Die Kohlen in der nächsten Kohlenpfanne rutschten in sich zusammen und sandten dabei eine Stichflamme und einen Funkenregen aus. Ein Knappe kauerte neben der eisernen Schale und hielt Späne bereit, die er auf die Kohlen werfen wollte, wenn die pechgetränkten Pfeile angezündet werden sollten. Ein Möwenschwarm kreiste über der Salzmarsch, auf der die Körper der Toten in die Gezeitenkanäle geworfen wurden. Die Möwen der Normandie fraßen sich fett an den englischen Toten. Die Hostie klebte noch immer an Hooks Gaumen.
«Es geht jeden Moment los», sagte Sir William Porter, als ob das eine Beruhigung für die wartenden Männer wäre.
Dann erklang ein kreischendes Geräusch, und als Hook nach links blickte, sah er Männer an der Winde des Kippschirms drehen, der die nächste Kanone schützte. Die Franzosen hatten es ebenfalls bemerkt, und ein Springarden-Bolzen schnellte von der Stadtmauer weg und schlug auf den Schirm. Ein Kanonier zog die Gabione vor der schwarzen Öffnung des Kanonenrohrs weg.
Und dann feuerte die Kanone.
Das Pech, das den Stein umhüllte, hatte durch die Explosion des Schießpulvers Feuer gefangen, sodass der Kanonenstein aussah wie ein Klumpen aus Licht, als er aus dem Rauch herausschnellte, über den aufgewühlten Grund flog und in die Barbakane einschlug.
«Jetzt!», rief Sir John Holland, und der Knappe häufte die Holzspäne auf die Kohlen, sodass helle Flammen aus der Kohlenpfanne schlugen. «Achtet darauf, ,dass sich die Pfeile nicht berühren», wies Evelgold die Bogner an, die die ersten Geschosse in das neuentfachte Feuer hielten. Noch mehr Kanonen wurden abgefeuert. Ein Balken der Barbakane zersplitterte, und Erde rutschte über die steile Vorderseite hinab. Hook wartete, bis seine Pfeilspitze richtig brannte, und legte dann den Pfeil ein. Er fürchtete, dass der Eschenschaft durchbrennen könnte, deshalb spannte er eilig die Sehne, zuckte zusammen, als die Flammen seine linke Hand versengten, zielte weit nach oben und ließ den Pfeil abschnellen. Andere Brandpfeile flogen schon ihn hohen Bögen langsam und schwankend auf die Barbakane zu, Hooks eigener Pfeil sprang von der Sehne und zog einen Funkenschwanz hinter sich her. Dann fiel er vor der Barbakane zu Boden. Andere Pfeile schlugen in die gesplitterten Balken ein. Der Kanonenrauch breitete sich wie ein Vorhang zwischen den Bogenschützen und ihrem Ziel aus.
«Weiterschießen!», rief Sir John Holland.
Hook zog den Lappen, mit dem er seinen Bogen einwachste, aus einem Beutel und umwickelte damit seine linke Hand, um sie vor den Flammen zu schützen. Sein zweiter Pfeil folgte treu seiner Bahn und schlug in einen der Balken ein, mit denen die Barbakane ausgebessert worden war. Flammentropfend flogen die brennenden Geschosse durch das erste Licht des Morgens, und schnell war die Barbakane mit kleinen Feuerzungen übersät. Immer noch gingen neue Pfeile nieder. Hook sah die Verteidiger hinter der behelfsmäßigen Brustwehr und glaubte, sie würden mit Wasser oder Erde versuchen, die Feuer zu löschen. Also nahm er einen Breitkopf und schoss schnell und zielgenau. Dann ließ er seinen letzten Brandpfeil abschnellen und sah, wie sich die Flammen auf der Barbakane ausbreiteten und an hundert Stellen Rauch aufstieg. Eines der Banner brannte, hell loderte das Leinen auf. Er schoss drei weitere Breitköpfe auf die Brustwehr, als einige Schritte den Graben hinunter eine Trompete geblasen wurde. Darauf drängten sich die Männer mit den Holzbündeln an ihm vorbei, stiegen über die Brustwehr und rannten los.
«Ihnen nach!», rief Sir John Holland. «Und weiterschießen!»
Die Bogner und Feldkämpfer stürmten aus dem Graben. Hook schoss jetzt über die Köpfe der Männer vor ihm hinweg. Er zielte auf die Armbrustschützen, die in großer Zahl hinter der Brustwehr auf der rauchumhüllten Barbakane aufgetaucht waren, «Pfeile!», brüllte er, und ein Knappe brachte ihm eine neue Tasche. Er schoss jetzt, ohne zu denken, sandte Ahlspitze um Ahlspitze gegen die Verteidiger, die für ihn kaum mehr waren als Schatten im immer dichter werdenden Rauch. Vom Rand des Wassergrabens klangen Rufe herüber. Dort starben Männer, doch ihre Holzbündel füllten die tiefe Furche.
«Für Harry und Sankt Georg!», rief Sir John Cornewaille. « Standartenträger!»
«Hier!», antwortete ein Junker, dem die Aufgabe anvertraut worden war, Sir Johns Banner zu tragen.
«Vorwärts!»
Die Feldkämpfer brüllten Herausforderungen, während sie mit Sir John über den aufgewühlten Grund vorrückten. Die Bogenschützen kamen direkt hinter ihnen. Immer noch wurde die Trompete geblasen. Die Männer aus anderen Kompanien befanden sich rechts und links von Sir Johns Leuten. Die Bogenschützen, die mit den Holzbündeln zum Wassergraben gelaufen waren, hatten sich nun seitlich zurückgezogen und beschossen die Brustwehr. Mancher Angreifer wurde von einem Armbrustbolzen getroffen. Einer von Sir Johns Männern riss plötzlich den Mund auf, fasste sich an den Bauch und stürzte, ohne einen Ton von sich zu geben, auf die Erde. Einem anderen Feldkämpfer, dem Sohn eines Earls, tropfte das Blut vom Helm, und ein Bolzen ragte aus seinem hochgeklappten Visier. Er stolperte und brach in die Knie. Dann schüttelte er Hooks Hand ab, die dieser ihm zur Hilfe gereicht hatte, und kam, mit dem Bolzenschuss im Gesicht, wieder hoch und stürmte weiter.
«Ruft lauter, ihr Bastarde!», schrie Sir John, und die Angreifer brüllten erneut ihr heiseres «Sankt Georg». «Lauter!»
Eine Kanone ließ eine stinkende Rauchwolke über der Stadtmauer aufsteigen, und ihr Stein raste schräg über die Fläche, auf der die Angreifer vorrückten. Ein Feldkämpfer wurde an der Seite getroffen, wirbelte herum, und Blut spritzte bis weit oben auf seinen Wappenrock. Der Kanonenstein flog weiter, riss einem Knappen den Bauch auf, und immer noch flog der Stein weiter, mit Blut beschmiert, bis er irgendwo über dem Marschland verschwand. Einem Bogenschützen brach der Bogenschaft, als er gerade die Sehne spannte, und er fluchte. «Lasst den Bastarden keine Zeit! Tötet sie!», brüllte Sir John Cornewaille, während er auf die Holzbündel sprang, die nun an einer Stelle den Wassergraben ausfüllten.
Und jetzt hörte das Schreien gar nicht mehr auf, denn die ersten Angreifer gingen tastend über die schwankenden Holzbündel im Wassergraben. Armbrustbolzen zischten auf sie herab, und dann warfen die Verteidiger Steine und Balken von der Brustwehr. Zwei weitere Kanonen feuerten von der Stadtmauer aus. Rauch quoll empor, doch die Kanonensteine schlugen hinter den Angreifern ein, ohne ihnen gefährlich zu werden. In Harfleur wurden Trompeten geblasen, und immer neue Armbrustbolzen sirrten von der Stadtmauer herüber. Solange sich die Angreifer an der Vorderseite der Barbakane befanden, konnten ihnen die Geschosse aus der Stadt nichts anhaben, doch einige Männer versuchten schon, an den teilweise abgerutschten Seiten hinaufzusteigen, direkt vor den Augen der Franzosen.
Hook schoss so lange auf die Männer hinter der Brustwehr der Barbakane, bis er keine Pfeile mehr hatte. Dann sah er sich nach einem Knappen mit Nachschub um, doch es stand keiner in der Nähe. «Horrocks», rief er seinem jüngsten Bogenschützen zu, «schaff mir Pfeile her!»Ein paar Schritte entfernt saß ein verwundeter Bogenschütze, der nicht zu seinen Leuten gehörte, auf dem Boden. Er zog ein paar Pfeile aus der Tasche des Verletzten, legte einen davon über den Bogenschaft und hielt ihn mit dem Daumen fest. Die englischen Banner wehten nun am Fuß der Barbakane, und die meisten Feldkämpfer kletterten zwischen den lodernden Flammen hinauf, deren Rauch den Verteidigern die Sicht nahm. Es war, als wolle man ein bröckelndes Steilufer erklimmen, aber ein Steilufer, auf dem es brannte. Die Franzosen brüllten trotzige Herausforderungen. Ihre wirksamsten Waffen waren nun Steine, die sie an der Vorderseite der Barbakane herunterwarfen. Hook sah einen Feldkämpfer rücklings stürzen, sein Helm halb eingedrückt von einem Steinbrocken. Der König war auch dort, jedenfalls hob sich seine Standarte leuchtend gegen den grauen Rauch ab. Hook fragte sich, ob der Mann, den er mit dem eingedrückten Helm hatte fallen sehen, womöglich der König selbst gewesen war. Was würde geschehen, wenn der König starb? Doch es war gut, dass er hier war, mitten im Kampf, und plötzlich erfüllte es Hook mit Stolz, dass England einen König besaß, der in der Schlacht kämpfte, und keinen halbnärrischen Monarchen, der sich mit Tuchstreifen umwickelte, weil er glaubte, er bestehe aus Glas.
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