Wer die Finsternis für das Licht hält, wird nicht nach dem Licht suchen. Wer den Tod für das Leben hält, wird um das Leben betrogen werden. Wenn das, was wir denken und verstehen, falsch ist, wird das Endergebnis unseres Leben zwangsläufig falsch sein. Was wir suchen, beruht auf dem, was wir verstehen. Also möchte ich als Erstes sagen, dass nur ganz wenigen Menschen die Wahrheit zuteil wird. Jedem wird die Geburt zuteil, und die meisten von ihnen missverstehen ihre Geburt als Leben. Das, was wir Leben nennen, ist nur eine Gelegenheit, das Leben zu entdecken, das Leben zu finden – oder auch nicht. Aufgrund dieser Gelegenheit können wir das Leben sowohl finden als auch verfehlen.
Das, was wir Leben nennen, ist nur eine Gelegenheit, ist nur eine Möglichkeit. Es ist ein Saatkorn, aus dem etwas aufblühen kann oder nicht. Durchaus möglich, dass das Saatkorn keine Frucht bringt, nicht aufgeht, keine Blumen, keinen Ertrag hervorbringt. Beides ist möglich. Bisher bleibt das Saatkorn der meisten Menschen jedenfalls unfruchtbar. Nur in ganz wenigen Fällen sprießt das Leben eines Menschen, blühen Blumen, beginnt er zu duften. Das sind die wenigen Menschen, die wir anbeten und nicht vergessen. Nur eines vergessen wir immer – nämlich dass dasselbe Saatkorn auch in uns selber steckt, dass wir genau denselben Duft entfalten könnten.
Und all unsere Anbetung und Gebete sind vergeblich, sind bloße Vortäuschung, Heuchelei – es sei denn, jemand erträgt es angesichts von Leuten wie Mahavira, Buddha, Krishna und Christus nicht länger, dass auch er dasselbe Saatkorn enthält und dasselbe ewige Leben erreichen kann wie sie.
Um dieses Leid, um diesen Schmerz zu vermeiden, haben wir Krishna, Buddha und Mahavira zu Göttern erklärt. Wären sie so gewöhnliche Menschen wie wir, würden wir vor Scham darüber, Menschen zu sein, versinken. Wären sie genauso wie wir, hätten wir keine Chance zu fliehen, gäbe es keinen Ort, wo wir uns verkriechen könnten. Nur um diese Demütigung, diese Qualen und Schmerzen zu umgehen, sind wir darauf verfallen, sie Gott, Sohn Gottes, Teerthankaras und wer weiß was zu nennen. Indem wir sie Gott, Sohn Gottes, Teerthankara nannten, haben wir ihnen törichte Dinge angedichtet. All diese Leute waren genau wie wir, waren gewöhnliche Irdische. Doch die meisten menschlichen Saatkörner sind unfähig aufzublühen. Nur ganz wenige Saatkörner des Lebens blühen so vollkommen auf, dass ein göttliches Licht durch sie zum Ausdruck kommt.
Wenn die Religion überhaupt einen Zweck hat, dann diesen: Alle Saatkörner sollten das werden, wozu sie bestimmt sind; was in ihnen verborgen ist, sollte zum Ausdruck kommen. Solange wir nicht erkennen, dass das, was wir tun, und die Richtung, die wir eingeschlagen haben, völlig verkehrt ist, wird keine Revolution, keine Transformation, keine Umkehr möglich sein. Dies ist das Erste, was ich euch heute sagen möchte.
Was wir Leben nennen, ist nicht mehr als ein langsames und allmähliches Sterben von Tag zu Tag. Wie kann man ein so endloses Sterben Leben nennen? Wenn ein Mensch nach siebzig Jahren stirbt, ist er siebzig Jahre lang nur gestorben. Der eine mag nach hundert Jahren sterben, ein anderer nach fünfzig Jahren – wir machen einfach schweigend weiter und halten dieses nicht enden wollende Sterben für Leben. Heute ist deine Lebensspanne einen Tag kürzer als sie gestern war, und morgen wird sie noch einen Tag kürzer sein. Was ihr für ein zunehmendes Alter haltet, ist tatsächlich ein abnehmendes Alter. Die Tage, die ihr als Geburtstage feiert, sind nichts als Meilensteine, die den nahenden Tod ankündigen. Und nachdem wir in alle Richtungen gerannt sind, kommen wir am Ende beim Tod an.
Wir rennen kopflos durch die Gegend, wir sichern uns auf jede erdenkliche Weise ab, wir machen alles und jedes, aber all unser Herumgerenne ist nichts weiter als ein Versuch, den Tod zu vermeiden. Der eine mag Reichtum anhäufen, der andere mag den Hals nicht von Ruhm vollkriegen, der dritte mag Statussymbole sammeln, und wieder ein anderer mag unersättlich nach Macht gieren. All diese Bemühungen drehen sich nur nur um das Eine. Damit wir uns, wenn der Tod kommt, verteidigen, vor ihm schützen können. Aber all diese Maßnahmen scheitern. Der Tod kommt trotzdem.
Dazu fällt mir eine kleine Geschichte ein … Ein Kaiser aus Damaskus sah sich eines Nachts im Traum neben seinem Pferd unter einem Baum stehen. Von hinten kam ein dunkler Schatten und legte ihm seine Hand auf die Schulter. Als er sich umdrehte, erschrak er. Der Schatten sagte: „Ich bin der Tod, und morgen werde ich kommen und dich holen, mach dich also bereit und sei pünktlich am vorbestimmten Ort.“
Er wachte auf, der Traum verschwand, aber er hatte Angst. Am Morgen rief er alle großen und berühmten Astrologen seines Reiches herbei, darunter auch angesehene, in der Traumdeutung bewanderte Gelehrte, und wollte wissen: „Was hat folgender Traum zu bedeuten, was will er mir sagen? Gestern Nacht sah ich im Traum einen dunklen Schatten, der mir seine Hand auf die Schulter legte mit den Worten: ‚Ich bin der Tod, und morgen werde ich kommen und dich holen, mach dich also bereit und sei pünktlich am vorbestimmten Ort.‘“
Die Zeit drängte. Ihm blieb nur dieser eine Tag, denn am Abend wollte der Tod bei Sonnenuntergang kommen. Die Astrologen sagten: „Wir können nicht lange überlegen: Nimm einfach dein schnellstes Pferd und reite so weit wie möglich davon. Je weiter weg du gehst, desto besser.“
Eine andere Wahl schien es nicht zu geben. Was hätte einem auch sonst einfallen können? Nur dies war die Lösung: Er musste sich so weit wie möglich von seinem Palast, von seinem Reich entfernen. Wie sonst könnte er sich retten? Wenn euch einer gefragt hätte, was hättet ihr vorgeschlagen? Oder wenn man mich gefragt hätte, was sonst hätte ich sagen können? Der Rat dieser Astrologen war richtig. Der Mensch ist geistig zu beschränkt, um eine bessere Lösung zu finden.
Es war kristallklar: Er musste aus dem Palast weg, um sich vor dem Tod zu retten. Der Kaiser hatte mehr als genug Rennpferde. Er besaß die schnellsten und besten und ließ eines dieser Pferde kommen, bestieg es, und schon schoss es los. Es rannte schneller als ein Pfeil, und angesichts dieses Tempos wurde der Kaiser immer entspannter. Also gewann er mehr und mehr Zuversicht: Bei diesem Tempo konnte ihn niemand mehr einholen, jetzt war Rettung in Sicht!
Längst lag die Hauptstadt, sein Reich mit all seinen Städten und Dörfern hinter ihm. Sein Pferd galoppierte munter im gleichen Tempo weiter. Der Kaiser legte keine Pause ein; er aß weder etwas, noch trank er genug Wasser. Wer würde auch anhalten? Wer hätte auch Zeit für Speis und Trank, wenn ihm der Tod auf den Fersen war? Und auch dem Pferd gönnte er keine Pause, er besorgte ihm nicht einmal Wasser. Für ihn gab es nur dies: Heute so weit wie möglich wegzureiten.
Es wurde Nachmittag. In dieser Entfernung von seinem Palast war der König überglücklich. Bislang war er betrübt gewesen, jetzt aber, am Spätnachmittag, begann er Lieder zu summen. Er fühlt sich in Sicherheit. Als die Nacht hereinbrach, war er Hunderte von Meilen weit weg. Als die Sonne unterging, betrat er einen Mangohain, band sein Pferd an und stellte sich unter einen Baum. Er war äußerst entspannt und wollte gerade Gott seine Dankbarkeit zum Ausdruck bringen, dass er es so weit geschafft hatte, als er dieselbe Hand auf seiner Schulter spürte, die er nachts zuvor in seinem Traum gesehen hatte. Entsetzt dreht er sich vorsichtig um – und vor ihm stand der nämliche dunkle Schatten!
Dieser sprach ihn an: „Ich machte mir schon große Sorgen, ob du es überhaupt so weit schaffen könntest, denn dies ist der Ort, wo es dir bestimmt ist zu sterben. Wie solltest du auch eine solche Entfernung überwinden können … Doch du hattest ein schnelles Pferd, und du bist ein ausgezeichneter Reiter. Du bist pünktlich zur Stelle.“
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