Die Trancephänomene laufen in einem Bereich ab, der vom Klienten nicht bewusst wahrgenommen wird. Sie können folgendermaßen verstanden und eingesetzt werden:
•als Antwort bzw. Reaktion auf eine Suggestion des Therapeuten
•als spontane (nicht suggerierte) Aktivität des Klienten während der Therapiesitzung
•als eine im täglichen Leben auftretende Manifestation des Unbewussten, die sich im Verhalten des Klienten beobachten lässt.
Hier möchte ich mich auf die Trancephänomene konzentrieren, die sich im alltäglichen Leben des Klienten als sich wiederholende Manifestationen des Unbewussten zeigen. Auf die beiden ersten Möglichkeiten, wie Trancephänomene verstanden werden können, möchte ich nur kurz eingehen.
Trancephänomene können suggeriert werden, also vom Therapeuten während einer Therapiesitzung hervorgerufen. Derartige Reaktionen sind sowohl für den Klienten als auch für den Therapeuten von Bedeutung. Zeigt der Klient auf eine Suggestion hin ein Verhalten, das von seinen alltäglichen Erfahrungen abweicht, so gilt das für den Therapeuten als Bestätigung dafür, dass sich der Klient in Trance befindet. Dieses Verständnis der Trancephänomene war über viele Jahre hinweg vorherrschend und charakteristisch für die klassische Hypnose. In der klassischen Hypnose galt es als Trancephänomen, wenn der Klient im Zustand der Trance ein Verhalten zeigte, das für den Trancezustand charakteristisch war, außerhalb dieses Zustandes jedoch nie auftrat. Man könnte eine lange Liste der am häufigsten suggerierten Reaktionen anführen: Entspannung, Handlevitation, Dissoziation (sowohl auf mentaler als auch auf physischer Ebene), Halluzination (positive oder negative), Anästhesie, Analgesie, Altersregression, ideomotorisches Verhalten, Katalepsie, Störungen der Zeitwahrnehmung, Amnesie, Hypermnesie, automatisches Verhalten (automatisches Schreiben oder Zeichnen) sowie posthypnotische Suggestion.
Für den Therapeuten, der die Sitzung durchführt, sind diese Reaktionen auch ein Beleg dafür, dass der Klient mitarbeitet. Kommt es allerdings zu keiner Zusammenarbeit, erhält der Therapeut das Signal, einen anderen Bereich für eine Zusammenarbeit auszuwählen, oder die Technik, die er anwendet, zu modifizieren. Trancephänomene können entweder direkt oder aber indirekt suggeriert werden. Dies hängt davon ab, ob eine Person gut auf Suggestionen reagiert, oder ob sie sich dagegen sträubt und genau das Gegenteil tut. Diese Art der Reaktion, bei der der Klient das Gegenteil von dem tut, was ihm suggeriert wurde, wird Kontra-Suggestibilität genannt und ist vor allem bei Klienten typisch, die in der Kindheit Druck vonseiten der Eltern, oder zumindest eines Elternteils, ausgesetzt waren.
Trancephänomene wahrzunehmen ist auch für den Klienten sehr wichtig. Dadurch gewinnt er die Erfahrung, sich selbst, seine Emotionen und Signale seines Körpers anders als in der gewohnten Weise zu erleben. Der Klient bekommt die Möglichkeit, sich selbst zu erfahren und denkt anders über sich, als er es früher getan hat. Er entdeckt sich selbst und unbekannte, bisher nicht zugängliche Seiten seiner Persönlichkeit. Oft ist der Klient über sich und seine Reaktionen erstaunt.
Trancephänomene können auch während der Therapiesitzung als spontane und nicht vom Therapeuten provozierte Aktivitäten auftreten, was darauf hindeutet, dass beim Klienten eine wesentliche Engführung der Aufmerksamkeit vorliegt. Hierfür könnte man folgende Beispiele anbringen: das kataleptische Anhalten der verbalen oder nonverbalen Aktivität für einige Sekunden (oder länger), was umgangssprachlich als »vor sich hin starren« oder »geistesabwesend sein« bezeichnet wird, intensive und deutliche emotionale Reaktionen, hervorgerufen durch das Erzählen von längst vergangenen Ereignissen (Altersregression und Assoziation) sowie Reaktionen wie Schwitzen oder Zittern während eines Gesprächs über bevorstehende Prüfungen (Zeitprogression und Assoziation) und lebhafte Erinnerungen an schmerzhafte Details und scheinbar vergessene Geschehnisse aus der Vergangenheit (Hypermnesie). Manchmal ist der Klient auch verwundert darüber, dass die Sitzung so schnell vergangen ist, wo sie doch eben erst begonnen hatte, die Uhr aber anzeigt, dass bereits eine Stunde ins Land gegangen ist (Störung der Zeitwahrnehmung). Oft lässt sich auch beobachten, dass es während der Trance spontan zum Auftreten von Trancelogik kommt, die als »Fähigkeit des sich in Trance befindenden Individuums, logische Ungereimtheiten zu demonstrieren« verstanden wird (Wall 1991). Zumindest einige Trancephänomene, die als spontane, wesentliche Engführung der Aufmerksamkeit verstanden werden, sind bereits deutlich früher beobachtet worden, als die Anfänge der klassischen Hypnose datiert werden. Verhaltensweisen wie »mit offenen Augen träumen« (vor sich hin starren), Schlafwandeln, ohne sich daran erinnern zu können, oder was heute posttraumatisches Belastungssyndrom genannt wird und früher als Kriegsneurose bekannt war, wurden als spontane Manifestationen andersartiger Zustände im täglichen Leben angesehen (Rossi a. Cheek 1988). Erst später begann man damit, die beobachteten Phänomene durch Suggestion in der Hypnose (experimentell oder klinisch) hervorzurufen. Der Erfolg solcher Versuche wurde mit einer erhöhten Suggestibilität der Person oder mit den Kompetenzen des Therapeuten erklärt. Die hier beschriebenen Phänomene sind aber nicht das Wesen der Hypnose, sie sind viel verbreiteter und treten weit häufiger auf, als nur im Kontext von Hypnose.
Seitdem Milton Erickson den Begriff »Trance« erweiterte und ihn nicht nur dafür nutzte, was in der Praxis des Therapeuten geschah, sondern auch dafür, was im täglichen Leben passierte, kann man Trancephänomene als einen Versuch verstehen, äußere Manifestationen des Unbewussten zu beschreiben oder zu systematisieren. Gerade diese Beschreibung ist überaus interessant, wenn es um die Diagnose im Bereich der dominierenden Trancephänomene geht. Obwohl jede Person individuell und einzigartig ist, können dennoch gewisse Verhaltensweisen, wenn sie sich im täglichen Leben häufiger wiederholen als andere, in bestimmte Konstellationen eingeordnet werden. Trancephänomene können sowohl bei einzelnen Personen als auch in Familien festgestellt werden.
Hierbei geht es gar nicht um bestimmte Ereignisse, sondern eher um eine Tendenz, um eine gewisse Atmosphäre oder emotionale Färbung, die einer Person oder einer Familie eigen ist. Gerade bei Familien ist dies besonders deutlich wahrnehmbar: Manche Familien sind sehr offen, andere eher verschlossen oder gar feindselig, manche Familien wirken düster, andere heiter, manche redselig, wieder andere eher schweigsam.
»Jede Familie besitzt einen kollektiven Bereich des Unbewussten, in diesem Gebiet entwickeln sich Symptome […]. Genau das ist die Familientrance« (Rittermann 1987).
Es existieren unbeschreiblich viele Dimensionen, Klänge und Färbungen. Stimmt man mit Erickson überein, dass Trance und die damit verbundenen Phänomene im normalen täglichen Verhalten des Klienten gegenwärtig sind, so kann dieser Teil der Diagnose auch auf Tranceerfahrungen basieren, die außerhalb des therapeutischen Kontextes auftreten. Der Charakter dieser Phänomene, ihre Häufigkeit und Stärke, unterscheidet sich von Person zu Person und manifestiert sich bei jedem Individuum auf ganz charakteristische und unterschiedliche Weise. Unabhängig von der persönlichen Neigung können sich die Phänomene auch situationsbedingt unterscheiden. Erkenntnisse zu den dominierenden Tranceerfahrungen im täglichen Leben erlangt der Therapeut über Erzählungen des Klienten und seiner Familienangehörigen. Darüber hinaus beobachtet der Therapeut das Verhalten des Klienten während der Therapie. Die Schlussfolgerungen, die er hieraus zieht, sind eine mögliche Grundlage, um eine Diagnose im Bereich der Trancephänomene zu stellen.
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