«Das ist er.»
«Mein Name ist John Cornewaille», hatte Sir John gerufen, «und einige von euch wissen, wer ich bin. Und Hook ist mein Mann. Er ist mein Mann! Er steht unter meinem Schutz, ebenso wie dieses Mädchen!»Er hatte seinen freien Arm um Melisandes Schulter gelegt und dann mit der Spitze seines Schwertes auf Sir Martin gedeutet.
«Ihr! Priester! Kommt hierher.»
Sir Martin hatte sich nicht gerührt.
«Ihr könnt herkommen», hatte Sir John gesagt, «oder ich kann kommen und Euch holen.»
Sir Martin, dessen langes Gesicht zuckte, hatte sich von den Feldkämpfern weggeschoben, die schützend vor ihm standen. Er hatte sich umgeblickt, als suchte er nach einem Ort, an den er sich flüchten könnte, doch Sir John hatte ihn angeknurrt, er solle endlich näher kommen, und er hatte gehorcht. «Er ist ein Priester!», hatte Sir John gerufen. «Also ist er der Zeuge des Schwurs, den ich jetzt ablege. Ich schwöre bei diesem Schwert und bei den Gebeinen von Sankt Credan, dass ich, wenn Hook auch nur ein Haar gekrümmt wird, wenn er angegriffen wird, wenn er verletzt wird, wenn er getötet wird, Euch ausfindig machen und töten werde.»
Sir Martin hatte Sir John beäugt, als wäre er eines dieser merkwürdigen Geschöpfe, die auf den Jahrmärkten ausgestellt wurden. Eine fünfbeinige Kuh vielleicht, oder eine Frau mit einem Bart. Dann, immer noch mit verblüffter Miene, hatte der Priester beide Hände gen Himmel erhoben. «Vergib ihm, Herr, vergib ihm!», hatte er gerufen.
«Priester!», hatte Sir John begonnen.
«Ritter!», war er von Sir Martin mit überraschender Lautstärke unterbrochen worden. «Der Teufel reitet das eine Pferd und Christus das andere. Wisst Ihr, was das bedeutet?»
«Ich weiß, was das bedeutet.»Sir John hatte sein Schwert auf die Kehle des Priesters gerichtet. «Es bedeutet, dass jeder von euch furzenden, Ziegen vögelnden Scheißhaufen, der Hook oder seine Frau anrührt, es mit mir zu tun bekommt. Und dann werde ich ihm mit meinen eigenen Händen seine stinkenden Gedärme aus dem dreckigen Arsch ziehen. Ich werde ihn leiden lassen, solange ich kann, und dann werde ich seine verdorbene Seele zur Hölle fahren lassen!»
Stille. Man hatte sogar das Geräusch gehört, mit dem Sir Johns Schwert in die Scheide zurückglitt. Er hatte Sir Martin angestarrt, wollte den Priester zu einer Herausforderung reizen, doch Sir Martin hatte sich wieder einmal in seine Gedanken zurückgezogen. «Lasst uns gehen», hatte Sir John gesagt und, als sie außer Hörweite der Unterstände waren, zu lachen begonnen. «Das ist geklärt.»
«Danke», hatte Melisande mit sichtbarer Erleichterung gesagt.
«Du willst dich bedanken? Ich habe das genossen, Mädchen.»
«Er hat es vermutlich wirklich genossen», hatte Pater Christopher gesagt, als er von der Geschichte hörte, «aber er hätte es noch mehr genossen, wenn einer von ihnen ihn zum Kampf gefordert hätte. Er liebt Zweikämpfe.»
«Wer ist Sankt Credan?», hatte Hook gefragt.
«Er war Sachse», hatte Pater Christopher gesagt, «und als die Normannen kamen, meinten sie, er könne keinesfalls ein Heiliger sein, weil er eben ein sächsischer Landmann wie du war, Hook. Also haben sie seine Gebeine verbrannt, aber die Knochen verwandelten sich in Gold. Sir John mag ihn, ich habe keine Ahnung, warum.»Er runzelte die Stirn. «Er ist nicht von so schlichtem Gemüt, wie er sich gerne darstellt.»
«Er ist ein guter Mensch», sagte Hook.
«Das ist er wahrscheinlich», stimmte Pater Christopher zu, «aber lass ihn das lieber nicht hören.»
«Und Ihr erholt Euch, Pater.»
«Dank sei Gott und deiner Frau, Hook ja, das tue ich.»Der Priester ergriff Melisandes Hand. «Und es wird Zeit, dass ich eine ehrbare Frau aus ihr mache, Hook.»
«Ich bin ehrbar», sagte Melisande.
«Dann ist es Zeit, dass du Master Hook zähmst», sagte Pater Christopher. Melisande sah Hook an, und einen Moment lang verriet ihre Miene nicht das Geringste, doch dann nickte sie. «Vielleicht hat mich Gott deshalb verschont», sagte Pater Christopher, «damit ich euch beide verheirate. Wir sollten es tun, Hook, bevor wir Frankreich wieder verlassen.»
Und es schien so, als müsse das schon bald sein, denn Harfleur war unbesiegt, Englands Armee siechte dahin, und das Jahr verstrich unaufhaltsam. Es war mittlerweile schon September geworden. In ein paar Wochen würde der Herbstregen einsetzen, und dann würde die Kälte kommen, und die Ernte läge sicher hinter Festungsmauern, und damit wäre das Kriegsjahr vorbei. Die Zeit lief ab.
England war in den Krieg gezogen. Und schien zu verlieren.
Am gleichen Abend warf Thomas Evelgold einen großen Sack in Hooks Richtung. Hook zuckte zur Seite weg, weil er dachte, der Sack würde ihn umwerfen, doch er war erstaunlich leicht und rollte ihm bloß über die Schulter. «Werg», sagte Evelgold zur Erklärung.
«Werg?»
«Werg», sagte Evelgold, «für Brandpfeile. Ein Bündel Pfeile für jeden Bogenschützen. Sir John will, dass sie um Mitternacht fertig sind, und wir müssen vor der Morgendämmerung im Graben sein. Belly kocht das Pech für uns.»
Belly war Andrew Belcher, Sir Johns Verwalter, der die Küchenknechte und Packpferde beaufsichtigte. «Hast du schon mal einen Brandpfeil gemacht?», fragte Evelgold.
«Noch nie», gab Hook zu.
«Nimm einen Breitkopf, binde eine Handvoll Werg um die Pfeilspitze, tauche sie in Pech und ziele hoch. Jeder braucht zwei Dutzend.»Evelgold trug auch zu den anderen Gruppen Säcke, während Hook etwas von dem fettigen Werg in die Hand nahm, einfache ungewaschene Rohwolle vom Schaf. Ein Floh sprang aus der Wolle und verschwand in seinem Ärmel.
Er teilte das Werg in siebzehn gleiche Haufen, und jeder seiner siebzehn Bogner teilte seinen Haufen in vierundzwanzig kleinere, ein Klümpchen Wolle für jeden Pfeil. Hook zerschnitt Bogensehnen aus dem Vorrat, seine Männer banden mit den Stücken die schmutzige Wolle an die Pfeilspitzen und tauchten dann der Reihe nach das Werg in Bellys Kessel ins kochende Pech. Dann stellten sie die Pfeile aufrecht an Baumstümpfe oder Fässer, um das klebrige Pech fest werden zu lassen. «Was geschieht morgen früh?», fragte Hook Evelgold.
«Heute Morgen haben uns die Franzosen in den Arsch getreten», sagte Evelgold grimmig, «also sind morgen früh wir dran.»Er zuckte mit den Schultern, als erwarte er davon keinen besonders großen Erfolg. «Hast du heute noch mehr Männer verloren ?»
«Cobbett und Fletch. Matson hält vermutlich auch nicht mehr lange durch.»
Evelgold fluchte. «Gute Leute», sagte er finster, «und wofür sterben sie?»Er spuckte in Richtung eines Lagerfeuers. «Wenn das Pech trocken ist», fuhr er dann fort, «zieht es ein bisschen auseinander. Dann ist es leichter anzuzünden.»
Im Lager ging es die ganze Nacht geschäftig zu. Männer trugen Bündel zum vordersten Graben, der am dichtesten an der Barbakane des Feindes lag. Die Bündel bestanden aus Holzstangen, die mit Seil umwunden waren. Ein Wassergraben schützte die Barbakane und würde gefüllt werden müssen, wenn ihn die Engländer überqueren wollten, um das Vorwerk anzugreifen.
Sir Johns Männern wurde befohlen, in voller Rüstung zu kämpfen. Dreißig Feldkämpfer waren an dem Tag, an dem die glücksverheißenden Schwäne zwischen den Schiffen der Flotte hindurchgeflogen waren, mit ihm von Southampton Water losgesegelt, doch nun waren nur neunzehn zum Kampf bereit. Sechs waren gestorben, und die anderen kotzten, schissen und zitterten. Den gesunden Feldkämpfern halfen Junker und Knappen, die Platten der Rüstung an die gepolsterten Lederwesten zu schnallen, die mit Fett abgewischt worden waren, damit sich das Metall leichter bewegte. Schwertgürtel wurden über Wappenröcken angelegt, wenn auch die meisten Feldkämpfer eine Kampfaxt oder Kurzlanzen bevorzugten. Ein Priester aus Sir William Porters Hausstand nahm Beichten ab und erteilte den Segen. Sir William war Sir Johns engster Freund und auch sein Waffenbruder, was bedeutete, dass sie Seite an Seite kämpften und sich geschworen hatten, einander zu schützen, füreinander das Lösegeld zu sammeln, falls einer von ihnen das Unglück hätte, gefangen genommen zu werden, und die Witwe des anderen zu beschützen, wenn einer von ihnen sterben sollte. Sir William wirkte mit seinem schmalen Gesicht wie ein Gelehrter. Bevor er seinen Helm mit dem schnauzenförmigen Visier aufsetzte, konnte man sein dünner werdendes Haar sehen. Die Rüstung schien gar nicht zu ihm zu passen, er sah aus, als ob seine natürliche Umgebung eine Bibliothek oder vielleicht ein Gerichtssaal sei, doch er war Sir Johns Kriegsgefährte, und das sagte genug aus über seinen Mut. Er rückte seinen Helm zurecht und schob das Visier noch einmal hoch, um Sir Johns Bogenschützen einen Gruß zuzunicken.
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