1 ...6 7 8 10 11 12 ...22 In einem Aphorismus von Julian Tuwim (2011) wird eine Person, die ihre Aufmerksamkeit nach außen richtet, sehr treffend beschrieben: »Ein Mann steht für gewöhnlich sehr lange unter dem Eindruck, den er auf eine Frau gemacht hat.«
Aufmerksamkeit, die nach außen gerichtet ist, lässt sich auch bei Personen beobachten, die von ihrer Umgebung völliges Verständnis, Fürsorge oder Unterordnung verlangen. Eine nach innen gerichtete Aufmerksamkeit ist wiederum mit Selbstbeschuldigungen und einem übersteigerten Schuldgefühl verbunden, was häufig bei Depressionen auftritt. Diese Ausrichtung der Aufmerksamkeit ist auch charakteristisch für Personen mit Anorexie, die sich intensiv auf ihren Körper und vor allem auf dessen Aussehen konzentrieren, dem sie eine gewaltige Bedeutung beimessen, bis hin zu einer übersteigerten Wertigkeit.
Die Richtung der Aufmerksamkeit – nach außen oder nach innen – ist eine häufig angewendete diagnostische Kategorie und stellt einen klare Hinweis für die Behandlungsstrategie sowie für den Aufbau von Suggestion und Hypnoseinduktion dar. Einer Person, deren Aufmerksamkeit nach innen gerichtet ist, und die demzufolge mehr auf sich selbst als auf andere hört, wird es viel leichter fallen, mit dem Therapeuten zusammenzuarbeiten, wenn er vorwiegend indirekte Botschaften oder Metaphern verwendet. In diesem Fall hilft es auch, wenn sich der Therapeut auf die individuellen Erfahrungen des Klienten beruft. Personen, deren Aufmerksamkeit nach außen gerichtet ist, reagieren dagegen besser auf direkte Botschaften. Erickson betonte, wichtig es sei, ganz genau zu beobachten, in welcher Weise eine Person darauf reagiert, was andere Menschen sagen. Er bezeichnete das als »reaktionsbereite« Aufmerksamkeit (»response attentivenesse«, vgl. Rossi, Erickson-Klein a. Rossi 2010e, p. 16).
Die Aufmerksamkeit des Klienten kann darüber hinaus als fokussiert oder zerstreut, linear oder mosaikartig bezeichnet werden. Eine mosaikartige Aufmerksamkeit bedeutet, dass die Wirklichkeit aus Elementen zusammengesetzt wird, die gar nicht zueinander zu passen scheinen, was typisch für die Phase der Adoleszenz ist. In dieser Phase ist die Aufmerksamkeit stark nach außen gerichtet, weshalb auf Kränkungen seitens Gleichaltriger so empfindlich reagiert wird, die Meinung des Umfelds und die Position in der Gruppe so wichtig sind und die starke Überzeugung herrscht, Aussehen und Verhalten des Heranwachsenden wären für seine Umgebung von großer Bedeutung.
2.3Das Verarbeiten von Ereignissen
Diese Kategorie beschreibt, wie ein Individuum sich seine eigene und einzigartige innere Landkarte erstellt, die es dann im täglichen Leben nutzt. Sie lässt sich auf drei Ebenen beschreiben, die sich auf das Verarbeiten von Ereignissen beziehen:
•Ereignisse erschaffen
•Ereignisse verzerren (distorting)
•Ereignisse ausblenden, ignorieren (deleting)
Eine Person, die Ereignisse erschafft, ist beispielsweise ein Klient mit Angststörung. Der depressive Klient ignoriert (reduziert) Ereignisse und ein Klient mit der Diagnose Borderline tendiert dazu, Ereignisse zu verzerren.
Die Wirklichkeit verzerrt wahrzunehmen ist auch typisch für Personen mit Essstörungen. Die meisten Personen mit Anorexie nehmen ihren Körper als schwerer und massiver wahr, als er es in Wirklichkeit ist, was sich entweder auf die gesamte Figur oder aber auf einzelne Körperregionen wie Oberschenkel, Po, Taille oder Bauch bezieht. Das ist aber nicht die einzige Dimension, in der sie die Wirklichkeit verzerrt wahrnehmen. Die Aufmerksamkeit dieser Personen lässt sich als gleichzeitig nach innen und nach außen gerichtet beschreiben. Sie ist nach innen gerichtet – so lässt sich das übermäßige Interesse am Aussehen des eigenen Körpers verstehen. Gleichzeitig aber ist die Aufmerksamkeit nach außen gerichtet, was bedeutet, dass diese Personen ihren Körper als etwas Getrenntes wahrnehmen, das im Konflikt mit der Psyche steht oder dieser zu Diensten sein soll und irgendwie außerhalb der Struktur des »Ich« existiert. Der Körper hat zur Verfügung zu stehen und seine Funktion ordentlich zu erfüllen. Er soll Blicke anziehen, Bewunderung hervorrufen oder Besorgnis erregen, abstoßen oder schützen, kann Rebellion oder Konkurrenz ausdrücken (Rojek i Opoczyńska-Morasiewicz 2014). Manchmal hört der Körper auf die Psyche, und manchmal rebelliert er, dann soll die Psyche auf den Körper hören. In der Wahrnehmung von Personen mit Anorexie aber ist der Körper unanfechtbar, sowohl nach außen als auch nach innen. Das bezeichnen wir als Trancelogik, die innere Logik steht in offenkundigem Widerspruch zur kartesischen Logik. Etwas ist so, aber gleichzeitig auch genau andersherum, was natürlich nicht möglich ist, aber eben subjektiv genau so wahrgenommen wird.
Diese Form der Verzerrung von Wirklichkeit erfahren Personen in Trance häufig. Praktizierende der klassischen Hypnose definierten dieses Phänomen als ein grundlegendes Merkmal von Trance. Trancelogik bedeutet, dass eine Person die Fähigkeit besitzt, logische Ungereimtheiten zu tolerieren, die außerhalb dieses besonderen Bewusstseinszustandes nicht akzeptabel wären. Personen, die sich in diesem Bewusstseinszustand befinden, nehmen solche Ungereimtheiten nicht einmal wahr (Lynn a. Rhue 1991). Einige Zitate, die Trancelogik beinhalten, sind in die Umgangssprache übergegangen: »Ich bin nicht abergläubisch, das bringt nur Unglück« oder »Ich mag keinem Club angehören, der mich als Mitglied aufnimmt«. In diesen Sätzen sind genau solche logischen Ungereimtheiten zu erkennen. Personen, die unter Zwängen leiden, wissen genau, dass die Tür, nachdem sie sie sieben Mal kontrolliert haben, nicht besser verschlossen ist, als nach der sechsten Kontrolle. Trotzdem wird noch einmal kontrolliert. Viele Klienten verweilen über Jahre hinweg in der symptomatischen Wahrnehmung der eigenen Trancelogik. Das ist einer von vielen Gründen, die Hypnose und deren Potenzial bei der Arbeit mit Personen zu nutzen, bei denen Störungen der Verarbeitung von Ereignissen deutlich werden.
Ein weiteres Beispiel für Trancelogik ist die folgende Aussage von Frau C.:
»Ich heirate bald. Das war wirklich mein Wunsch. Mein Verlobter war früher schon verheiratet. Zweimal. Für ihn ist das die dritte Ehe, aber für mich die erste. Ich bin dann die dritte Ehefrau für meinen Mann. Seinen Nachnamen werde ich aber nicht annehmen, ich will ja nicht die dritte Frau C. sein. Ich bin die dritte Frau, aber ich bin gleichzeitig auch nicht die dritte Frau.«
Das Erschaffen, das Ausblenden und das Verzerren von Ereignissen sind mit zwei weiteren Trancephänomenen verbunden: mit der positiven Halluzination und mit der negativen Halluzination.
Ereignisse können aufgebauscht oder reduziert bzw. verkleinert werden.
Das Beispiel einer Klientin, die Ereignisse aufbauscht, ist in einem der Dialoge zwischen Milton Erickson und einem bei ihm studierenden Arzt festgehalten (Parsons-Fein 2013):
Eine 44-jährige Frau litt an manischer Depression und war zwei Mal an Krebs erkrankt. Sie war Mutter dreier Töchter und klagte darüber, dass sie Angst vor allem hätte. Sie lebte von Sozialhilfe und hatte Angst, diese Stütze zu verlieren. Sie hatte Angst, das Haus zu verlassen, allein zu bleiben, die öffentlichen Verkehrsmittel zu nutzen, sie fürchtete sich vor Krankheiten und vor Arztbesuchen. Die Liste aller aufgeführten Ängste war sehr lang. Aus diesem Grund bestand sie darauf, dass ihr jüngstes Kind sie ständig begleitete (die beiden älteren Töchter waren bereits ausgezogen). Sogar zur Therapie wurde sie von ihrer Tochter begleitet. Erickson erstellte eine Strategie für die Therapie, bei der er zuerst die generelle Angst der Klientin vor dem Alleinsein infrage stellte. Er zeigte ihr, dass es Tätigkeiten gab, die sie völlig allein ausführte, bei denen niemand sie begleitete. Daraufhin suchte er Ausnahmen, sodass er letzten Endes Verwunderung bei der Klientin auslöste, die sich in deren Frage äußerte: »Warum nur übertreibe ich dermaßen?«
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