1 ...7 8 9 11 12 13 ...22 Das innere Verarbeiten von Ereignissen verläuft entweder linear, wobei die Wirkung klar aus der Ursache hervorgeht, oder mosaikartig, wobei alle Elemente in gegenseitiger Abhängigkeit miteinander verbunden sind. Bewegt nur ein Schmetterling seinen Flügel auf der einen Seite des Erdballs, so hat das Einfluss darauf, was auf der anderen Seite geschieht.
2.5Diagnosekategorien zum sozialen Funktionieren
Es gibt mehrere diagnostische Kategorien die sich auf das soziale Funktionieren des Klienten beziehen. Hierbei können folgende Fragen berücksichtigt werden:
•Stellt sich der Klient über oder unter andere Personen?
•Sucht er eher Gemeinsamkeiten mit oder Unterschiede zu anderen Menschen?
•Akzeptiert der Klient gesellschaftliche Normen in seinem Verhalten oder zweifelt er sie an?
•Ist der Klient gesellschaftlich aktiv, oder zieht er sich eher zurück?
•Beschuldigt er mehr sich selbst oder seine Umgebung?
Selbstbeschuldigungen, die auf einem hartnäckigen Schuldgefühl beruhen, zeigen sich auf typische Weise in folgender Aussage einer Klientin:
»Nach einem Gespräch mit meiner Mutter fühle ich mich immer schuldig. Ich fühle mich schuldig, wenn ich mit ihr spreche, und wenn ich nicht mit ihr spreche, fühle ich mich erst recht schuldig, und zwar deshalb, weil ich nicht mit ihr spreche.«
Es gibt Menschen, die in Beziehungen zu anderen Energie aufsaugen, was häufig bei depressiven Personen und auch bei Narzissten der Fall ist. Und es gibt Menschen, die Energie ausstoßen, etwa aggressive oder manische Personen oder solche in aufgeladener Stimmung.
Hält man sich in der Gesellschaft von Menschen auf, die Energie aufsaugen, zieht das Müdigkeit, Erschöpfung oder eine gedrückte Stimmung nach sich. In der Umgangssprache werden diese Menschen auch als »Energievampire« bezeichnet. Ist man dagegen mit Personen zusammen, die Energie ausstoßen, kann dies Unruhe, Anspannung, Gereiztheit oder Wut hervorrufen. Beide dieser unterschiedlichen Reaktionen sind für den Empfänger unangenehm. Aus diesem Grund kommt es bei Menschen, die Energie aufsaugen oder ausstoßen, auf lange Sicht oft zu einer Einschränkung der sozialen Kontakte und letzten Endes zu gesellschaftlicher Isolation.
Weitere Informationen zu den Diagnosekategorien zum sozialen Funktionieren kann der Therapeut aus Beziehungen des Klienten gewinnen, oder indem er beobachtet, was sich während der Familientherapie zwischen den Mitgliedern der Familie abspielt.
Die Diagnose in dieser Kategorie stützt sich in bedeutendem Umfang auch darauf, wie der Therapeut den Klienten wahrnimmt, ihn spürt, wie er den Kontakt zu ihm erlebt, wie sich das während der weiteren Sitzungen verändert und welche Emotionen, Assoziationen und Fantasien beim Therapeuten auftauchen. Oft fühlt sich der Therapeut nach dem Treffen mit einem Klienten, der Energie aufsaugt, so erschöpft und ausgelaugt wie nach einer ganzen Arbeitswoche, obwohl es seine erste Sitzung an diesem Tag war. Typischerweise versucht der Therapeut daraufhin, während der nächsten Therapiesitzung noch mehr Kräfte aufzubringen. Dadurch entwickelt sich oft ein Verhältnis zwischen Therapeut und Klient, in dem die Rollen des Gebenden und des Nehmenden immer klarer zugeteilt werden. Je mehr Energie von der einen Seite aufgenommen wird, desto mehr Energie gibt die andere Seite ab. Eine solche Kategorie ist ein wichtiges Signal für den Therapeuten. Das »Aufsaugen von Energie«, das sich metaphorisch auf das Saugen an der Mutterbrust bezieht, kann symbolisch auf einen emotionalen Hunger des Klienten hinweisen, einen Hunger nach Aufmerksamkeit und sozialen Kontakten. Das wiederum kann als Signal für Bedürfnisse gedeutet werden, die in der Vergangenheit nicht befriedigt wurden, die der Klient jedoch weiterhin verspürt. Behandelt der Therapeut Personen, bei denen diese Eigenschaft dominiert, wird er sich in der Therapie höchstwahrscheinlich auf den Trancebereich Regression – Progression beziehen.
2.6Die Position in der Herkunftsfamilie
Diese Kategorie bezieht sich auf die Folgen des langjährigen Funktionierens in der Herkunftsfamilie. Die Konsequenzen daraus, welche Position jemand früher in seiner Familie innehatte, bleiben über Jahre hinweg wirksam. Diese Erfahrungen bilden einen wichtigen Teil der inneren Landkarte, nach der sich Menschen später im Erwachsenenleben richten. Sie sind auch Teil eines individuellen oder familiären Drehbuches, welches das weitere Leben bestimmt. Viele Bereiche sind von diesen Erfahrungen betroffen. Ein Kind beispielsweise, das jahrelang die Position eines Einzelkindes innehatte, bekam zwar dadurch die Chance, mit sich selbst in gutem Kontakt zu stehen, hat dafür aber weniger Erfahrungen in Beziehungen zu Gleichaltrigen und verbringt viel Zeit allein. Ein Kind, das mit Geschwistern aufwächst, lernt im häuslichen Umfeld auf ganz natürliche Weise soziales Verhalten gegenüber Gleichaltrigen. Gibt es in der Familie dagegen nur ein Kind, erfordert es gewisse Bemühungen, dem Kind diese Erfahrungen zu ermöglichen. Ein Einzelkind hat im Alltag mehr Möglichkeiten, sich mit sich selbst zu beschäftigen, ist aber in vielen Familien auch einem immensen Druck seitens der Eltern ausgesetzt, die sich stark auf das Kind konzentrieren. Das wird im folgenden kurzen Gedicht deutlich, verfasst von einem als Einzelkind aufgewachsenen Jungen, der starkem Druck seitens seiner gebildeten und gesellschaftlich hervorragend funktionierenden Eltern ausgesetzt war.
»Unter mir ein Arm,
über mir eine Brust.
Ach welche Qual
und was für ein Frust,
unter mir der Arm
und über mir die Brust.«
Eine starke Konzentration auf das einzelne Kind wird besonders in Familien deutlich, in denen das Kind eine ganz besonders wichtige Rolle im System spielt. Die Familie belastet das Kind mit einem Auftrag, mit einer Mission, die es erfüllen soll, was der Begriff »familiäre Delegation« sehr gut ausdrückt. Sowohl die bloße Tatsache, dass ein »Delegieren« des Kindes stattfindet, als auch der Inhalt dieser Mission, befinden sich außerhalb des Bewusstseins der Eltern und erst recht des Kindes. Das ericksonsche Konzept hebt die unbewussten Aspekte hervor, durch die sich dieses Phänomen herausbildet und verfestigt, was mit dem Begriff der »posthypnotischen Suggestion« bezeichnet wird. Diagnostiziert der Therapeut den Inhalt der Suggestion, die Person, die diese gesendet hat, sowie die Gegebenheiten, unter denen die Suggestion formuliert wurde, ermöglicht ihm das, während der Trance die destruktiven Aufträge der Familie zu modifizieren. Im Abschnitt 3.9zur posthypnotischen Suggestion wird auf dieses Thema genauer eingegangen.
Das älteste Kind in der Familie lernt es, fürsorglich zu sein, es fällt ihm aber schwer, die Fürsorge anderer anzunehmen. Das jüngste Kind hat normalerweise viel Erfahrung darin, die Zuwendung anderer zu akzeptieren, hat jedoch wenig Gelegenheit zu lernen, wie man anderen Menschen Unterstützung und Fürsorge zuteil werden lässt. Es fällt ihm leichter, um Hilfe zu bitten, als dem älteren Kind. Das mittlere Kind, das sich zwischen dem ältesten und dem jüngsten befindet, gewinnt Erfahrungen in Mediation und Zusammenarbeit mit Personen ähnlichen Alters. Wichtig ist aber auch, wie lange das Kind seine Position in der Familie innehatte. Ist man das älteste Kind in der Familie und das nächste Kind kam erst sieben Jahre später zur Welt, so war man doch viele Jahre in der Position eines Einzelkindes. Wuchs ein Kind als jüngstes von fünf Geschwistern auf und war der einzige Junge unter vier Schwestern, so sind seine Erfahrungen völlig anders als die des jüngeren zweier Brüder.
Herr D. war ein kinderloser, sympathischer Mann mittleren Alters. Er hatte eine freundliche Stimme. Mit seinem leichten Übergewicht und einem rundlichen, rosigen, lächelnden Gesicht sah er aus, wie aus dem Ei gepellt. Seit Jahren besuchte Herr D. täglich seine Mutter, um bei ihr Mittag zu essen. Mit der Therapie begann er, als seine dritte Ehe kurz vor dem Scheitern stand. Seit einigen Monaten lebten die Eheleute getrennt. Nach der Scheidung von seiner zweiten Frau hatte er in einer längeren eheähnlichen Partnerschaft gelebt, die ebenfalls auseinandergebrochen war. Jede Trennung war auf seine Initiative erfolgt. Bei seiner ersten Scheidung war Herr D. überzeugt, einfach an eine schlechte Frau geraten zu sein. Die zweite Frau beschrieb er als nicht reif genug für die Ehe: »Als Freundin war sie gut, aber sie war überhaupt nicht in der Lage, sich um ihren Ehemann und um das Haus zu kümmern, sie wusste nicht, was es bedeutet, Ehefrau zu sein. Mir war klar, dass es in dieser Ehe für mich absolut keine Zukunft gab.« Als dann die nächste wichtige Beziehung kurz vor dem Zerbrechen stand, neigte Herr D., wie bereits in den vorangegangenen Beziehungen, anfangs dazu, seine Frau für das Scheitern verantwortlich zu machen. Bevor er aber erneut die Scheidung einreichte, kam ihm der Gedanke, dass er, wenn es so weiterginge, niemals eine für sich geeignete Person finden und somit allein bleiben würde. Das wollte er absolut nicht. Ein Leben ohne Frau lag außerhalb seines Vorstellungsvermögens. Bei der ersten Sitzung meinte Herr D., der Therapeut solle ihm dabei helfen, seine Partnerinnen besser auszuwählen. »Vielleicht mache ich irgendeinen Fehler, von dem ich nichts weiß, dass ich mich immer in die falschen Frauen verliebe.«
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