„Sie halten an! - Sie kommen. Kein Wort mehr, Huck. Lieber Himmel, ich wollte, wir wären erst mal hier raus!"
Zwei Männer betraten das Haus. Die Jungen erkannten einen von ihnen. Es war der alte taubstumme Spanier, den man kürzlich ein- oder zweimal in der Stadt gesehen hatte. Den anderen Mann kannten sie nicht.
Dieser andere war eine ungekämmte, zerlumpte Gestalt mit einem unsympathischen Gesichtsausdruck. Der Spanier war in eine Kutte gehüllt; er hatte buschige weiße Augenbrauen und langes weißes Haar wallte unter seinem breitrandigen Hut herab. Er trug eine grüne Brille. Als sie hereinkamen, sprach der andere gerade mit gedämpfter Stimme. Sie setzten sich auf den Boden mit dem Gesicht zur Tür. Allmählich ließ der Sprecher seine anfängliche Vorsicht fallen und die Jungen konnten seine Worte recht gut verstehen.
„Nein", sagte er, „ich habe darüber nachgedacht und es gefällt mir wirklich nicht. Es ist gefährlich."
„Gefährlich!", brummte der „taubstumme" Spanier zum größten Erstaunen der Jungen. „Hasenfuß!"
Die Stimme ließ die Jungen erzittern. Es war die Stimme von Indianer-Joe! Für eine Weile war alles still. Dann sagte Joe:
„Ist nicht gefährlicher als das Ding, das wir neulich gedreht haben - und nichts ist rausgekommen."
„Das war auch was anderes. So weit stromauf und kein Haus in der Nähe! Konnte ja auch nichts rauskommen, wo's uns nicht mal gelungen ist."
„Nun, gibt's was Gefährlicheres, als im hellen Tageslicht hierher zu kommen? - Jeder, der uns gesehen hätte, würde uns verdächtigen."
„Ja, ich weiß. Aber nach der Stümperarbeit, die wir da geleistet haben, gab es ja keinen besseren Platz. Ich will raus aus dieser elenden Hütte. Ich wollte schon gestern raus, konnte es aber nicht wagen, weil diese verdammten Bengel auf dem Hügel da oben spielten und mich bestimmt gesehen hätten."
Die „verdammten Bengel" zuckten bei dieser Bemerkung heftig zusammen. Sie wünschten, sie wären nie hergekommen. Jetzt holten die Männer etwas zu essen hervor und frühstückten.
Nach einer langen gedankenvollen Pause sagte Indianer-Joe: „Hör zu, Kamerad - du gehst zurück zum Fluß, wo du hingehörst. Warte da, bis du von mir hörst. Ich lasse es darauf ankommen und mache dieser Stadt noch einmal einen Besuch. Wir werden das >gefährliche< Ding erst drehen, nachdem ich mich ein wenig umgesehen habe und davon überzeugt bin, dass die Gelegenheit wirklich günstig ist. Dann ab nach Texas! Wir werden's schon schaffen!"
Dies war dem anderen recht. Bald begannen die Männer zu gähnen und Indianer-Joe sagte: „Ich bin hundemüde! Du bist an der Reihe, die Wache zu übernehmen."
Er machte es sich im Unkraut bequem und fing bald an zu schnarchen. Ein paarmal stieß ihn sein Kamerad an, daraufhin war er ruhig. Bald nickte auch der Wächter ein; sein Kopf sank immer tiefer, und dann begannen beide Männer zu schnarchen. Die Jungen atmeten tief und dankbar auf. Tom flüsterte:
„Jetzt ist's Zeit - komm!"
Huck antwortete: „Ich kann nicht - ich sterbe, wenn sie aufwachen."
Tom drängte - Huck wollte nicht. Schließlich erhob sich Tom langsam und vorsichtig und versuchte sein Glück allein. Aber schon sein erster Schritt verursachte ein solch entsetzliches Knarren im Fußboden, dass er sich in Todesangst wieder niederließ. Er versuchte es kein zweites Mal. Wieder lagen sie still und zählten die träge dahinschleichenden Minuten, bis ihnen schien, dass die Zeit längst vorbei sei und die Ewigkeit zu dämmern beginne. Freudig sahen sie, dass die Sonne endlich sank.
Plötzlich hörte Indianer-Joe auf zu schnarchen, setzte sich auf und betrachtete grimmig seinen Kameraden, dessen Kopf auf die Knie gefallen war. Er stieß ihn mit dem Fuß an und sagte:
„He! Was für'n Wächter! Gott sei Dank ist nichts passiert!"
„Himmel! Habe ich geschlafen?"
„Oh, nur so'n kleines bisschen. Wir müssen bald abhauen; was sollen wir mit dem Rest Geld anfangen, den wir noch haben?"
„Ich weiß nicht recht - lass es doch hier, wie gewöhnlich. Hat keinen Zweck, es schon jetzt mitzunehmen, bevor wir nach Texas gehen. Sechshundertfünfzig in Silber ist schon 'ne schöne Last."
„Hm - na ja - wird schon klappen, noch mal herzukommen."
„Ja, aber ich glaube, es ist besser, des Nachts herzukommen - so wie bisher."
„Ja, aber hör zu, wir werden's einfach eingraben - tief eingraben."
„Gute Idee", sagte Joes Begleiter, ging durch den Raum, kniete nieder, hob einen der hinteren Herdsteine hoch und zog einen Beutel hervor, in dem es angenehm klingelte. Er entnahm ihm zwanzig oder dreißig Dollar für sich und ebenso viel für Indianer-Joe. Dann gab er den Beutel weiter an Joe, der schon in der Ecke kniete und mit seinem Messer ein Loch in die Erde grub.
Die Jungen vergaßen ihre Ängste und Nöte in einem einzigen Augenblick. Mit neugierigen Augen beobachteten sie jede Bewegung. So ein Glück! Das übertraf wirklich alle ihre Erwartungen! Sechshundert Dollar war genug Geld, um ein halbes Dutzend Jungen reich zu machen! Jeden Augenblick stießen sie einander an - es waren beredsame und leicht verständliche Stöße, denn sie bedeuteten ganz einfach: „Bist du jetzt nicht froh, dass wir hier sind?"
Joes Messer stieß auf einen Widerstand.
„Oho!" sagte er.
„Was gibt's?" fragte sein Kumpan.
„Halbvermoderte Planke - nein, es ist eine Kiste, glaube ich. Komm, pack mal an, wollen sehen, was damit los ist. Lass nur, nicht mehr nötig, ich hab ein Loch reingebrochen."
Er steckte seine Hand in das Loch und zog sie wieder heraus. „Mann, es ist Gold!"
Die beiden Männer untersuchten die Handvoll Münzen. Sie waren aus Gold. Oben die beiden Jungen waren genauso entzückt und aufgeregt wie die Männer.
Joes Kumpan sagte: „Wir wollen diese Sache schnell erledigen. Eben habe ich eine alte rostige Hacke gesehen. Sie steht zwischen dem Unkraut dort in der Ecke an der anderen Seite des Kamins."
Er holte die Schaufel und die Hacke der Jungen und gab beide Indianer-Joe. Der nahm sie, betrachtete sie argwöhnisch, schüttelte den Kopf, murmelte etwas vor sich hin und begann dann mit der Arbeit. Bald war die Kiste freigelegt. Sie war nicht sehr groß und mit Eisenbändern verstärkt. Gewiss war sie einmal sehr stabil gewesen, bevor die langen Jahre sie hatten morsch werden lassen. Eine Weile betrachteten die Männer den Schatz in seligem Schweigen.
„Kamerad, das sind Tausende von Dollars", sagte Indianer-Joe.
„Man munkelt, dass sich Murrels Bande einmal einen Sommer hier herumgetrieben hat", bemerkte der Fremde.
„Ich weiß", sagte Indianer-Joe, „und das hier sieht so aus, als ob es von dieser Bande stammt."
„Jetzt brauchst du doch das andere Ding nicht mehr zu drehen!"
Der Mischling runzelte die Stirn. Er sagte:
„Du kennst mich nicht. Jedenfalls weißt du nicht alles über diese Sache. Hat überhaupt nichts mit Raub zu tun - 's ist Rache!" Ein böses Licht flackerte in seinen Augen. „Ich brauche deine Hilfe dabei. Wenn das erledigt ist - dann ab nach Texas. Geh du nur nach Hause zu deiner Nance und zu deinen Gören und halte dich bereit, bis du von mir hörst."
„Gut - wenn du meinst. Was sollen wir hiermit tun -es wieder vergraben?"

„Ja." (Begeistertes Entzücken ein Stockwerk höher. ) „Nein! Beim großen Häuptling, nein!" (Tiefe Niedergeschlagenheit eine Treppe höher. ) „Beinahe hätte ich's vergessen: an der Hacke saß frische Erde!" (Den Jungen wurde übel vor Schreck.) „Wie kommen eine Hacke und eine Schaufel hierher? Wie kommt frische Erde dran? Wer hat sie hergebracht - und wohin sind sie gegangen? Hast du jemand gehört oder gesehen? Wie, das Geld wieder vergraben, damit die anderen gleich kommen und sehen, dass die Erde aufgewühlt ist? Nein, nein, ich denke nicht daran. Wir nehmen's mit in meine Höhle."
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