Diese Umstände, die meinen Alltag beschreiben und dabei so unromantisch sind, sorgen dafür, dass ich nervös werde und mich schlecht vorbereitet fühle. Dieser Ort hier fühlt sich nicht perfekt genug an, um ein Buch zu schreiben. Meine Lebenserfahrungen erscheinen mir nicht spannend genug, um sie zu erzählen. Meine Unterwäsche ist zu schmutzig. Meine Haare sind eine Katastrophe.
Und trotzdem muss ich irgendwo anfangen. Denn meiner bereits erwähnten Unsicherheiten zum Trotz gibt es auch einiges, das ich mit Sicherheit weiß.
Beginnen möchte ich mit Folgendem:
1. ICH BIN EINE (VERDAMMT STARKE) FRAU MIT BEHINDERUNG
Und das fast solange ich mich erinnern kann. 1995 waren meine Familie und ich in einen Verkehrsunfall verwickelt. Bei diesem Unfall zog ich mir eine schwere Rückenmarksverletzung zu. Die Ärzt*innen diagnostizierten eine Querschnittslähmung und so verbrachte ich einen Teil meiner Kindheit im Rollstuhl. Allerdings sind Kinderkörper dank ihrer enormen Willenskraft zu unglaublichen Leistungen fähig. Innerhalb eines Jahres saß ich nicht mehr im Rollstuhl, sondern stolperte und schlitterte und kämpfte mir den Weg frei, um so zu sein, wie alle anderen Kinder auch. Heute schlendere ich ziemlich stolz durch die Gegend. Es sieht ein wenig so aus, als würde ich unentwegt tanzen. Mit meinem wackeligen Gang gelange ich überall hin, wo ich hinmuss: Treppe rauf, Treppe runter und weiter weg. Ich liebe meinen Körper: Meine Oberschenkel, die scherenartig aneinander reiben, meine Füße, die zueinander zeigen und übereinander stolpern, meine breiten Schultern, die mich auffangen, wenn ich strauchle und falle.
Diesen wunderschönen und beHinderten Körper zu haben, mit und in ihm zu leben und dadurch aus der Norm zu fallen, hat mich unwiderruflich geprägt. BeHindert zu sein prägt jede einzelne Erfahrung mit jeder Person, jeder Straßenecke, jedem Gebäude und jeder Treppe. So werde und wurde ich immer daran erinnert, dass mein Körper anders ist als „normale“ Körper, dass es mir körperlich unmöglich ist, den hegemonialen Standards zu entsprechen. Da passe ich nicht hinein, weil meine Beine es nicht zulassen. Meine kaputte Wirbelsäule versperrt mir den Weg.
Ich kann nicht durch die Stadt laufen, ohne beHindert zu sein, und genauso wenig kann ich ein Buch schreiben, ohne beHindert zu sein. In diesem Buch wird es nicht um mein „Durchhaltevermögen“ gehen, nicht um meinen „Mut“ und/oder meine „Tapferkeit“. Diese Begriffe haben sich mit ihrer implizit herablassenden Art noch nie wie Freunde angefühlt. In diesem Buch wird es vielmehr um mich gehen, darum, wer ich bin. Ich bin eine Frau, ich bin beHindert und ich bin eine passionierte Eier-Esserin, um nur einige von vielen Eigenheiten zu nennen. Diese Eigenschaften überschneiden sich, bewegen sich in- und auseinander, durchkreuzen sich und erinnern mich und mein Universum unentwegt an ihr Existieren. Ich kann nicht nicht über sie sprechen. Ich kann nicht nicht über sie schreiben.
2. ICH BIN EINE SEX-POSITIVE SEX-LEHRERIN
Sex, Sex, Sex. Das ist irgendwie mein Ding. Und zwar sieht das folgendermaßen aus: Ich gebe Blowjob-Workshops. Im Ernst. Ich bin Blowjob-Master, eine Expertin, ich gehöre zu den Besten der Besten. Einmal im Monat wedle ich mit einem großen Silikonschwanz vor einer Gruppe herum und werde für diesen Spaß auch noch bezahlt.
Aber das vereinfacht das Ganze zu sehr. Ich schätze, Blowjob-Expertin zu sein klingt zunächst nach einer ziemlich speziellen Sache, eine, die außerhalb meines derzeitigen Arbeitsumfeldes (ich arbeite in einem Sexshop) nicht unbedingt von Nutzen ist. Diese besondere Qualifikation mag den Eindruck erwecken, ich sei vulgär (was möglich ist). Vielleicht denkst du deshalb, dieses Buch sei nichts für dich. Und vielleicht ist es das auch nicht, insbesondere dann nicht, wenn du zu meiner Familie gehörst und ein Buch über mein Sexleben zu lesen wahnsinniges Unbehagen in dir auslöst (nachvollziehbar, und in diesem Falle solltest du sofort aufhören!). Aber tatsächlich könnte dieses Buch auch genau das Richtige für dich sein. Und genaugenommen könnte das auch für Blowjob-Kurse gelten. Denn als sex-positive, feministische Sex-Lehrerin dreht sich nicht alles nur um Blowjobs. Ich mache nur Spaß.
Wenn ich diese Kurse gebe, wenn ich im Laden bin und den ganzen Tag über Sex spreche, wenn ich einen Blogpost über Sex schreibe, dann spreche ich nicht nur über die praktische Seite. Ich spreche auch nicht zwangsläufig darüber, wie viel Spaß Sex macht; auch wenn ich das manchmal durchaus tue. Ich drücke mich nicht zwangsläufig explizit aus, obwohl, gelegentlich schon. Was ich vielmehr zu tun versuche, wenn ich also immer und immer wieder über Sex spreche, ist, diese langweiligen und unterdrückerischen Vorstellungen aufzubrechen, die uns über die feine Art des Fickens vermittelt wurden.
Über Sex zu sprechen ist wichtig, schließlich leben wir in einer Welt, die davon durchtränkt ist. Sex ist überall. Sex ist in der Seitenleiste der Webseite, die du dir ansiehst. Er ist auf Reklametafeln, die sich entlang der Straßen in der Stadt ziehen. Er ist in Werbepausen und in Handlungsverläufen. Er ist der Höhepunkt, das finale Ziel, das Resultat, das Problem und die Lösung. Und trotz seiner konstanten und unausweichlichen Präsenz ist das Bild, das wir von Sex aufgezwungen bekommen, ein gleichermaßen langweiliges wie exklusives.
Wenn ich alles glauben würde, was ich sehe, dann würde ich glauben, dass nur dünne Menschen Sex haben. Nur Männer mit Bauchmuskeln treiben es. Nur Frauen mit großen Titten bumsen. Nur Männer und Frauen treiben es miteinander. Sex ist etwas für Heterosexuelle und findet immer nur zwischen zweien statt, nie mit mehr und nie mit weniger. Sex ist etwas für weiße Leute. Sex ist etwas für schöne Leute. Sex ist etwas für nichtbe-Hinderte, was für junge Menschen. Sex ist spontan. Sex beinhaltet Penetration. Sex dauert ungefähr 4,2 Minuten. Sex findet in Schlafzimmern statt und zwar abends. Sex ist vorhersehbar.
Wie unglaublich langweilig. Was diese heimtückischen Bilder von Sex jedoch aussparen, sind die unter anderem besten Sachen daran. Wovon wir nichts hören, ist, dass Sex versaut sein kann und subversiv und auf spaßige und einvernehmliche Art sehr, sehr unanständig. Wir sehen nicht, wie Menschen zur Sache kommen, deren Körper nicht den normschlanken Vorstellungen entsprechen. In der Regel sehen wir nicht, wie es Menschen mit BeHinderungen treiben, weder in ihren Rollstühlen noch in ihren Betten. In den Mainstream-Medien werden People of Color nur selten sexy dargestellt, ohne zeitgleich als exotisch und andersartig zu gelten. Genauso wenig sehen wir faire und gleichberechtigte Abbildungen von Frauenkörpern, wie sie in all ihrer üppigen Schönheit Lust verspüren. Männerkörper werden ausschließlich sexuell dominant, leistungsfähig und selbstsicher dargestellt. Wir sehen keine Körper, die sich weigern, sich diesem gender-binären System anzupassen. Und wir sehen auch nicht, dass Sex komisch und peinlich sein kann. Wir sehen keinen Sex, in dem eine Person aus Versehen furzt. Kacke und Pisse gibt es in intimen Situationen nicht. Dieser Moment, in dem wir bemerken, dass die Position, in der wir uns gerade befinden, nicht funktioniert, wir plötzlich mit den Beinen über unseren Köpfen stecken bleiben, wir stolpern und fallen oder würgen und kotzen oder stocken oder Dinge in die falsche Öffnung stecken. All das wird rausgeschnitten und gephotoshopt, aus unseren empfindlichen Realitäten verbannt.
Aber so funktioniert Sex nun mal nicht. Sex ist komisch und wunderbar, versaut und peinlich, pervers und queer und kann einvernehmlich zwischen allen möglichen Leuten stattfinden, egal wo und wann. So sieht die Realität des Aktes aus, mit dem wir uns als Gesellschaft so sehr beschäftigen.
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