Wir mögen noch so weit weglaufen, es ist nicht aufzuhalten – ganz egal ob man es vorher geträumt hat oder nicht. Es kann nicht ausbleiben: Eines Tages werdet ihr dem Tod begegnen – und zwar genau am vorgesehenen Ort.
Die Richtungen, in die wir rennen, mögen sich unterscheiden, unsere Routen mögen sich unterscheiden, ebenso wie das Tempo unserer Pferde – das ist möglich. Aber letztlich macht es nicht viel Unterschied. Irgendwann, unter irgendeinem Baum, wird sich eine Hand auf eure Schulter legen. Dann werdet ihr dem ins Auge sehen, vor dem ihr davongerannt seid. An dem Tag werdet ihr Angst empfinden. Tatsächlich seid ihr auf das zugerannt, wovor ihr wegrennen wolltet.
Vor dem Tod gibt es kein Entrinnen. Ganz egal wohin wir rennen mögen, wir rennen dem Tod in die Arme. Unser Rennen selber führt uns zum Tod. Jeder, der rennt, wird beim Tod ankommen. Ein Armer mag vielleicht nur sehr langsam rennen. Er hat kein Pferd, also muss er ohne Pferd rennen. Ein Reicher mag mit einem stattlichen Pferd rennen, und Kaiser mögen mit einem richtigen Rennpferd rennen. Aber letzten Endes werden die Leute ohne Pferd genau am selben Ort ankommen, wie die Leute mit Pferd – beim Tod. Was ist also die Lösung? Welchen Weg wählen? Was kannst du machen?
Zunächst möchte ich euch darauf aufmerksam machen, dass alles, was ihr macht, egal was, zum Tod führen wird. Das braucht euch nicht zu überraschen. Schon in der Vergangenheit hat alles, was die Leute gemacht haben, sie zum Tod geführt. Nur ganz Wenige sind dem Tod entronnen. Nur macht ihr keineswegs das, was sie gemacht haben, um den Tod zu überwinden. Alle Vorbereitungen, die ihr trefft, sind einfach Vorbereitungen für den Tod. Ob es euch nun gefällt oder nicht, aber die Wahrheit ist: All unsere Vorbereitungen sind nichts als Vorbereitungen auf den Tod. An diesen drei Tagen möchte ich euch sagen, woran ihr erkennen könnt, dass ihr euch auf den Tod vorbereitet, und was für Vorbereitungen für das Leben man treffen kann.
Durchaus möglich, dass ihr zutiefst den Wunsch habt, das Leben kennenzulernen und zu entdecken. Tatsächlich gibt es keinen einzigen Menschen, der nicht den Wunsch hat, das Leben zu finden. Und doch existiert eine Art Wahnsinn, ein tiefer Wahnsinn, der die gesamte Menschheit befallen hat. Sobald ein Säugling auf die Welt kommt, wird er in ebendiesen Wahnsinn eingeweiht. Vielleicht ist das natürlich. Würde das Kind nicht eingeweiht, würden wir es für wahnsinnig halten. Als Mahavira von zu Hause wegging, hielten ihn alle für wahnsinnig. Als Buddha von zu Hause wegrannte, hielt man auch ihn für wahnsinnig, und Christus wurde ebenfalls für irre gehalten. Die gesamte Menschheit ist irre, also hält man, wenn ein vernünftiger Mensch geboren wird, ihn für irre. Vielleicht versteht ihr besser, was ich sagen will, wenn ich euch eine kurze Geschichte erzähle …
Eines Tages ging ein alte Frau bei Tagesanbruch zum Dorfbrunnen, warf etwas hinein und verkündete, jeder, der das Wasser des Brunnens trinke, werde wahnsinnig. Es gab nur zwei Brunnen in diesem Dorf. Einer befand sich im Dorf, und der andere im Palast des Königs. Bis zum Abend waren alle im Dorf bereits wahnsinnig, da sie notgedrungen das Wasser aus ihrem Brunnen trinken mussten. Nur drei Personen – der König, die Königin und sein Großwesir brauchten das Wasser des Dorfbrunnens nicht trinken und waren daher als Einzige nicht wahnsinnig geworden. Im Dorf ging das Gerücht um, der König sei offenbar verrückt geworden. Was ja nicht weiter verwunderlich ist: Wenn das ganze Dorf verrückt geworden ist, kommt jeder, der es nicht ist, allen anderen eindeutig verrückt vor. Das kann man an seinen Fingern abzählen. Folglich waren die Leuten im Dorf tief bestürzt und verstört, darunter auch einige große Denker …
Verrückte sind normalerweise große Denker. Damit schrumpft der Unterschied zwischen einem Wahnsinnigen und einem Denker: Denker werden oft wahnsinnig, und Wahnsinnige fangen oft an zu denken.
Also gab es unter diesen Verrückten auch einige Denker und Politiker. Sie alle steckten die Köpfe zusammen und überlegten, was zu tun sei. Um das Schlimmste zu vermeiden, hielten sie es für das Beste, den König zu beseitigen. „Wenn der König wahnsinnig ist, wer soll dann das Reich regieren?“ Am Abend versammelten sie sich vor dem Palast und skandierten laut Slogans des Inhalts, der König und der Großwesir seien wahnsinnig, die Königin ebenfalls, jetzt wären sie gezwungen, den König zu beseitigen.
Der König stand mit seiner Königin und dem Großwesir auf der Dachterrasse des Palastes und sie berieten, was zu tun sei. All ihre Diener und Soldaten waren wahnsinnig geworden, so wie alle anderen auch, also musste etwas geschehen … Der König sagte zum Großwesir: „Mach schon, lass dir was einfallen!“ Dieser erwiderte: „Uns bleibt nichts anderes übrig, als unverzüglich Wasser aus dem Dorfbrunnen zu holen und zu trinken.“ Alle drei versprachen den Leuten: „Wartet! Lasst uns erst unsern Wahnsinn kurieren!“
Sie gingen hinunter und tranken das Wasser. Am Abend feierte das Dorf ein Freudenfest. Die Leute tanzten und sangen – der König war wieder zur Vernunft gekommen!
Die Menschheit ist in den Klauen eines tiefen und unausrottbaren Wahnsinns – und wir übertragen diesen Wahn auf jede neue Generation. Und alle Kinder, die sich dagegen sträuben, werden für Rebellen gehalten. Die Kinder, die diesen Wahn nicht übernehmen wollen, halten wir für wahnsinnig; und um sicherzustellen, dass auch sie wahnsinnig werden, zwingen wir ihnen unsere Lebensweise auf.
Auf dieser Welt vernünftig zu sein, ist äußerst gefährlich; ein vernünftiger Mensch muss für seine Vernunft einen hohen Preis zahlen. Dem einen droht eine Kugel, der andere muss Gift trinken, der dritte gehört gekreuzigt. Vernünftige Leute haben in einer Welt voller Verrückter nichts zu suchen. Je verrückter einer in dieser Welt ist, desto sympathischer wirkt er, da er einer von uns zu sein scheint. Er scheint demselben Weg zu folgen wie wir auch.
Also werde ich darüber zu euch sprechen, wie man diesen Zustand tiefen Wahnsinns loswerden kann, der die Menschheit im Griff hat. Wenn ihr keinen Ausweg zu finden versucht, kommt unweigerlich der Tod. Ihr könnt euch noch sosehr auf den Kopf stellen, am Ende wird der Tod euch ereilen – nicht unbedingt in ferner Zukunft. Es kann euch schon morgen erwischen, er kann euch heute erwischen. Es kann euch auf der Stelle erwischen.
Heut Abend also bedenkt und erwägt Folgendes: Wenn alles, was ihr tut, euch nur zum Tod führt, was für einen Sinn hat es dann, es zu tun? Wenn alles, was ihr tut, eure Füße nicht zur Unsterblichkeit lenkt, wenn eure Augen nicht auf die Unsterblichkeit gerichtet sind, und wenn euer Leben nicht dorthin geht, wo kein Tod vorkommt, was für einen Zweck hat es dann? Warum dann überhaupt?
Das Leben ist eine Chance. Alle Zeit, die wir verloren haben, ist einfach unwiederbringlich. Die Chance, die das Leben bietet, kann man auf vielerlei Art und Weise nutzen. Was immer wir auch damit anfangen, verändert unser Leben entsprechend. Die einen nutzen sie, um Geld zu machen. Ihr ganzes Leben lang nutzen sie jede Gelegenheit, die sich ihnen bietet, wenden sie all ihre Energie daran, Reichtum anzuhäufen. Doch wenn sie dem Tod ins Auge sehen, wird all ihr Reichtum nutzlos. Manche rackern sich ihr Leben lang damit ab, diese Chance zu nutzen, um berühmt und angesehen zu werden und ihr Ego zu befriedigen. Doch wenn der Tod kommt, nützt ihnen all ihr Ego, Ruhm und Ansehen nichts.
Woran also erkennt ihr, dass ihr nicht umsonst gelebt habt? Nur daran, dass alles, was ihr im Leben verdient habt, nicht umsonst gewesen sein darf, wenn der Tod vor eurer Tür steht. Aug in Auge mit dem Tod, muss all das, wofür ihr die Chance des Lebens genutzt habt, wofür ihr euer Leben aufs Spiel gesetzt habt, seine Gültigkeit behalten. Nur das hat angesichts des Todes Bedeutung, was wahrhaft bedeutend ist; alles andere ist wertlos. Ich wiederhole: Einzig und allein das ist bedeutend, was auch angesichts des Todes bedeutend bleibt, und alles andere ist wertlos.
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