Theaterleute kläglich versagt hatten und daß ihm Tigellinus nur Ärger bereitet hatte. Das einzige, was seiner Ansicht nach außer den Tiernummern wirklich gelungen war, war die gewaltige Musik der Wasserorgel und des Orchesters, dem er selbst genaue Anweisungen gegeben hatte.
Ich war der Meinung, daß die lärmende Musik nur die Tiere beunruhigt und das Interesse der Zuschauer von gewissen Höhepunkten der Vorstellung abgelenkt hatte, aber das sagte ich ihm nicht. Da mir selbst alles so gut geglückt war, konnte ich großzügig sein und über die dürftigen Ergebnisse seiner Anstrengungen stillschweigend hinweggehen.
Trotzdem war ich niedergeschlagen, und das Essen schmeckte mir nicht. Sobald ich mich nicht mehr von eifersüchtigen Blicken beobachtet wußte, verrichtete ich ein Trankopfer für meinen Vater und trank einige Becher Wein. Ich sandte meinen Läufer aus mit dem Auftrag, zu erkunden, wo mein Vater hingerichtet worden war, und seinen sowie Tullias Leichnam zu suchen. Sie waren jedoch aus Gründen, die ich schon berichtete, nicht mehr zu finden.
Ich mußte mich damit begnügen, gegen Morgen die Überreste von Jucundus und Barbus auf einem hastig aufgeschichteten Scheiterhaufen zu verbrennen. Barbus hatte es durch seinen langen Dienst und seine Treue verdient, mit meinem Sohn Jucundus den Scheiterhaufen zu teilen. Als ich die letzte Glut mit Wein hatte löschen lassen, sammelte ich eigenhändig ihre Asche in eine Urne.
Die Urne setzte ich später in Caere bei, auf einem Hügel, den ich über der Grabstätte errichten ließ, die mein Vater einst gekauft hatte. Jucundus stammte ja durch meinen Vater von den Etruskern ab, und seine Mutter Lugunda war eine Britin aus vornehmem Geschlecht gewesen. Barbus aber hatte durch seine Treue bis in den Tod inneren Adel bewiesen. Auf dem Deckel ihrer Urne steht ein etruskischer Bronzehahn und kräht ihnen ewiges Leben. Du wirst es eines Tages selbst sehen, Julius, wenn Du mit dem Staub Deines so habgierigen, unwürdigen und verständnislosen Vaters nach Caere kommst.
Ich durfte Nero nicht kränken und mußte bleiben, bis das Fest zu Ende ging, und ich will gern zugeben, daß die kleinen Vorstellungen außerordentlich gelungen waren, die er an verschiedenen beleuchteten Stellen im Park geben ließ: schöne Tänze, Satyrn, die zwischen den Büschen Nymphen jagten, eine Szene mit Apoll und Daphne und anderes mehr, was das Volk belustigte und auch einem wählerischen Publikum leichtfertige Gedanken einzuflößen imstande war. Zu essen gab es reichlich, aber das Fleisch meiner Stiere war dennoch willkommen. Die Springbrunnen füllten die Becken mit Wein, der zuletzt unvermischt war.
Da nun die Brandstifter ihre wohlverdiente Strafe erhalten hatten und alles gesühnt war, hielten die vornehmsten Damen Roms und alle Priesterkollegien gemeinsam ein göttliches Versöhnungsmahl ab, das den Höhepunkt des Gartenfestes bildete. Zu diesem Zweck waren die beiden heiligsten weißen Steinkegel in aller Heimlichkeit aus ihrem Tempel geholt worden.
Sie wurden unter den üblichen Zeremonien in einem beleuchteten Zelt auf ihren heiligen Kissen aufgestellt und von Frauen bekränzt, und dann setzte man ihnen das heilige Mahl vor. Dieses Mysterium ist so uralt und wird so selten begangen, daß nur wenige von den anwesenden Greisen es je mit angesehen hatten. Ich verfolgte es voll Neugier, erinnerte mich, daß die Römer dieses Mysterium von den Etruskern übernommen hatten, und stimmte mit den Senatoren und Rittern fromm in das heilige Lachen ein. Das Volk durfte nicht lachen. Dann wurde der Zeltvorhang vor die Öffnung gezogen, und kurz darauf erlosch plötzlich das Licht, das durch die Zeltleinwand schimmerte, ohne daß jemand daran gerührt hätte. Wir seufzten erleichtert auf, weil die Zeremonie ganz so verlaufen war, wie es die Überlieferung forderte.
Während die Steinkegel oder vielmehr die Götter, deren Sinnbild sie waren, nach dem heiligen Mahl in dem dunklen Zelt zurückblieben, um sich zum Wohle Roms auf ihren heiligen Kissen zu umarmen, veranstaltete Nero nach altem Brauch ein Satyrspiel, damit die Gäste sich von so viel furchtgebietender Heiligkeit erholen konnten, und man kann ihm nur den einen Vorwurf machen, daß er unbedingt selbst mitspielen wollte, weil er glaubte, dadurch die Gunst des Volkes zu gewinnen.
Er ließ sich daher auf offener Szene zu den Klängen einer lästerlichen Musik als Braut kleiden und sein Gesicht mit dem feuerroten Schleier verhüllen. Dann sang er, geschickt eine Frauenstimme nachahmend, die übliche Brautklage. Zum Hochzeitslager wurde er von Pythagoras, einem stattlichen Sklaven im Gewand des Bräutigams, geführt. Eine Göttin kam, um die verängstigte Braut zu trösten und zu beraten. Jammernd ließ Nero den Bräutigam die beiden Knoten des Gürtels lösen, und zuletzt sanken die beiden einander, fast völlig entkleidet, auf dem Bett in die Arme.
Nero ahmte das Wimmern und Klagen einer verschreckten Jungfrau so vollendet nach, daß die Zuschauer vor Lachen brüllten, worauf er plötzlich so wollüstig zu stöhnen begann, daß viele vornehme Damen erröteten und sich die Hände vor die Augen hielten. Die beiden spielten ihre Rolle so geschickt und gut, als hätten sie die Vorstellung im voraus geprobt.
Poppaea allerdings ärgerte sich über diese kunstvolle Vorführung so sehr, daß sie kurz darauf das Fest verließ. Sie war zudem im dritten Monat schwanger und mußte auf ihre Gesundheit achten, und die lange Vorstellung im Zirkus hatte sie ermüdet.
Nero hatte nichts dagegen, daß sie sich entfernte. Im Gegenteil, er nutzte die Gelegenheit, um in den dunklen Winkeln des Parks allerlei lüsterne Spiele zu veranstalten. Auf das Vergnügen des Volkes bedacht, hatte er alle Weiber aus den Hurenhäusern, die der Brand verschont hatte, eingeladen und sie aus seiner eigenen Kasse bezahlt, aber es gab viele vornehme Damen und leichtsinnige Ehemänner und Frauen, die sich im Schutz der Dunkelheit an diesen Spielen beteiligten. Zuletzt raschelte und knackte es in allen Büschen, und man hörte ringsumher die brünstigen Rufe der Betrunkenen und das Kreischen der Weiber.
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