Julian war ob dieser Schenkung über die Maßen überrascht. Mit einem Male hatten er und seine künftige Frau ein Jahreseinkommen von 30000 Franken. Seine herbe kalte Männlichkeit gewann Wärme. Das Schicksal seines Sohnes, der noch gar nicht auf der Welt war, erfüllte ihn mit Träumen. Das unerwartete, für einen bis dahin armen Menschen recht bedeutende Vermögen erweckte seinen Ehrgeiz.
Mathilde ging gänzlich auf in der Anbetung ihres Mannes; so nannte sie jetzt Julian voll Stolz. Ihr einziges hohes Ziel war die öffentliche Anerkennung ihrer Ehe. Daß ihr Schicksal sie an das eines höheren Menschen geknüpft hatte, erschien ihr als kluge große Tat. Zur Zeit hatte sie Vorliebe für das persönliche Verdienst.
Julians fast beständiges Fernsein, ihre verworrene Lage, die immer nur flüchtigen Augenblicke ihrer Liebesgespräche, alles das vervollständigte die Wirkung der klugen Politik, die Julian vordem geübt hatte. Schließlich wurde Mathilde ungeduldig, daß sie den Mann, den sie nunmehr wahrhaft liebte, so selten bei sich hatte. In einer schlechtlaunigen Stunde schrieb sie abermals an ihren Vater:
»Daß ich Julian den gesellschaftlichen Annehmlichkeiten vorgezogen habe, die der Tochter eines Marquis von La Mole gebühren, verleiht meiner Wahl genügend Gewicht. Die Freuden des Standes und der Eitelkeit sind für mich gleich Null. Es sind jetzt beinahe sechs Wochen her, daß ich von meinem Manne getrennt lebe. Damit habe ich Dir meine kindliche Ehrfurcht genugsam bewiesen. Nun verlasse ich das Elternhaus, und zwar noch vor dem nächsten Donnerstag. Deine Großmut hat uns reich gemacht. Mein Geheimnis kennt niemand mit Ausnahme des ehrwürdigen Pfarrers Pirard. Zu ihm gehe ich. Er wird uns trauen. Eine Stunde nach der Zeremonie werden wir auf dem Wege nach dem Languedoc sein und erst auf Deinen Befehl wieder in Paris erscheinen. Eins macht mir das Herz schwer. Das Geschehene wird allerhand bösen Klatsch gegen mich und gegen Dich entfesseln. Am Ende bringt der öffentliche Spott irgendeiner törichten Person unsern lieben Norbert in Differenzen mit Julian. Meine Macht über meinen Mann hätte dann ihre Grenzen. Dann kommt der Plebejer und der Rebell in ihm zum Vorschein. Mein lieber Vater, ich flehe Dich auf den Knien an, komme zu meiner Trauung in die Kirche des Pfarrers Pirard am nächsten Donnerstag! Dadurch wird dem Klatsch böser Mäuler die Spitze abgebrochen und die Zukunft Deines Enkelkindes klargestellt…«
Der Marquis geriet durch diesen Brief in die sonderbarste Verlegenheit. Er mußte sich endlich in bestimmter Richtung entschließen. Keine seiner kleinen Gewohnheiten, keiner seiner bisherigen Freunde, nichts stand ihm jetzt bei. In so seltsamer Lebenslage gewannen die starken Elemente seines Charakters, die er den Erlebnissen seiner Jugend verdankte, von neuem die Oberhand. Im Elend der Emigrationszeit war er ein ganzer Mann geworden. Zwei Jahre war er im Genuß eines ungeheuren Vermögens und aller höfischen Auszeichnungen gewesen: da kam das Jahr 1790, das ihn zum bettelarmen Landesflüchtigen machte. Die harte Schule des Exils wandelte seine zweiundzwanzigjährige Seele bis in den Grund. Seine jetzigen Reichtümer waren ihm nichts als Milieu; sie beherrschten ihn nicht. Aber die nämliche Einbildungskraft, die seine Seele vor der Gier nach Gold bewahrt hatte, war der Quell einer tollen Leidenschaft in ihm, nämlich der, seine Tochter mit einem hohen Titel geschmückt zu sehen.
In den letzten sechs Wochen hatte der Marquis die Laune gehabt, Julian zum reichen Manne zu machen. Seine Tochter konnte unmöglich einen armen Gatten haben. Das kam ihm nicht wohlanständig, ja unvornehm vor. Dies war der Grund seiner verschwenderischen Schenkungen. Am Tage darauf schwenkte seine Phantasie bereits in eine neue Richtung. Er meinte, Julian müsse die stumme Sprache dieser Freigebigkeit dahin verstehen: sich unter falschem Namen nach Amerika einschiffen und Mathilden mitteilen, er sei gestorben für sie. Sofort bildete sich der Marquis ein, ein solcher Brief sei unterwegs. Er stellte sich den Eindruck auf seine Tochter vor.
Am Tage, da er Mathildens wirklichen Brief erhielt, träumte Herr von La Mole zur Abwechslung davon, Julian morden oder verschwinden zu lassen. Dann kam er auf den Gedanken, ihm eine glänzende Zukunft zu bereiten. In Gedanken verlieh er ihm den Namen eines seiner Güter. Warum sollte er ihm nicht seine Pairswürde überlassen? Hatte der Herzog von Chaulnes, sein Schwiegervater, seitdem sein einziger Sohn in Spanien gefallen war, nicht mehrfach davon gesprochen, seinen Herzogstitel auf den Grafen Norbert übertragen zu wollen?
Der Marquis sprach mit sich selbst. »Man kann Julian eine einzigartige Geschicklichkeit in Geschäften, Wagemut, ja Elan nicht absprechen. Aber es ist mir, als lauere in der Tiefe seines Charakters etwas Fürchterliches. Diesen Eindruck macht er allgemein. Es muß also an dem sein…«
Je schwieriger ihn die Ergründung dieses Geheimnisses dünkte, um so mehr graute ihm, dem Phantasten, davor.
»Meine Tochter hat neulich die sehr gescheite Bemerkung gemacht, Julian habe sich keinem Salon und keiner Clique angeschlossen. Er hat sich mir gegenüber keines Rückhalts versichert. Wenn ich ihn im Stich lasse, steht ihm nicht die geringste Hilfe zu Gebote. Soll ich das als Unkenntnis der Gesellschaft von heute deuten? Ich habe ihm zwei-oder dreimal gesagt: Es gibt keine sicherere und erfolgreichere Kandidatur als die des Salons… Nein. Gewandter, umsichtiger Advokatengeist, der keine Minute, keine Gelegenheit unbenutzt vorübergehen läßt, der fehlt ihm durchaus! Er ist kein Charakter wie Ludwig XI. Und doch sehe ich andrerseits, daß in seiner Weltanschauung unedle Elemente ihr Wesen treiben. Hier ist meine Menschenkenntnis zu Ende. Sollte er sich dieses Gift eingeimpft haben, um seinen Enthusiasmus zu neutralisieren?
Übrigens, eines ist sonnenklar: Verachtung erträgt er nicht. Daran halte ich mich. Vor hoher Geburt beugt er sich nicht. Er respektiert unsereinen nicht aus Instinkt. Daran ist nichts zu ändern. Leider. Eigentlich sollte seinesgleichen nur zweierlei nicht ertragen können: Mangel an Geld und an Genuß! Er ist aus der Art geschlagen. Um keinen Preis erduldet er Verachtung.«
Der Brief seiner Tochter erheischte einen Entschluß.
»Die große Frage ist die«, fuhr er in seinem Selbstgespräch fort. »War dieser Julian so vermessen, meiner Tochter den Kopf zu verdrehen, weil er weiß, daß ich sie über alles liebe und daß ich zwölffacher Millionär bin? Mathilde behauptet das Gegenteil… Mein verehrter Herr Sorel, das ist ein Punkt, in dem ich mir nichts vormachen lasse! Handelt es sich hier wirklich um wahre blinde Liebe oder um gemeine Gier, in eine gute Lage zu kommen? Mathilde hat mich richtig beurteilt. Von Anfang an hat sie gewußt: Ein solcher Verdacht macht mich steinhart. Daher ihr Geständnis, sie sei die Verführerin… Sollte sich eine junge Dame von so stolzem Charakter so weit vergessen haben, ihm grobe Avancen zu machen? Ihm abends im Garten den Arm zu drücken? Pfui Teufel! Als ob sie nicht hundert anständigere Mittel gehabt hätte, ihm ihre Gunst anzudeuten!
Wer sich entschuldigt, klagt sich an! Ich traue Mathilden nicht…«
In seiner weiteren Grübelei kam er zu einem bestimmteren Ergebnis denn sonst. Ganz aber überwand er seine Gewohnheit nicht. Er beschloß, Zeit zu gewinnen und seiner Tochter zu schreiben.
So schrieben sie sich innerhalb des Hauses. Der Marquis wagte nicht mit seiner Tochter Auge in Auge zu reden. Er fürchtete, durch impulsive Nachgiebigkeit alles zu verderben.
Er schrieb ihr:
»Begehe vor allen Dingen keine neuen Torheiten! Hier hast Du ein Kavallerie-Oberleutnantspatent für Herrn Chevalier Julian Sorel von La Vernaye. Du siehst, daß ich alles mögliche für ihn tue. Arbeite mir nicht entgegen! Verhalte Dich still und stumm! Julian soll binnen vierundzwanzig Stunden abreisen und sich in Straßburg bei seinem Regiment melden. Anbei einen Scheck auf meinen Bankier. Ich verlange Gehorsam.«
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