«Was!» schrie der GuRie. «Kein Blubberwasser? Keine Furzelbäume? Keine Leckermusik? Kein Rums-Bums-Rums?»
«Nein, nichts dergleichen», sagte Sophiechen streng. «Wenn er den Wunsch hat zu singen, dann laß ihn doch bitte», sagte die Königin.

«Singen möchte er aber nicht», sagte Sophiechen. «Er hat doch gesagt, er möchte Musik machen», beharrte die Königin. «Soll ich eine Geige kommen lassen?» «Nein, Euer Majestät», sagte Sophiechen. «Er hat nur einen Witz gemacht.»
Über das Gesicht des GuRie huschte ein verschmitztes kleines Lächeln. «Hör mal», sagte er mit einem Blick zu Sophiechen hinunter, «wenn die hier im Ballast kein Blubberwasser haben, schlag ich meine Furzelbäume eben mal ohne, ich muß nur ordentlich Druck machen.» «Nein!» schrie Sophiechen. «Bloß nicht! Das darfst du nicht! Verstanden?»
«Musik ist aber doch sehr gut für die Verdauung», sagte die Königin. «Wenn ich mich da oben in Schottland aufhalte, spielt man draußen vor dem Fenster Dudelsack, während ich zu Tisch sitze. Spiel ruhig etwas!» «Eure Majonese hat gesagt, ich darf!» rief der GuRie und ließ schon im nächsten Moment einen Furzelbaum fliegen, der im Ballsaal wie eine Bombe explodierte. Die Königin fuhr zusammen.
«Rrummbumm!» triumphierte der GuRie. «Das ist besser als Dutteln im Sack spielen wie in Schrottland, oder nicht so gut, Eure Majonese?»
Die Königin brauchte ein paar Sekunden, um über den Schrecken hinwegzukommen. «Dudelsack ist mir doch lieber», sagte sie. Aber dabei gelang es ihr nicht ganz, ein Lächeln zu unterdrücken.
In den folgenden zwanzig Minuten geriet eine ganze Mannschaft von Lakaien ins Schwitzen beim Hin- und Hergerenne zwischen Küche und Ballsaal und beim Auftischen und Abräumen der dritten Portion und der vierten Portion und der fünften Portion von Spiegeleiern und Bratwürsten für den bärenhungrigen, begeistert reinhauenden GuRie.
Als der GuRie sein zweiundsiebzigstes Spiegelei vertilgt hatte, wagte Mister Tibbs sich zu seiner Königin vor, vollführte eine tiefe Verbeugung aus der Hüfte und flüsterte ihr ins Ohr: «Der Koch bittet um Verzeihung, Euer Majestät, und läßt ausrichten, in der Küche sind die Eier ausgegangen.»
«Stimmt etwas mit den Hühnern nicht?» fragte die Königin.
«Mit den Hühnern ist alles in Ordnung, Euer Majestät», flüsterte Mister Tibbs.
«Dann sagen Sie ihnen doch, sie sollen schleunigst mehr Eier legen», sagte die Königin. Sie warf einen Blick nach oben zum GuRie hinauf. «Nimm doch bitte zwischendurch Toastbrote mit Marmelade», sagte sie zu ihm. «Toast ist auch ausgegangen», flüsterte Mister Tibbs. «Der Koch sagt, das Brot ist alle.»
«Dann sagen Sie ihm doch, er soll neues backen», sagte die Königin.
Während dies geschah, hatte Sophiechen alles, aber auch alles erzählt über ihren Aufenthalt im Lande der Riesen. Und die Königin hatte sich alles voller Entsetzen angehört. Als Sophiechen mit ihrer Geschichte fertig war, sah die Königin zum Guten Riesen empor, der hoch über ihr thronte. Er war gerade dabei, einen Kuchen aufzuessen.
«Guter Riese», sagte sie, «letzte Nacht sind jene Ungeheuer von Menschenfressern nach England eingefallen. Kannst du dich erinnern, wo sie in der Nacht davor gewesen sind?»
Der GuRie schob sich den ganzen großen Kuchen in den Mund und zerkaute ihn schön langsam, während er über diese Frage nachdachte. «Doch, Eure Majonese», sagte er. «Ich glaub, ich weiß, wo sie in der Nacht vor der vorigen hingehen wollten. Sie galopperten los nach Dänemark, weil die Dänemarker immer so markig schmek-ken.»
«Bringt mir ein Telefon», befahl die Königin. Mister Tibbs stellte den Telefonapparat auf den Tisch. Die Königin nahm den Hörer ab. «Verbinden Sie mich mit der Königin von Dänemark», sagte sie.
«Guten Morgen», sagte die Königin. «Ist alles in Ordnung bei Euch da drüben in Dänemark?»
«Hier ist alles in der schlimmsten Unordnung!» antwortete die dänische Königin. «In der Hauptstadt herrscht Panik! Vorletzte Nacht sind sechsundzwanzig meiner getreuen Untertanen verschwunden! Mein ganzes Land ist in Panik!»
«Eure sechsundzwanzig getreuen Untertanen sind allesamt von Riesen aufgegessen worden», sagte die englische Königin. «Wahrscheinlich mundet ihnen der Geschmack von Untertanen des Königreiches Dänemark.» «Warum munden ihnen meine getreuen Untertanen?» fragte die dänische Königin.
«Weil Eure getreuen Untertanen in Dänemark so markig schmecken. So knochenmarkig. Jedenfalls hat das der Gu-Rie gesagt», antwortete die englische Königin. «Welcher Guru? Ich weiß wirklich nicht, wovon Ihr redet», sagte die dänische Königin etwas pikiert. «Es ist kein bißchen komisch, wenn einem die getreuen Untertanen weggegessen werden wie Kartoffelchips.» «Meine haben sie doch auch gegessen», sagte die englische Königin.
«Wer ?» fragte die dänische Königin.
«Die Riesen», antwortete die englische Königin.
«Sagt mal», fragte die dänische Königin gedehnt, «geht es Euch heute nicht gut?»
«Doch, aber heute morgen ist hier allerhand Aufregendes passiert», erklärte die englische Königin. «Zuerst hatte ich einen scheußlichen Alptraum, dann ließ das Mädchen mein Frühstück fallen, und jetzt sitzt bei mir ein Riese auf dem Flügel.»
«Ihr braucht einen Arzt, und zwar sofort!» rief die dänische Königin.
«Bei mir ist alles durchaus in Ordnung», sagte die englische Königin. «Ich muß jetzt Schluß machen. Vielen Dank für Eure Hilfe.» Damit legte sie den Hörer auf. «Dein GuRie hat recht», sagte die Königin zu Sophiechen. «Diese neun menschenessenden Ungetüme sindtatsächlich in Dänemark zugange gewesen.» «Ist ja grauenvoll», sagte Sophiechen. «Bitte, bitte, Euer Majestät, tun Sie etwas dagegen!»
«Ich möchte gern noch eine Probe machen, bevor ich meine Truppen zu den Waffen rufe», sagte die Königin.
Und dann schaute sie wieder zum GuRie hinauf. Der vertilgte gerade schöne dicke Dampfnudeln, von denen er immer gleich zehn Stück auf einmal in den Mund schob. «Denk mal haarscharf nach, GuRie», sagte sie. «Was haben diese fürchterlichen Riesen gesagt, wohin sie gehen wollten, als sie vordrei Nächten losgezogen sind?» Der GuRie überlegte lange und gründlich. «Aha!» rief er schließlich aus. «Ja, jetzt fällt es mir wieder in den Kopf!»
«Und wohin war das?» fragte die Königin.
«Einer ist nach Backdatt gerattert», sagte der GuRie. «Als sie an meiner Höhle vorbeigeblitzt und gedonnert sind, hat Fleischfetzenfresser mir zugewunkt und geruft: »
Sofort nahm die Königin den Telefonhörer ab. «Verbinden Sie mich mit dem Regierenden Bürgermeister von Bagdad», sagte sie. «Wenn man dort keinen Regierenden Bürgermeister hat, dann geben Sie mir irgendeinen anderen Regierenden.»
Es vergingen keine fünf Minuten, und schon war eine Stimme in der Telefonleitung. «Hier spricht der Sultan von Bagdad», sagte die Stimme.
«Passen Sie auf, Sultan», sagte die Königin. «Ist in Ihrer Stadt vor drei Nächten irgend etwas Unangenehmes passiert?»
«Bei uns in Bagdad passiert jede Nacht irgend etwas Unangenehmes», sprach der Sultan. «Wir schneiden hier den Leuten die Köpfe ab, wie Ihr Schnittlauch schneidet.»
«Schnittlauch habe ich in meinem ganzen Leben noch nicht geschnitten», sagte die Königin. «Ich möchte wissen, ob in letzter Zeit jemand aus Bagdadverschwunden ist.» «Ja, schon. Aber nur mein Onkel Harun al Raschid, der Kalif», sagte der Sultan. «Er saß gerade mit seiner Familie beim Essen, als er verschwand: er selbst, seine Frau und alle zehn Kinder.»
«Und was gab es bei Familie Raschid zu essen?» fragte die Königin.
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