Die Bogenschützen hatten sich gerüstet und bewaffnet. Die meisten trugen wie Hook über einer gepolsterten Jacke ein Kettenhemd. Sie hatten Helme und manche auch Kettenhauben, die unter dem Helm getragen wurden und bis über die Schultern reichten. Ihr Bogenarm war mit einer Armschiene geschützt, sie waren mit Schwertern gegürtet und mit drei Pfeiltaschen ausgerüstet, von denen zwei die Brandpfeile mit den vorbereiteten Spitzen enthielten. Manche hatten sich zusätzlich für ein Beil entschieden, doch die meisten zogen die Kampfaxt vor. Alle Männer, mochten sie nun Lords, Ritter, Feldkämpfer oder Bogenschützen sein, trugen das rote Sankt-Georgs-Kreuz auf ihren Wappenröcken.
«Gott schütze euch», grüßte Sir William die Bogenschützen, die eine respektvolle Erwiderung murmelten.
«Und der Teufel hole die Franzosen!», rief Sir John, als er aus seinem Zelt kam. Er war in Hochstimmung, die Aussicht auf einen Kampf brachte seine Augen zum Leuchten. «Unsere Aufgabe heute Morgen ist nicht schwer», sagte er wegwerfend. «Wir müssen diesen Bastarden nur die Barbakane abjagen! Am besten erledigen wird das noch vor dem Frühstück!»
Melisande hatte Hook einen Streifen Speck und ein Stück Brot gegeben, das er aß, während Sir Johns Kompanie zu den Belagerungsgräben hinunterging. Es war noch dunkel. Ein lebhafter, kühler Wind aus Osten trug den Geruch der Salzmarsch herüber und vertrieb den süßlichen Gestank der Toten. Die Pfeile klapperten aneinander, während die Bogenschützen dem gewundenen Pfad folgten. Feuer glommen an der Belagerungslinie und auf den Verteidigungsanlagen von Harfleur, wo, wie Hook wusste, die Garnisonsbesatzung gerade die Schäden des Vortages ausbesserte. «Gott segne euch», rief ein Priester, als die Bogenschützen vorbeikamen. «Gott steh euch bei! Gott schütze euch!»
Die Franzosen mussten geahnt haben, dass sich Unheil zusammenbraute, denn sie katapultierten zwei Lichtbälle über die Stadtmauer. Es waren große Kugeln aus Stoff, Zunder und Weidenzweigen, die in Schwefel gewälzt, mit Pech getränkt und dann angezündet worden waren. Sie wirbelten in hohem Bogen funkensprühend durch den Nachthimmel, fielen dann lichterloh brennend herab und brachen beim Auftreffen in gleißender Helligkeit auseinander. Die Flammen spiegelten sich in den Helmen der Engländer und verrieten, dass sie in den Gräben saßen. Also begannen die Armbrustschützen von der Stadtmauer aus zu schießen. Die Bolzen jagten über die Köpfe der Engländer hinweg oder schlugen in die Brustwehr der Gräben ein. Höhnische Rufe wurden von der Stadtmauer aus laut, doch sie klangen halbherzig, als ob auch die Garnisonsbesatzung erschöpft und angespannt wäre.
Im vordersten englischen Graben drängten sich die Männer. Die Bogenschützen mit den Brandpfeilen waren ganz nach vorn befohlen worden, und hinter ihnen warteten weitere Bogenschützen mit den Bündeln aus Holzstangen. Sir John Holland, der Neffe des Königs, führte den Angriff, wenn er auch seinen Stiefvater, Sir John Cornewaille, an der Seite hatte. «Wenn ich den Befehl gebe», sagte der jüngere Sir John, «dann schießen die Bogenschützen ihre Brandpfeile auf die Barbakane. Sie soll brennen!»
Eiserne Kohlenpfannen waren alle paar Schritte am Graben entlang aufgestellt worden. Sie waren mit brennender Seekohle gefüllt, die einen stechenden Rauch verbreitete.
«Überschüttet sie mit Feuerregen!», spornte Sir John Holland die Bogenschützen an. «Räuchert sie aus wie Ratten! Und wenn sie vor lauter Rauch nichts mehr sehen können, werfen wir die Bündel in den Graben, überqueren ihn und nehmen die Barbakane ein!»Es klang alles ganz einfach.
Die übriggebliebenen englischen Kanonen waren mit pechumhüllten Steinen geladen worden, und die holländischen Kanoniere warteten mit glimmenden Ladestöcken darauf, sie abzufeuern. Eine Ewigkeit ließ die Dämmerung auf sich warten. Die Verteidiger wurden es müde, Armbrustbolzen abzuschießen, und auch die Hohnrufe verhallten. Beide Seiten warteten ab. Da ertönte ein Hahnenschrei im Lager, und bald danach zwitscherten die Vögel. Knappen warteten mit zusätzlichen Pfeilbündeln in den Gruben hinter der vordersten Linie, wo Priester die Messe lasen oder die Beichte abnahmen. Die Männer knieten sich nacheinander vor sie, um die Hostie und den Segen Gottes zu empfangen. «Ich spreche dich von deinen Sünden los», murmelte ein Priester Hook zu, der hoffte, dass dies auch stimmte. Er hatte den Mord an Robert Perrill nicht gebeichtet, und als er die Hostie nahm, fragte er sich, ob diese Verheimlichung zu seiner ewigen Verdammnis fuhren würde. Beinahe wäre er mit seiner Schuld herausgeplatzt, doch da winkte der Priester bereits den nächsten Mann zu sich, sodass Hook einfach aufstand und davonging. Die Hostie klebte ihm am Gaumen, und er schickte ein kurzes Stoßgebet zu Sankt Crispinian. Hatte Harfleur auch einen Schutzpatron, fragte sich Hook, und flehte dieser Heilige vielleicht Gott an, die Engländer zu töten? Eine Bewegung in der Menge lenkte Hooks Aufmerksamkeit ab. Der König drängte sich durch die dichten Reihen. Er war in voller Kampfrüstung, nur den Helm hatte er noch nicht aufgesetzt. Über Brust- und Rückenpanzer hing der Wappenrock mit den königlichen Farben, über die das rote Sankt-Georgs-Kreuz lief. Er trug eine Kriegsaxt mit breitem Blatt, und an seinem Gürtel hing ein Schwert in der Scheide. Er hatte keinen Schild, ebenso wenig wie die anderen Ritter oder Feldkämpfer. Ihr Plattenharnisch bot Schutz genug; eisenbeschlagene Schilde waren unpraktisch und ein Überbleibsel aus vergangenen Tagen. Der König nickte den Bogenschützen freundlich zu. «Nehmt die Barbakane ein», sagte er, während er durch den Graben ging, «dann fällt auch die Stadt. Gott steh euch bei.»Er wiederholte diese Sätze ununterbrochen auf seinem Weg den Graben entlang. Sein Gefolge bestand nur aus einem Junker und zwei Feldkämpfern. «Wenn Gott mich dazu ausersehen hat, Frankreich zu regieren, dann wird Er uns schützen! Gott schützt euch! Bleibt an meiner Seite, meine Getreuen, wenn wir uns zurückholen, was nach dem Recht unser ist!»
«Bespannt eure Bögen», sagte Sir John Holland, als der König vorbeigegangen war. «Es wird jetzt nicht mehr lange dauern!»Hook stützte ein Ende seines langen Bogens mit seinem rechten Fuß ab und bog das Holz, sodass er die Sehnenschlinge in die Kerbe am oberen Ende des Bogenschaftes einhängen konnte.
« Schießt mit den Brandpfeilen höher als sonst!», brummte Thomas Evelgold. «Und ihr könnt die Sehne nicht ganz spannen, sonst verbrennt ihr euch die Hand! Denkt daran, hoch schießen! Und passt auf, dass das Pech richtig brennt, bevor ihr die Pfeile abschießt!»
Das Grau der Morgendämmerung wurde langsam heller. Hook, der zwischen zwei Gabionen der angeschlagenen Brustwehr hindurchspähte, sah die großen Schäden an der Barbakane. Die enormen, mit Eisenbändern verstärkten Balken, die eine unüberwindlich scheinende Wand gebildet hatten, waren geborsten und von englischen Kanonensteinen eingedrückt. Der Feind hatte die Lücken mit neuen Balken ausgefüllt, sodass die gesamte Außenseite des Vorwerks nun an einen hässlichen Hügel erinnerte, auf dem altes Holz lagerte. Die Höhe, die anfänglich nahezu vierzig Fuß betragen hatte, war auf die Hälfte geschrumpft. Dennoch war die Barbakane immer noch ein beeindruckendes Hindernis. Die Vorderseite ragte steil empor, der Graben war tief, und auf der abgeflachten Oberseite war Platz für vierzig oder fünfzig Armbrustschützen und Feldkämpfer. Banner mit Heiligen und Wappen hingen an der beschädigten Vorderseite herab. Hin und wieder spähte ein behelmter Kämpfer oben an einem Balken der Brustwehr vorbei, um festzustellen, ob der erwartete Angriff bald kommen würde.
«Ihr fangt mit dem Abschießen eurer Brandpfeile an, wenn die Kanonen feuern!», erinnerte Sir John Cornewaille seine Männer. «Das ist das Zeichen! Schießt stetig, bis ihr keine Brandpfeile mehr habt! Und wenn ihr seht, wie einer von den Bastarden die Feuer ersticken will, dann tötet ihn!»
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