Der Siegeszug des Empowerment-Konzeptes durch die Herzen und Köpfe der sozialen Professionals, seine Avance zur modischen Fortschrittsformel, hat aber auch Schattenseiten. Schon mehren sich skeptische Stimmen. Das Empowerment-Gehäuse – so die Kritik – ist durchzogen von einem Mangel an begrifflicher Schärfe, konzeptueller Differenziertheit und methodischer Prägnanz. Empowerment erscheint in den Augen vieler nurmehr als ein modisches Fortschrittsetikett, das auf die Verpackungen altvertrauter und schon angestaubter Handlungskonzepte und Praxisrezepturen aufgeklebt wird. Empowerment ist ihnen so nicht mehr denn die modische Formel einer Fortschrittsrhetorik, die über veränderte Sprachmuster hinaus wenig Neues anzubieten hat. Und in der Tat: Eine kurze Reise durch die Vielzahl neuer Veröffentlichungen zum Thema dokumentiert recht nachdrücklich die »vielen Gesichter des Empowerment«: Unterschiedliche begriffliche Konnotationen, thematische Brennpunkte und abgeleitete methodische Rezepturen machen es schwer, den Kern dieses Konzeptes auszumachen und seinen Anregungsgehalt zu bestimmen.
In dieser unübersichtlichen Situation zwischen hoffnungsvollem Aufbruch und kritischer Zurückweisung liefert die vorliegende Arbeit eine Einführung in das Grundgerüst des Empowerment-Konzeptes. Ihr Ziel ist es, die zentralen Eckpfeiler dieses Konzeptes vorzustellen und seine produktiven Beiträge für eine neue Kultur des Helfens zu buchstabieren. Die Arbeit folgt dabei folgendem Argumentationsfaden: Am Anfang steht eine kurze Übersicht über die Definitionen, die in der Literaturlandschaft angeboten werden ( Kap. 1), gefolgt von einer historischen Spurensuche, die die Entwicklungslinien des Empowerment-Konzeptes im Kontext der Sozialen Bewegungen und der aktuellen Individualisierungsdebatte nachzeichnet ( Kap. 2). Der Hauptteil der Arbeit folgt der Metapher einer »Reise in die Stärke«: Diese Reise beginnt an biographischen Nullpunkten – dort, wo Menschen von oft entmutigenden Erfahrungen von Ohnmacht und erlernter Hilflosigkeit betroffen sind ( Kap. 3). Empowerment nutzt vielfältige Werkzeuge und methodische Instrumente. Der Werkzeugkoffer der Empowerment-Arbeit wird in den folgenden Kapiteln (
Kap. 4– 7) vorgestellt, sortiert nach den Ebenen der Person, der Gruppe, der Organisation und des Sozialraumes. Zielstationen dieser Reise in die Stärke sind die Aneignung neuer personaler Ressourcen einer autonomen Lebensgestaltung und die Erschließung neuer sozialer Ressourcen in der unterstützenden solidarischen Vernetzung mit anderen (
Kap. 8). Eine Diskussion der Stolpersteine, die der Verwirklichung einer Empowerment-Praxis im Wege stehen (
Kap. 9), sowie der Versuch einer Profilierung der professionellen Identität von Sozialer Arbeit im Licht des Empowerment-Konzeptes ( Kap. 10) stehen am Ende der Arbeit.
Die vorliegende Arbeit hat den Charakter einer Einführung. Sie leistet eine Übersetzung des Empowerment-Konzeptes aus dem angloamerikanischen Sprachraum, liefert eine Bilanz der Rezeptionslinien in unseren Breitengraden und versucht, die noch offenen Fäden und Enden der Debatte zusammenzubinden. In einer Situation, in der die Diskussion noch offen und im Fluß ist, ist es sicher verfrüht, das Empowerment-Konzept in eine geschlossene und endgültige Form gießen zu wollen. Diese Arbeit trägt daher mit Notwendigkeit den Charakter des Unfertigen. Sie ist ein Steinbruch von konzeptuellen Orientierungen, methodischen Angeboten, berufspraktischen Perspektiven, ein Patchwork von Ideen, das es möglich macht, die Konturen einer produktiven Empowerment-Praxis für die Soziale Arbeit zu zeichnen.
Düsseldorf, im Herbst 1997 |
Norbert Herriger |
Vorwort zur sechsten Auflage
»Des Menschen größtes Verdienst bleibt wohl, wenn er die Umstände soviel als möglich bestimmt und sich so wenig als möglich von ihnen bestimmen läßt« (Goethe)
Das Nachdenken über Empowerment währt im deutschsprachigen Raum bereits mehr denn zwei Jahrzehnte. Das Empowerment-Konzept hat in dieser Zeitspanne eine intensive Rezeption in den wissenschaftlichen und berufspraktischen Diskursen erfahren. Kaum ein Fachlexikon und Grundlagenwerk in der Sozialen Arbeit, das auf das Stichwort Empowerment verzichtet, kaum eine Fachtagung, die die Position einer ressourcenorientierten Sozialen Arbeit ausblendet, kaum ein Modellprojekt und kaum ein Konzeptionsentwurf, die Empowerment-Perspektiven nicht in ihren Zielkatalogen aufführen. Diese Aktualität ist freilich mehr denn nur modische Attitüde. Vor allem drei unterschiedliche Rezeptionslinien werden hier sichtbar:
(1) Empowerment und Professionalisierung: Das Empowerment-Konzept hat zum einen Einzug in die aktuelle wissenschaftliche Debatte über ein angemessenes Konzept sozialarbeiterischer Professionalität gehalten, das eine tragfähige Grundlage für das berufliche Selbstverständnis der sozialen Praxis bilden kann. Gemeinsam ist dieser vielstimmigen Debatte der Abschied von einer expertokratischen Professionalität, die sich von der Vorstellung leiten läßt, soziale Probleme seien allein durch wissenschaftsbasierte soziale Technologien zu lösen. Der Glaube an eine solche technisch-instrumentelle Professionalität der Sozialen Arbeit schwindet. Gefordert wird mehr und mehr eine psychosoziale Praxis, die sich von Mustern einer bevormundenden und expertendominierten Hilfe abwendet, die lebensgeschichtlich erworbenen Kapitale von personalen und sozialen Ressourcen ihrer Adressaten achtet, fördert und vermehrt und ihr Partizipations- und Entscheidungsrecht, ihre Selbstverfügung und Eigenverantwortung in der Gestaltung von Selbst und Umwelt zur Leitlinie der helfenden Arbeit macht. Mit diesem Kurswechsel der Professionalisierungsdebatte aber gerät das Empowerment-Konzept an prominenter Stelle auf die Tagesordnung der wissenschaftstheoretischen Debatte.
(2) Empowerment und die innere Reform der sozialarbeiterischen Praxis: In der jüngsten Zeit mehren sich zum anderen in den unterschiedlichen Handlungsfeldern der psychosozialen Praxis konkrete Arbeitsanleitungen, die Hilfestellungen für einen Umbau und einen veränderten Zuschnitt der pädagogischen Arbeit entlang der Leitlinien des Empowerment-Konzeptes vermitteln. Die theoretische Folie des Empowerment-Konzeptes wird hier praktisch gewendet – sie wird genutzt, um institutionelles Selbstverständnis und Organisationsleitbild, Klientenbild und Methodenkatalog, administrativen Zuschnitt und Problemlösungsverfahren der praktischen Arbeit zu verändern und so in der alltäglichen pädagogischen Arbeit eine neue, ressourcenorientierte Kultur des Helfens zu realisieren.
(3) Empowerment und der »aktivierende Sozialstaat«: Der sozialpolitische Wind wird rauer. Angesichts von struktureller Arbeitslosigkeit und leeren Haushaltskassen vollzieht sich ein tiefgreifender Umbau der sozialstaatlichen Strukturen (Stichworte hier: Agenda 2010; SGB II; Deregulierung des Arbeitsmarktes). Unter dem Signum des »aktivierenden Sozialstaates« konturiert sich eine neue Sozialpolitik, die zwar an der öffentlichen Verantwortung für gesellschaftliche Aufgaben festhält und soziale Chancengerechtigkeit auf ihre Fahnen schreibt, die die Bürger zugleich aber auf eine umfassende Arbeitsmarktintegration verpflichtet (»Fördern und Fordern«). In dieser neuen Effizienzkultur des Ökonomischen werden die Bereitschaft und die Fähigkeit des einzelnen, sein Arbeitsvermögen in die engen Nischen des Arbeitsmarktes einzupassen, zur zentralen Benchmark einer erfolgreichen Sozialpolitik. Im Windschatten dieser neoliberalen Umbauprogrammatik aber gerät das Empowerment-Konzept in neue Zugzwänge. Es sieht sich zunehmend mit sozialpolitischen Instrumentalisierungen konfrontiert, die Empowerment zu einem Handlungskonzept verkürzen, welches die Menschen zu Eigenqualifikation und umfassender Wettbewerbsfähigkeit, zu Flexibilisierung des subjektiven Arbeitsvermögens und einem ökonomischen Zuschnitt ihrer Lebenswelt anhält. Aus dem Blick gerät hingegen Empowerment als ein Projekt, das die Autonomie und den Eigen-Sinn der Lebenspraxis der Menschen achtet und ihnen bei der Suche nach einem Mehr an Selbstbefähigung und Selbstbestimmung auch jenseits der Verwertungslogik des Arbeitsmarktes ein unterstützender Wegbegleiter ist. Diese aktuellen Rezeptionslinien werden nachgezeichnet und kritisch diskutiert.
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