«Gott segne sie», sagte Pater Christopher entkräftet.
«Der König schickt Euch Wein», sagte Master Colnet.
«Dankt Seiner Majestät in meinem Namen.»
«Es ist ein ausgezeichneter Wein», sagte Colnet, während er geschickt den Arm verband, «wenn er auch dem Bischof nicht mehr geholfen hat.»
«Bangor ist tot?»
«Nicht Bangor, Norwich. Er ist gestern gestorben.»
«Gütiger Gott», sagte Pater Christopher.
«Ich habe auch ihn zur Ader gelassen», sagte Master Colnet, «und ich habe geglaubt, er würde überleben, doch Gott hat anders entschieden. Ich werde morgen wieder zu Euch kommen.»
Die Leiche des Bischofs von Norwich wurde gevierteilt und dann in einem riesigen Zuber gekocht, um das Fleisch von den Knochen zu lösen. Die trübe, dampfende Brühe wurde weggeschüttet, die Knochen dagegen wurden in Leinen gewickelt und in einen Sarg eingenagelt, der feierlich zum Strand getragen wurde, sodass der Bischof nach Hause gebracht werden konnte, um in dem Sprengel beerdigt zu werden, in dem er sich zu Lebzeiten so wenig wie möglich aufgehalten hatte. Die meisten anderen Toten warf man jedoch einfach in Gruben, die überall ausgehoben wurden, wo ein Stück Grund hoch genug lag, um ein trockenes Grab anlegen zu können. Doch als immer mehr Männer starben, wurden diese Totengruben aufgegeben und die Leichname stattdessen bei Ebbe ins Watt getragen und in die seichten Wasserläufe geworfen, wo sie den wilden Hunden, den Möwen und der Ewigkeit überlassen blieben. Der Gestank der Leichen und der Gestank der Exkremente und der beißende Rauch schwelender Feuer erfüllte das Lager.
Am zweiten Morgen nachdem Hook von dem eingebrochenen Tunnel weggetaumelt war, erhob sich mit einem Mal der Lärm von Kanonenschüssen von der Stadtmauer Harfleurs. Die Garnison hatte ihre Kanonen geladen und feuerte sie alle gleichzeitig ab, sodass sich ein Ring aus Rauch um die halbzerstörte Stadt legte. Die Verteidiger jubelten von der Stadtmauer herunter und schwenkten höhnisch ihre Banner.
«Ein Schiff ist zu ihnen durchgekommen», erklärte Sir John.
«Ein Schiff?»
«Bei Gott dem Allmächtigen, du wirst doch wohl wissen, was ein Schiff ist!»
«Aber wie haben sie es geschafft?»
«Unsere gottverdammte Flotte hat geschlafen, so haben sie es geschafft! Jetzt haben die gottverdammten Bastarde neue Verpflegung. Gott verdamme diese Bastarde.»Es schien so, als habe Gott die Seiten gewechselt, denn die Verteidigungsanlagen Harfleurs, mochten sie auch eingebrochen und zerschossen sein, wurden ständig ausgebessert und wiederaufgebaut. Neue Festungswälle wurden hinter den alten errichtet, und jede Nacht vertieften die Männer der Garnison den Wassergraben und schlossen die Breschen in der Stadtmauer mit neuen Hindernissen. Der Beschuss mit Armbrustbolzen nahm nicht ab - also war die Stadt entweder sehr gut gerüstet gewesen, oder das Schiff, das durch die Blockade gekommen war, hatte neuen Vorrat mitgebracht. Die englische Seite dagegen litt immer stärker unter der Krankheit. Sir John duckte sich unter Pater Christophers Zelteingang hindurch und sah auf den Priester hinab. «Wie geht es ihm?», fragte er Melisande.
Sie zuckte mit den Schultern. Hook hätte ohnehin gesagt, der Priester sei schon tot, so unbeweglich lag er auf dem Rücken, den schlaffen Mund leicht geöffnet und die Haut so blassgrau wie die Dämmerung.
«Atmet er?», wollte Sir John wissen.
Melisande nickte.
«Gott steh uns bei», sagte Sir John und schob sich rückwärts aus dem Zelt hinaus. «Gott steh uns bei», wiederholte er und starrte nach Harfleur hinüber. Die Stadt hätte schon vor zwei Wochen fallen sollen, doch da lag sie, immer noch trotzte sie der Belagerung, und die Trümmer ihrer Stadtmauer und ihrer Wachtürme beschützten die neuen Befestigungen, die dahinter errichtet worden waren.
Es gab allerdings auch gute Nachrichten. Sir Edward Derwent war nicht tot, sondern als Gefangener in Harfleur, ebenso wie Dafydd ap Traharn. Die Herolde, die von einem weiteren vergeblichen Versuch zurückkamen, die Garnison zur Aufgabe zu bewegen, berichteten, wie die Männer an der Stirnseite des Tunnels in der Falle gesessen und sich ergeben hatten. Der eingestürzte Tunnel war aufgegeben worden, wenn auch an der östlichen Seite Harfleurs, wo der Bruder des Königs die Belagerung anführte, weitere Schächte in Richtung der Stadtmauer gegraben wurden. Die beste Nachricht bestand darin, dass die Franzosen keine Anstrengungen unternahmen, die Stadt zu entsetzen. Englische Trupps ritten auf der Suche nach Getreide weit ins Landesinnere und entdeckten keinerlei Hinweis auf eine feindliche Armee, die anrückte, um die von der Krankheit geschwächten Engländer zu schlagen.
Harfleur, so schien es, war seinem Untergang überlassen worden, auch wenn man mittlerweile glauben konnte, dass die Belagerer zuerst ans Ende ihrer Kräfte kommen würden.
«All das Geld», sagte Sir John niedergeschlagen, «und wir haben nichts weiter getan, als ein paar Meilen weit vorzurücken, um die Herren über Gräber und Abortgruben zu werden.»
«Warum lassen wir es dann nicht einfach?», fragte Hook. «Wir könnten doch einfach abziehen.»
«Eine gottverdammt tölpelhafte Frage», sagte Sir John. «Die Stadt könnte sich ja schon morgen ergeben! Und die gesamte Christenheit blickt auf uns. Wenn wir die Belagerung aufgeben, sehen wir wie Schwächlinge aus. Und übrigens, selbst wenn wir ins Landesinnere einrücken, werden wir nicht unbedingt auf die französische Armee treffen. Sie haben gelernt, die englischen Kampftruppen zu fürchten, und sie wissen, dass sie uns am schnellsten loswerden, wenn sie sich in ihre Festungen zurückziehen. Also könnten wir nur diese Belagerung aufgeben, um eine andere anzufangen. Nein, wir müssen diese gottverdammte Stadt in die Hand bekommen.»
«Und warum greifen wir dann nicht an?», fragte Hook.
«Weil wir dabei zu viele Männer verlieren würden», sagte Sir John. «Stell es dir selbst vor, Hook: Armbrüste, Springarden, Kanonen, alles schießt auf uns, während wir vorrücken. Sie töten uns, während wir einen Damm über den Wassergraben aufschütten, und wenn wir dann über die Trümmer der Stadtmauer gestiegen sind, haben wir einen neuen Graben vor uns, einen neuen Wall und noch mehr Armbrüste, mehr Kanonen, mehr Katapulte. Wir können es uns nicht leisten, hundert Mann an den Tod zu verlieren und vierhundert zu Krüppeln werden zu lassen. Wir sind hierhergekommen, um Frankreich zu erobern, nicht um in diesem verdreckten Scheißloch zu krepieren.»Er stieß mit dem Fuß einen Stein weg und starrte dann auf die See hinaus. Sechs englische Schiffe ankerten am Eingang des Hafens. «Wenn ich den Befehl über die Garnison von Harfleur hätte», sagte er trübsinnig, «dann wüsste ich genau, was ich tun würde.»
«Und was wäre das?»
«Angreifen», sagte Sir John. «Auf uns eindreschen, während wir ohnehin schon fast am Boden sind. Wir reden immer von Ritterlichkeit, Hook, und wir sind auch ritterlich. Wir kämpfen ja so artig! Aber weißt du, wie man eine Schlacht gewinnt?»
«Mit einem schmutzigen Kampf, Sir John.»
«Ja, mit einem schmutzigen, schäbigen Kampf, Hook. Man muss kämpfen wie von wilden Furien besessen und die ganze Ritterlichkeit zum Teufel fahrenlassen. Er ist kein Narr.»
«Der Teufel?»
Sir John schüttelte den Kopf. «Nein, Raoul de Gaucourt. Er hat den Befehl über die Garnison.»Sir John nickte in Richtung Harfleur. «Er ist ein Edelmann, Hook, aber er ist auch ein Kämpfer. Und er ist kein Narr. Und wenn ich Raoul de Gaucourt wäre, würde ich mich genau jetzt auf uns stürzen.»
Und ebendas tat Raoul de Gaucourt am nächsten Tag.
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Wach auf, Nick!»Thomas Evelgold brüllte nach ihm. Der Centenar rüttelte so stark an Hooks Unterstand, dass totes Laub und Moos auf Hook und Melisande rieselten. «Gottverflucht, wach endlich auf!», brüllte Evelgold wieder.
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