Als sexpositive, feministische Sex-Lehrerin spreche ich ständig über Sex im wahren Leben. Und ich habe festgestellt, dass Leuten das sehr peinlich ist. Anscheinend möchte niemand über die verzwickten, menschlichen albernen Dinge sprechen, die nun mal passieren, wenn wir versuchen, unsere Körper miteinander zu verbinden. Und aus diesem Grund spreche ich immer lauter und lauter und LAUTER. Ich werde dann noch versauter. Ich versuche Grenzen zu überwinden. Ich möchte noch frecher werden, denn ich bin der Überzeugung, dass dieses peinlich berührte Schweigen, das unser aller Sexleben umgibt, letztlich dazu geführt hat, dass wir alle schlechten Sex haben. Das ist auch der Grund dafür, warum wir über die Sexualität anderer urteilen. Warum wir unfähig sind, die Körper und die Grenzen anderer zu respektieren. Das ist der Grund dafür, warum wir nicht wissen, was Einverständnis bedeutet, und weshalb sexualisierte Gewalt und Vergewaltigungen stattfinden. Warum Homofeindlichkeit fortbesteht und Transfeindlichkeit existiert.
Ich behaupte nicht, dass die Welt ein besserer Ort wäre, wenn wir offen über Muschi-Fürze, abspritzen und Butt-Plugs sprächen, dass dann niemand verletzt würde und wir alle in einer herrlichen Utopie lebten, voller enthusiastischer, einvernehmlicher Orgien, bei denen wir alle jedes Mal kämen. Das wäre unrealistisch. Allerdings glaube ich fest: je mehr wir über das sprechen, was uns unangenehm ist, desto weniger werden wir uns mit der Zeit dafür schämen und stattdessen alle etwas offener für Neues werden – für neue Möglichkeiten und neue Arten der Lust. Außerdem wird Sex dann mehr bedeuten, als bloß einen Penis in eine Vagina zu stecken. Und Schönheit wird mehr bedeuten, als nichtbeHindert, jung und weiß zu sein. Sexuelle Autonomie und sexueller Ausdruck werden etwas sein, zu dem wir alle berechtigt sind. Und Einverständnis wird etwas sein, mit dem wir uns alle bestens auskennen. Diese Hoffnungen sind es, weshalb ich unentwegt über Sex spreche. Laut. Aus Prinzip.
Das soll heißen, dass ich kein Buch schreiben kann, ohne nicht auch über Sex zu schreiben. Und ich kann nicht über Sex schreiben, ohne seine komischen, flapsigen und absurden Facetten.
3. ES BEGANN ALS BLOG UND JETZT IST ES DIESES BUCH (!)
Anscheinend reichte es nicht aus, jeden Tag bei der Arbeit über Sex zu sprechen. Unterhaltungen mit Kund*innen nahmen ihren Lauf, Fantasien wurden heraufbeschworen und dann liefen sie glücklich mit einem Sexspielzeug nach Hause. Ich hingegen stand da mit sprudelnden Gedanken und Lust auf mehr. Ich hatte den Eindruck, mich in dieser Stadt auf unbefriedigenden Sex eingelassen zu haben: die Art von Sex, bei der die andere Person mir sagt, was sie will, ich ihr das auch gebe, und plötzlich ist die ganze Sache vorbei, noch bevor ich überhaupt fertig bin. Also begann ich irgendwann damit, nach Hause zu gehen und zu schreiben, anstatt zu masturbieren – wie sonst üblich nach unbefriedigendem Sex.
Bei der Arbeit kam mein Hirn so richtig in Fahrt. Durch die Gespräche mit Kund*innen dachte ich über Sex, Feminismus, Gender-Identitäten, sexuelle Fluidität, das Patriarchat und den ganzen anderen Scheiß, der unsere Beziehungen und unsere Körper beeinflusst, nach. Statt all meine Fragen an ahnungslosen Kund*innen abzuarbeiten, die eigentlich nur etwas kaufen wollten, ging ich nach Hause und hackte meine rasenden Gedanken in meinen Computer. Ich schrieb einfach alles auf, bis dieser Drang gestillt war.
Ich startete meinen Blog „The Fucking Facts“ und jetzt bin ich plötzlich hier. Innerhalb eines Jahres hatte der Blog zu einem Buchvertrag geführt. Jetzt sitze ich hier also, leicht eingeschüchtert, und versuche meine von Gleitgel durchtränkten Gedanken zum Thema Sex zu einem Buch zusammenzufügen. Zu etwas, das irgendwie Sinn ergibt. Etwas, das für jemanden zumindest ein bisschen von Wert sein kann. Etwas, das all die konfusen und durcheinandergeratenen, starken und unerschütterlichen, neuen und aufregenden Gedanken, die ich bezüglich Sex, Feminismus und BeHinderung habe, in einem hübschen und kraftvollen Einband zusammenhält. Ich bin mir bezüglich all der Versionen meines Selbst und darüber, wo genau ich in dieser Welt der Identitäten hineinpasse, noch immer nicht sicher. Ich bin immer noch dabei herauszufinden, wie ich an diesen Punkt gekommen und von wo aus ich überhaupt gestartet bin. Ich habe überhaupt keine Ahnung, wohin mich diese Reise führen wird. Aber die Hoffnung bleibt, es mit den folgenden Erzählungen herauszufinden.
Wahrscheinlich mache ich das hier alles verkehrt herum. Ich stelle es mir so vor, dass die meisten Leute ein Buchkonzept haben, sie diese frische Idee dann einer*m Verleger*in zeigen und diese*r ihnen dann dabei hilft, das Buch fertigzustellen. Ich stattdessen hatte einen Blog und eine Verlegerin, die auf mich zukam und mir sagte, dass ich mit einem Buch schwanger sei. Dann lag es an mir, dieses Buch aus meiner Vagina zu pressen. Oder es aus meinen Fingern zu ziehen. Oder vielleicht aus meinem Kopf. Von wo auch immer Bücher herkommen (ich wünschte, ich wäre ein Storch).
Also möchte ich das Ganze mit den folgenden Worten gleichzeitig abschließen und beginnen:
Dies ist mein erster Versuch.
Bitte sei rücksichtsvoll mit mir.
Ich werde versuchen ehrlich zu sein.
Ich werde versuchen nett zu sein.
Ich werde auf jeden Fall versaut sein (und das auf die beste Art und Weise).
Es macht etwas mit dir, wenn du anfängst in einem Sexshop zu arbeiten. Wenn Sex zu deinem täglich Brot wird, vergisst du eventuell, dass dieses Thema für andere Leute immer noch ein Tabu ist. Deine Grenzen verschieben sich, dein Empfinden davon, was als „normal“ gilt, verändert sich für immer. Es passieren Dinge, von denen du niemals geglaubt hast, dass sie dir widerfahren könnten: Plötzlich erwischst du dich dabei, wie du deiner Großmutter queeren Sex erklärst; du erörterst mit einer fremden Person im Bus ganz beiläufig die heilende Wirkung von Orgasmen. Du empfindest kaum Unbehagen, während du langsam aber sicher in das Reich der Spinner abtauchst. Und irgendwann fühlst du dich dort immer wohler, denn an diesem Ort sind soziale Normen nicht mehr verbindlich. Um dahin zu kommen, muss man allerdings den einen oder anderen holprigen Umweg in Kauf nehmen…
Ich bin spät dran. Ich bin eigentlich fast immer spät dran. Das ist, glaube ich, einfach eine Begleiterscheinung, wenn du ein*e klassische*r, überarbeitete*r Typ 1 Streber*in bist. Ich bin spät dran und ich mache dabei alles gleichzeitig. Das ist unvermeidlich. Wenn du zu den Personen gehörst, die am liebsten auf allen Hochzeiten gleichzeitig tanzen, musst du zwangsläufig lernen, Dinge parallel zu tun. Du erledigst mehr, wenn du alles gleichzeitig tust. So lautet zumindest die Theorie, die ich derzeit gründlich einem Praxistest unterziehe. Es ist also zum Wohle der Wissenschaft, dass ich während des Einkaufs auf dem Weg zur Arbeit ein Telefonat führe und dabei in meinem Terminplaner nachsehe, was ich eigentlich später mache und wo ich genau hin muss. All das dient einem Experiment, bei dem ich versuche, meine Effizienz zu steigern.
Ich würde das Telefon ja ablegen, wenn ich könnte. Zu telefonieren, während du in der Schlange an der Kasse stehst, ist in meinen Augen der Inbegriff von einem Arschloch. Als wäre die Person, die mich anruft, kein Mensch und bedürfte daher auch nicht meiner vollen Aufmerksamkeit. Als interessierten sich die Leute hinter mir einen Scheiß für meine Sicht auf diese gerade ungünstige Konversation, die sie gezwungen sind mit anzuhören. Genau jetzt ist dieses Telefonat allerdings unvermeidlich. Ich sagte ja, ich „führe ein Telefonat“; tatsächlich aber gebe ich einfach nur brummende „Mmhm“ von mir. Ich kann sowieso nicht viel mehr einwerfen. Am anderen Ende der Leitung ist mein wohl neurotischster Freund Jason – ihn jetzt abzuwürgen, wäre ungefähr so wie eine leere Rolle Toilettenpapier zu hinterlassen oder den Tacker nicht aufzufüllen oder einen Haufen Speisereste ins Auffangsieb des Spülbeckens zu kippen. Es wäre eine dieser Kleinigkeiten, die ihn derart verärgern würden, dass ich am besten versuche, sie zu vermeiden. Er ist gerade dabei, mir eine bemerkenswert detaillierte Beschreibung seines zweiten Dates mit einer Frau zu geben, die er schon seit Monaten rumzukriegen versucht, und diese Geschichte durchzukauen, scheint für ihn von wesentlicher Bedeutung, um seine Ängste zu lindern. War das ein Zeichen, als sie sagte, sie „liebe seine Kochkünste“? Sollte er ihr noch heute zurückschreiben oder lieber zwei Tage warten, um nicht allzu bedürftig zu wirken? War das eine versteckte Botschaft, als sie ihm sagte, ihre Nagellackfarbe heiße „Killer Flirt“?! Er erwartet nicht von mir, dass ich auf diese Fragen antworte. Er muss sie einfach nur mal laut aussprechen. Trotz meiner sozialen Sensibilität führe ich dieses Telefonat Jason zuliebe weiter. Ich brumme „Mhm“ und „Oh“ und gebe so generell Zustimmung, während ich meinen Einkauf aufs Band lege.
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