Matthew lernte ich zwei Monate, nachdem ich nach Halifax gezogen war, kennen. Damals durfte noch in Kneipen geraucht werden, und Ausweise konnten problemlos mit etwas schwarzem Nagellack gefälscht werden. So konnte mein angeblich 28-jähriges, tatsächlich aber 18-jähriges Ich völlig unbemerkt in Bars ein- und ausgehen. Matthew und ich lernten uns in einem Club namens „The Attic“ kennen – früher bekannt als „My Apartment“, später bekannt als „The Dome“. Er erwischte mich dabei, wie ich in High Heels, die ich niemals hätte anziehen dürfen, über die Tanzfläche stolperte. Da war er wieder: mein unglaubhafter Versuch, mich als eine nicht körperlich beHinderte Frau auszugeben. Ich bin ein hoffnungsloser Fall in High Heels. Matthew griff nach meinem Arm und stütze mich, als ich völlig unkontrolliert aus einem unglücklichen Tanzmanöver hinaustaumelte und wankte. Ich blickte auf, um mich bei meiner Stütze zu bedanken, und sah, dass er groß und gutaussehend war. Sehr groß, um genau zu sein. So groß, dass ich gar nicht erst versuchte, in dieser überfüllten Bar verbal mit ihm zu kommunizieren. Wir tanzten eine Weile, ohne miteinander zu sprechen – eigentlich hielt er mich eher aufrecht, während wir ganz nah aneinander hin und her schaukelten. Am Ende des Abends gab ich ihm verlegen meine Nummer. Wenn du bedenkst, dass das Können auf der Tanzfläche allgemeinen Rückschlüssen dient, in Bezug auf Fähigkeiten im Schlafzimmer, hatte ich das Gefühl, gerade keinen guten ersten Eindruck hinterlassen zu haben. Matthew war klar, dass ich keine heißen Dance Moves hinlegen konnte. Wenn ich nicht mal tanzen konnte, wie sollte ich dann ficken können? Zwar hatte mich meine sexuelle Vergangenheit aus High School-Tagen nicht quer durchs Land verfolgt, doch waren die daraus entstandenen Schäden an meinem Selbstbewusstsein deutlich spürbar.
Glücklicherweise konnte Matthew nicht am Tanzen mit mir ablesen, dass ich erst ein einziges Mal Sex gehabt hatte, und das fünf Minuten auf der Rückbank meines Autos. Am nächsten Tag rief er mich an und wenige Tage später hatten wir unser erstes Date.
Ich würde Matthew und unsere ersten Dates ja beschreiben, wenn ich könnte. Aber abgesehen von seiner gewaltigen Größe kann ich mich kaum an etwas erinnern, was ihn betrifft oder unsere Treffen vor dem Vorfall. Das einzige Merkmal, an das ich mich erinnern kann, war sein unentwegter Drang, Interpretationen von Dave Chapelle-Sketchen zu geben. Matthew liebte Dave Chapelle. Er konnte fast alles von „Half Baked – Völlig high und durchgeknallt“ rezitieren und tat dies auch bei jeder Gelegenheit.
Es ist möglich, dass ich mich deshalb nicht an unsere ersten keuschen Dates erinnern kann, da sie vornehmlich daraus bestanden, dass ich den ermüdenden Wiederholungen von Kiffer-Witzen lauschen musste. Ich glaube, ich brauche nicht zu erwähnen, dass da keine Liebe im Spiel war. Matthew hatte aber andere Eigenschaften, an denen ich interessiert war. Zum Beispiel, dass er älter war und eine eigene Wohnung besaß. Meiner Auffassung nach sprachen diese Qualifikationen dafür, dass ich mit Matthew endlich den kultivierten Erwachsenen-Sex haben könnte, den ich mir immer gewünscht hatte. Ganz ehrgeizig hoffte ich, mit ihm herausfinden zu können, wie Sex wirklich auszusehen hatte und ob ich dazu im Stande sein würde. Trotz all meiner sexuellen Ängste und vergangenen Demütigungen war ich noch immer zu neugierig, dass ich das mit dem Ficken noch nicht komplett aufgeben wollte.
Es war bei unserem dritten oder vielleicht auch vierten Date, als er mich unter dem Vorwand zu sich nach Hause einlud, gemeinsam „The Chapelle Show“ zu schauen. Zusammen fern zu sehen ist immer ein Vorwand. Also spielten wir diese Rituale durch, die zwei Menschen, die eigentlich einfach nur Sex haben wollen, abspulen, wenn sie zusammen fernsehen: Wir saßen auf der Couch, viel zu nah beieinander, unsere Hände schoben sich über den abgenutzten Stoff aufeinander zu, bis wir irgendwann mit fest umschlungenen Armen zu einem horizontalen Zwei-Personen-Stapel geworden waren.
Ich musste natürlich sofort pinkeln. A), weil ich grundsätzlich immer pinkeln muss und b), weil sich dieses nahezu konstante Bedürfnis in einschüchternden Situationen noch verzehnfacht. Es war also keine Überraschung, als ich dieses verräterische Kitzeln in der Leiste spürte. Typischerweise zählt in meinem Falle zum BeHindert-Sein auch diese dauernde Verantwortung, die Mediziner*innen als „Blasenmanagement“ bezeichnen. Das bedeutet: Meine Blase macht, anders als alle anderen Blasen, was sie will, und meine Aufgabe ist es, das zu regulieren. Sie pinkelt, wann immer sie möchte, völlig egal, ob ich vorher signalisiert habe, dass jetzt ein guter Moment sein könnte, um es laufen zu lassen, oder nicht. In der Vergangenheit entschied sie sich schon dazu, sich komplett zu entleeren, als ich mit meinem ersten großen Schwarm sprach, während ich auf offenem Meer Kajak fuhr und während ich im Flugzeug saß und während des Starts an meinen Sitz gefesselt war. Eine derart eigenwillige Blase ist ganz schön unpraktisch und um sie besser unter Kontrolle zu haben, gebe ich ihr erst gar nichts. Die Flüssigkeitsaufnahme wird vor und während Dates, Filmen, Flügen oder beliebigen anderen Situationen, in denen eine Toilette nicht in greifbarer Nähe ist, auf ein Minimum reduziert. Auch Katheterisierung 2findet recht häufig statt, einfach nur, um sicher zu gehen, dass meine Blase auch wirklich leer genug ist, damit sie nicht doch in unangebrachten Situationen meine Jeans (und damit meinen Stolz) angreifen kann. Langer Rede kurzer Sinn: Ich hätte dem Kitzeln mehr Beachtung schenken sollen.
Aber das tat ich nicht. Ich wollte einfach nicht. Im Alter von 18 Jahren war ich mir schmerzlich darüber im Klaren, auf wie viele Arten und Weisen ich nicht „normal“ war. Meine überaktive Blase war weit davon entfernt normal zu sein. Ich hatte mitgezählt – bereits drei Mal während dieses Dates hatte ich einen Grund gesucht, um zur Toilette eilen zu können. Diese Anzahl an Toilettengängen war auf jeden Fall merkwürdig. Ich war mir sicher, dass dieser attraktive, ältere Mann von meinen überaktiven Körperfunktionen völlig abgeturnt sein musste. Ich hätte sogar gewettet, dass eine weitere Pipi-Pause dem Date ein Ende gesetzt und damit meine Hoffnung auf richtig schönen Sex zerstört hätte. Ich hatte also nur eine Möglichkeit: Einhalten.
Wir verließen seine Couch und gingen in sein Schlafzimmer. Die ganze Zeit zitterten meine Knie bei dem Versuch meine Blase zu kontrollieren. Er drückte mich gegen die Wand und küsste meinen Hals. Wahrscheinlich fühlte es sich gut an, ich war allerdings viel zu abgelenkt, um irgendetwas mitzubekommen. Mein Shirt verschwand und als nächstes sein Gürtel. Er schmiss mich aufs Bett. Wir zogen einander weiter aus. Ich hielt weiter mein Pipi an. Kurz darauf hatte er nur noch Boxershorts und schwarze Strümpfe an, ich so gut wie gar nichts mehr. Ich lag ausgestreckt auf dem Bett und überlegte aufzustehen und auf Toilette zu gehen. Aber: Das konnte ich nicht bringen! Das war viel zu peinlich! Und genau in diesem Moment passierte es. Matthew, der von meinem inneren Aufruhr überhaupt nichts mitbekommen hatte, griff mit seiner Hand verführerisch unter meine weiche Baumwoll-Unterwäsche. Meine Muschi war feucht und bereit. Und meine Schenkel auch. Und auf einmal waren auch seine Finger ganz komisch feucht. Uns beiden wurde schlagartig bewusst, dass es sich bei dem, was da so feucht war, nicht um den geläufigen Freudenfluss handelte, sondern um einen konstanten Urinstrahl, der erst meinen Körper, dann seinen und auch noch seine teure ägyptische Baumwoll-Bettwäsche nässte, um schlussendlich in seine 800 Dollar Queen-Size-Matratze zu sickern. Ich pisste alles voll. Für etwa eine Sekunde lag ich in der selbstgemachten gelben Pfütze und kam zu der Erkenntnis, dass es keine Möglichkeit gab, aus dieser Nummer wieder rauszukommen. Ich stand auf, murmelte eine Entschuldigung, zog meine Jeans über meine feuchten Beine und flüchtete.
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