Ich helfe den Menschen, sie selbst zu sein. Etwa so, wie ich den Rosen in meinem Garten dabei helfe, Rosen zu sein und dem Lotus, ein Lotus zu sein. Mir ist nicht daran gelegen, aus dem Lotus eine Rose zu machen. Die Welt ist nur aufgrund ihrer Vielfalt so reich. Die Welt wäre hässlich, wenn nur Rosen wüchsen und keine anderen Blumen. Tausende von Blumen wachsen, und die Welt ist wunderschön. Jeder Mensch muss authentisch sein, absolut er selbst. Die Sannyasins sind also nicht meine Anhänger, sie lieben mich. Ihre Liebe hat sie zu mir geführt. Ihre Liebe hat mich hierher gebracht, ihre Liebe hat sie hierher gebracht; wegen dieser Liebe sind wir zusammen. Aber ich bin nicht ihr Führer und sie sind nicht meine Anhänger. Und ich stifte hier keine Sekte, ich gründe hier keine Kirche. Meine Sannyasins sind nur eine Gemeinschaft von Freunden, keine Kirche. Wir haben kein Dogma, an das alle glauben müssen. Es gibt nichts, woran man glauben muss, wohl aber zahllose Dinge, mit denen man experimentieren kann. Meine Kommune ist ein Labor; hier wird experimentiert.
Auch das führt zu Missverständnissen, denn der Mensch hat vergessen zu experimentieren. Wir experimentieren auf vielen verschiedenen Ebenen. Wir experimentieren mit Tao, wir experimentieren mit Sufismus, wir experimentieren mit Jainismus, Hinduismus, dem Islam, dem Christentum. Wir experimentieren mit Tantra, mit Yoga, mit Alchemie; wir experimentieren mit jeglicher Möglichkeit, die das menschliche Bewusstsein bereichern und den Menschen wieder heil und ganz machen kann. Das kann freilich zu Problemen führen. Wenn ein Yoga-Schüler hierher kommt, kann er nicht verstehen, was er mit Tantra anfangen soll – er ist gegen Tantra. Wenn ein Tantra-Schüler kommt, sieht er nicht ein, warum er mit Yoga experimentieren soll – er ist gegen Yoga.
Ich bin gegen gar nichts; ich bin für alles. Ich bin ausdrücklich für alles, ich erhebe Anspruch auf das gesamte Erbe der Menschheit. Und alles, was tauglich ist, gleich welcher Tradition es entstammt, ist mein, und alles, was den Menschen bereichern kann, ist mein. Ich gehöre zwar keiner Tradition an, aber alle Traditionen sind mein. Dies ist also ein neues Experiment. So etwas ist noch nie in dieser Art und Weise versucht worden. Hier findet die Synthese aller spirituellen Wege statt. Ich lehre eine Synthese, und ich habe das Gefühl, dass alle, die nur mit Yoga experimentieren, unvollständig sind, nur zum Teil wachsen werden – so als hätte sich jemand eine viel zu große Hand antrainiert, und der ganze Körper ist klein geblieben … was für ein Monster – es sei denn, er kann auch mit Tantra experimentieren, denn Tantra und Yoga ergänzen einander.
Merkt euch, dies ist eine meiner grundlegenden Erkenntnisse, dass sich nichts im Leben widerspricht. Alle Widersprüche sind komplementär, ergänzen einander. Die Nacht ist komplementär zum Tag, so wie der Sommer komplementär ist zum Winter und der Tod zum Leben. Sie sind einander nicht entgegengesetzt. Nichts ist gegen etwas, denn es gibt nur eine Energie, es existiert nur ein Gott. Meine Linke und meine Rechte sind nicht gegeneinander, sondern sind komplementär. Genau wie Vogelschwingen, zwei Flügel – sie scheinen zwar einander entgegengesetzt zu sein, unterstützen einander aber: Der Vogel kann mit nur einem Flügel nicht fliegen.
Man muss mit Tantra und Tao gemeinsam experimentieren. Warum? Nun, Yoga bietet uns eine tiefe Einsicht in Disziplin, und Tao eine tiefe Einsicht in Spontaneität. Sie scheinen nur an der Oberfläche entgegengesetzt zu sein; aber solange deine Disziplin dich nicht spontaner macht und deine Spontaneität dich nicht disziplinierter macht, kannst du nicht heil und ganz werden. Yoga heißt äußerste Kontrolle, Tantra heißt die Aufgabe aller Kontrolle; und wir brauchen beides. Ein Mensch muss fähig sein, Ordnung zu halten, damit er, wenn es darauf ankommt, absolut geordnet vorgehen kann. Aber man darf sich nicht nur auf Ordnung fixieren, sonst wird man zum Roboter. Man sollte sein System, seine Disziplin auch mal an den Nagel hängen können, falls es notwendig wird. Dann kann man spontan sein, sich treiben lassen und loslassen. Das kann man nur im Tantra lernen, nirgendwo anders.
Ich bringe im Leben meiner Sannyasins alle Gegensätze als wechselseitige Ergänzungen zusammen. Die Yogis werden gegen mich sein, weil sie nicht einsehen werden, was Sex und Liebe im Leben eines Sannyasins zu suchen haben. Sie haben Angst, Angst vor Sex, weil Sex das Spontanste im Leben ist. Denn das hieße ja, außer Kontrolle zu geraten! Sie wissen genau: Haben sie erst einmal den Sex unter Kontrolle, dann ist alles andere unter Kontrolle. Also ist Sex ihr Erzfeind. Für Tantra wird dein ganzes Leben roboterhaft, wenn dein Sex nicht spontan sein darf. Er muss sich in Freiheit entfalten dürfen. Und alle beide haben sie Recht, der eine wie der andere. Dies ist mein Ansatz. Das mag absurd klingen, weil mein Ansatz sehr unlogisch ist. Die Logik lässt immer nur eines gelten: Man kann entweder ein Yogi oder ein Tantriker sein. Ich aber halte mich ans Leben und nicht an die Logik; und zum Leben gehört sowohl das eine wie das andere. Das Leben erfordert sehr viel Disziplin, denn man muss auf der Welt mit so vielen Menschen auskommen. Man muss diszipliniert leben, denn sonst würde das Leben zum Chaos. Das Leben würde unmöglich, wenn man sich an keine Disziplin hält. Aber wenn es für dich nichts anderes mehr gibt als Disziplin und du alle Spontaneität vergisst und nur noch zu Disziplin wirst und nie mehr aus ihr heraus findest, dann hast du das Leben verloren und bist zur Maschine erstarrt.
Dies sind die beiden Alternativen, die dem Menschen bisher freistanden: Werde entweder zum Chaos – was nicht gut ist; oder werde zu einer Maschine – was auch nicht gut ist. Ich möchte, dass ihr lernt, hellwach zu sein – bewusst, aufmerksam, diszipliniert und doch fähig zu Spontaneität. Wenn du arbeitest, dann sei diszipliniert – aber Arbeit ist nicht alles. Wenn du spielst, dann vergiss alle Disziplin.
Ich war einmal in Kalkutta im Hause eines Obersten Richters zu Gast. Seine Frau sagte zu mir: „Mein Mann hört nur auf Sie. Sie sind der Einzige, der in seinem Leben etwas ausrichten kann. Seine Einstellung geht der ganzen Familie auf die Nerven. Er bleibt selbst im eigenen Hause immer der Richter.“ Sie sagte: „Selbst im Bett bleibt er noch der Oberste Richter. Er verlangt von mir, dass ich ihn mit ‚Euer Gnaden‘ anspreche! Nie ist er spontan, und dauernd schreibt er uns etwas vor und erlässt Gesetze. Die Kinder haben es satt. Wenn er nach Hause kommt, wird es schlagartig still, alle Freude ist verflogen. Wir können es gar nicht abwarten, bis er wieder zum Gericht fährt.“
Nun, ich kenne den Mann; er ist ein guter Richter – sehr gewissenhaft, sehr aufrichtig und ehrlich. Und das sind lauter gute Eigenschaften – aber er ist zu einer Maschine geworden. Er kommt heim und bleibt ‚Euer Gnaden‘; das ist nicht gut. Man muss sich auch mal entspannen, mal mit den Kindern spielen können. Aber so tief kann er sich nicht herablassen. Selbst vor seiner Frau bleibt er auf seinem hohen Ross, unerreichbar. Immer und überall bleibt er der Richter. Genau das ist es, was mit den Anhängern des Yoga passiert ist; sie können nicht mehr spielerisch sein, sie können sich über nichts mehr freuen. Sie können nicht mehr feiern, weil sie einfach nicht mehr entspannt sein können. Und wer nur Tantra kennt, wird chaotisch; wer nichts anderes übt als Tantra, der wird sehr, sehr selbstsüchtig. Dann werden dir alle anderen egal; dann vergisst du, dass du Teil eines größeren Ganzen bist, dass du einer Gesellschaft angehörst, dass du Teil der Existenz bist und der Existenz etwas schuldest – denn was wärst du ohne sie? Du musst gewissen Ansprüchen genügen, die die Existenz, die die Gesellschaft an dich stellt. Wenn du absolut chaotisch wirst, kannst du nicht überleben – dann kann niemand überleben.
Читать дальше