Doch ob hübsch oder häßlich, Orry fühlte sich unter all diesen jungen Mädchen wie ein Holzklotz. George tanzte bereits mit großem Elan. Orry stand unter den Zuschauern; zwar wollte er gern eine junge Dame zum Tanz auffordern, aber er wußte nicht so recht, wie er vorgehen sollte. Nachdem er etwa eine Stunde herumgestanden war, eilte ihm George zu Hilfe. Er kam in Begleitung von zwei Mädchen und stellte klar, daß eines für Orry bestimmt war. Als George kurz darauf mit dem anderen Mädchen davontanzte, hatte Orry das Gefühl, der Boden sei ihm unter den Füßen weggezogen worden, und er stehe nur noch auf Luft. Er stellte ungeschickte Fragen, und seine Versuche, schlagfertige Antworten zu geben, waren schlechthin lächerlich. Doch das Mädchen – eine plumpe, sympathische Blondine – schien sehr von seiner makellosen Uniform angetan zu sein – immer wieder blickte sie auf seine Knöpfe – und deshalb gewillt, seine Tolpatschigkeit zu übersehen.
Sie hieß Miss Draper und kam aus Albany. Orrys Unfähigkeit, intelligente – oder überhaupt irgendwelche – Bemerkungen zu machen, führte dazu, daß er schließlich doch mit ihr tanzte. Er stand auf ihren Füßen herum, und seine ganze Konversation bestand aus Entschuldigungen. Als er fragte, ob sie einen Spaziergang mit ihm machen wollte, sagte sie schnell und atemlos ja.
Aber in der Dunkelheit des Gartens, mit dem Rascheln des Laubs – oder war es das Knistern von Seide und Satin? – fühlte er sich noch verlegener. Wortlos setzten sie sich schließlich auf eine Bank.
Unvermutet öffnete Miß Draper ihre große Handtasche und bot ihm kleine Kekse an, die sie aus dem Hotel mitgebracht hatte. Orry versuchte einen zu knabbern, aber er fiel ihm aus der Hand. Den andern steckte er in seine Manteltasche und zerdrückte ihn dabei. Etwa eine Minute lang starrte ihn Miß Draper erwartungsvoll an, dann sprang sie auf.
»Bitte, bringen Sie mich zurück, Sir. Es ist zu kühl hier draußen.« Es war jedoch eine außergewöhnlich warme Nacht. In tödlichem Schweigen begleitete Orry Miß Draper in den Saal zurück. In weniger als dreißig Sekunden tanzte sie mit einem andern Kadetten. Der Abend war ein Mißerfolg, und er war ein Versager.
»Nie wieder werde ich zu einem dieser verdammten Anlässe gehen«, sagte er nach dem Lichterlöschen zu George. »Ich bin zwar gern in Gesellschaft von Damen, aber ich weiß nicht was tun. Und vor allem weiß ich nicht wie flirten. Miß Draper verabschiedete sich, als hätte ich eine ansteckende Krankheit.«
»Mein Junge, du hast das quid pro quo vernachlässigt.«
»Ich verstehe nicht.«
»Hat Miß Draper dir nicht ein kleines Geschenk gemacht? Vielleicht Kekse?«
»Wie um Himmels willen weißt du das?«
»Weil ich auch welche bekommen hab’.«
»Von ihr?«
»Natürlich nicht. Von andern.«
»Wie vielen andern?«
»Mehreren. Das gehört zum Spiel, Orry. Als Gegengeschenk erwartet das Mädchen ein Andenken, und ein Gentleman erfüllt diesen Wunsch immer. Warum glaubst du wohl, daß ich dauernd Ersatzknöpfe schnorre und sie an meinen Mantel nähe?«
»Mir ist aufgefallen, daß du viele Knöpfe verlierst. Meinst du, Miß Draper wollte…«
»Die Helden verdienen schöne Frauen«, unterbrach ihn George. »Aber die Schönen wollen dafür die Knöpfe von West Point. Ganz besonders, bevor sie dich umarmen oder küssen. Mein Lieber, ein Knopf einer Kadettenuniform ist das wertvollste Liebespfand der ganzen Nation.«
»O Gott«, sagte Orry, »das hätte ich nie vermutet. Kein Wunder, hat sie mich beinahe mit ihren Blicken durchbohrt. Nun, ich nehme an, daß ich zu jenen Männern gehöre, für die der Allmächtige nur eine Frau bestimmt hat.«
»So wie er für dich nur eine Karriere vorgesehen hat? Orry, du bist zu ernst.«
Georges Eisenbett quietschte, als er sich in der Dunkelheit aufsetzte, um seinen Freund anzusehen. »Wenn wir schon offen und ehrlich miteinander reden – es gibt etwas, was ich dich schon lange fragen wollte. Ich befürchte allerdings, daß ich die Antwort bereits kenne.«
»Nun?«
»Warst du jemals mit einer Frau zusammen?«
»Oh, das ist aber eine persönliche, um nicht zu sagen, unhöfliche – «
»Das kannst du dir sparen; ich möchte keinen deiner berühmten Vorträge hören. Ja oder Nein?«
Orry schluckte die Antwort beinahe hinunter. »Nein.«
»Da müssen wir etwas unternehmen.«
»Etwas unternehmen? Wie? Was?«
»Deine Stimme klingt, als würden wir über Cholera reden.«
Orry war klar, daß der Ärger seines Freundes nicht echt war. Er kicherte nervös und murmelte: »Entschuldige. Mach weiter.«
»Im Dorf gibt es einige gefällige Damen. Wenn du einer von ihnen einen Besuch abstatten würdest, wärst du vielleicht von deinen romantischen Vorstellungen über Frauen erlöst. Mindestens aber würde es dich davon überzeugen, daß Frauen nicht gleich zerbrechen, wenn du ihnen einen schiefen – oder leidenschaftlichen – Blick zuwirfst.«
Orry versuchte ein Gegenargument vorzubringen, aber George war gnadenlos.
»Keine Argumente. Es kostet dich nicht viel, und du wirst eine wertvolle Erfahrung machen. Wenn dir an unserer Freundschaft etwas gelegen ist, dann mußt du hingehen.«
»Ich befürchtete, daß du so was sagen würdest.«
Orry hoffte, daß seine Stimme nicht verriet, wie erfreut er insgeheim war.
Orry hatte erwartet, daß seine Einführung in die körperliche Liebe eine private Angelegenheit sein würde und daß nur George und die entsprechende Frau darüber Bescheid wüßten. Statt dessen trieb George einige Nächte später vier weitere Kadetten auf, und dann machten sie sich alle sechs auf nach Buttermilk Falls. Die Einweihung schien etwa so privat zu werden wie eine öffentliche Versammlung.
Die Dame, die sie aufsuchten, kam ihm alt vor, obwohl sie erst knapp dreiunddreißig war: Alice Peet, brünett und drall. Sie hatte sanfte Augen, aber ein etwas hartes Lächeln und ein Gesicht, das durch Arbeit und Sorgen geprägt war und viel von seiner ursprünglichen Schönheit eingebüßt hatte. George sagte, sie sei eine Witwe, die Wäsche und anderes mache, um für sich selbst, drei Kinder und eine Katze den Lebensunterhalt zu verdienen. Ihr Mann, ein Matrose, sei vor zwei Jahren im Sommer während eines Sturms über Bord gefallen und ertrunken.
Alice Peet hatte ihre Kinder zu einem Bekannten geschickt, und somit waren sie und ihre Besucher allein im Haus. Haus war an sich nicht das richtige Wort, Hütte wäre angebrachter gewesen. Sie bestand aus einem großen Zimmer und einem zusätzlichen kleineren, das wahrscheinlich für die abendlichen Besucher gedacht war. Beide Zimmer waren durch eine locker in den Angeln hängende Tür voneinander getrennt. Orry schluckte den brennenden Whisky hinunter, den ihm Alice Peet angeboten hatte. Er wurde plötzlich von Scham und Verlegenheit erfaßt und wußte, daß er keinen Schritt in das Zimmer tun konnte. Ohne ein Wort zu sagen, schlich er auf die Veranda hinaus.
Die Hütte von Alice Peet stand am südlichen Ende des Dorfes, weit genug vom nächsten Nachbarn entfernt. Wenn der Ort sonst auch keine Reize aufwies, so hatte man doch einen prächtigen Ausblick auf den monderhellten Hudson. Orry setzte sich und entspannte sich. Alice schien ihren Mann offensichtlich nicht stark zu vermissen. Sie lachte, trank und amüsierte sich mit den andern Kadetten. Die Party wurde immer lustiger und lauter. Nach ungefähr einer Stunde glaubte Orry, daß man ihn vergessen habe, und er war dankbar dafür. Da flog die Tür auf.
Kadett Stribling schwankte heraus. »Main? Wo bist du, Sir? Madame Pompadour-Peet erwartet dich, und, wie ich sagen würde, mit einer gewissen Absicht.«
Hier fiel Stribling beinahe von der Veranda herunter. Er fing sich jedoch auf und rülpste. »Mein Gott, sie ist unersättlich. Wir werden die ganze Nacht hier sein. Aber was macht das schon, solange sie die Preise nicht erhöht. Na los, du bist dran!«
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