Ich empfand weder Option eins noch Option zwei als sonderlich verlockend. Ich konnte mir nicht vorstellen, dass ich mich in diesen Rahmen fügen würde. Wie sollte das denn funktionieren, humpelnd Heuballen durch die Gegend zu tragen? Oder, wenn ich mit meinen chronischen Rückenschmerzen versuchen würde Kühe zu melken? Das klang nicht optimal. Außerdem habe ich Kühe noch nie gemocht. Was für mich aber durchaus verlockend klang, war das Erwachsensein. Ich wollte raus aus der Schule, raus aus diesem Ort und raus aus der Pubertät. Dringend. Auch wenn die ziemlich normativen Vorstellungen davon, wie Erwachsensein auszusehen hat, mich nicht reizten, wollte ich es dennoch herausfinden. Und ich wollte einfach etwas anderes.
Und genau da geschah es, ich hatte auf einmal die fixe Idee, Sex haben zu müssen. Alles was ich wollte, war es zu tun. So weitverbreitet dieses jugendliche Gefühl auch sein mag, so kam mein Drang aus einer anderen Ecke. Ich war nicht unbedingt an dem Akt an sich interessiert. Ich wollte nicht Sex haben, um eine durch jugendliche Hormone entfachte Lust zu stillen. Es war nicht so, als hätte ich nicht aufhören können daran zu denken, oder als dachte ich, es würde sich besonders gut anfühlen. Noch nie war ich von einem unersättlichen, physischen, lustvollen Verlangen getrieben worden. Ich hatte bislang noch nicht einmal masturbiert. Nein, ich wollte es aus anderen Gründen. Ich wollte Sex haben, weil ich glaubte, es sei mein Schlüssel zum Erwachsensein. Ich dachte, es würde mir Antworten liefern. Sex war nur ein Mittel zum Zweck. Der Zweck bestand aus meiner Sicht darin, eine Frau zu werden.
So verdreht das auch klingen mag, ergibt es tatsächlich einen Sinn. Ich war eine Teenagerin in einem Ort, in dem kaum jemand wusste, was Internet war. Okay, viele Leute wussten das schon, aber es war tatsächlich sehr schwer zu bekommen, wenn du dir vor Augen führst, dass wir an schier unendlich langen Maisfeldern mitten im Niemandsland wohnten. Versuche, auf die sogenannte „Datenautobahn“ zu gelangen, begannen mit der mühseligen Einwahl ins Internet, wurden begleitet von schrillen Quietsch- und Pieptönen, und endeten abrupt, sobald jemand anrief. Ich muss gar nicht erst erwähnen, wie wenig Zugang ich auch nur zu halbwegs radikalem Gedankengut, zu anderen Lebensformen oder irgendwelchen Informationen über Sex hatte. Sex war für mich ein absolutes Mysterium, etwas, das Erwachsene in Großstädten wie New York oder Toronto hatten. Klar taten es einige meiner Freundinnen auch mit älteren Jungs aus den Nachbarorten, das war für mich aber kein „richtiger Sex“. Wenn meine Freundinnen schilderten, wie sie auf den Rückbänken der Autos ihrer Eltern rumfummelten, klang das für mich mehr nach sperrigem Wrestling. Ich wollte das haben, wovon ich glaubte, dass es der ausgereifte Erwachsenen-Sex des wahren Lebens sei, so wie ich ihn aus Filmen kannte. Ich wollte in den Club der „richtigen Frauen“ aufgenommen werden.
Während ich also Sex haben wollte, mit jeder Faser meines Körpers, hatte ich gleichzeitig auch wahnsinnige Angst davor. Niemand hatte mir je erklärt, wie genau das eigentlich funktionierte, und so hatte ich nicht wirklich eine Vorstellung davon, worin dieser Akt eigentlich bestand. Die Grundlagen kannte ich. Ich wusste, dass der Penis in die Vagina gehörte. Aber ich vermutete, dass das noch nicht alles war. Ich stellte mir vor, dass die beiden in den Akt involvierten Personen sich sehr viel bewegen müssten. Ich stellte mir sehr viel beugen, Beine anheben und eine Reihe rasanter Hüftschwünge vor. Nichts davon konnte ich. Meine BeHinderung führte dazu, dass meine Bewegungsmöglichkeiten von der Taille abwärts eingeschränkt waren, genau wie mein Gefühl. Ich war nicht in der Lage Dinge zu spüren, die unterhalb meiner Hüftknochen passierten, so wie ein Mensch ohne BeHinderung das konnte. Ich fragte mich, ob ich überhaupt spüren würde, wenn ein Penis in meine Vagina eindrang. Diese Frage wiederum führte mich zu der nächsten Frage, ob meine Vagina eigentlich etwas tun sollte, sobald ein Penis in ihr drin war. Taten die Vaginen anderer Menschen etwas? Denn meine schien da nur rumzusitzen.
Das waren alles ganz schön intime Fragen; Fragen, die ich mich nicht traute, mit anderen zu besprechen. Und diese unbeantworteten Fragen mündeten in große Befürchtungen. Ich trug eine tiefsitzende Angst in mir, die Angst, möglicherweise gar dazu nicht dazu im Stande zu sein, Sex zu haben. Dass ich scheitern könnte und mich dieses Scheitern letztlich in der meines Erachtens nach langweiligsten Form des Erwachsenseins festhalten könnte. Was, wenn das (Fehl-)Verhalten meiner Vagina mich dazu verdammen würde, für immer in einem kleinen Ort leben zu müssen?! Da ich der Überzeugung war, dieses Schicksal sei sehr viel schlimmer als der Tod, beschloss ich, mich meiner Angst zu stellen – ich wollte versuchen zu ficken. Die einzige Möglichkeit Antworten zu bekommen, war etwas zu riskieren.
Darf ich vorstellen? Dan. Er war mein erster richtiger Freund. Weder aus Lust, noch aus Liebe begann ich ihn zu daten, sondern vielmehr aus meinem zwanghaften Drang endlich erwachsen zu werden. Ich entschied, dass er „der Richtige“ sein sollte. Er entsprach all meinen Anforderungen. Erstens, war er ein Junge. Zweitens, war er mein fester Freund. Drittens, wollte er Sex mit mir haben. Das war alles, was ich brauchte. Ich war so entschlossen es zu tun, dass ich die Messlatte nicht allzu hoch hing. Und natürlich war Dan auch ein netter Kerl. Er liebte mich, fuhr einen Truck und hatte ganz tolle Haare. Wir telefonierten jeden Abend nach der Schule und verbrachten unsere Mittagspausen damit, an dem Steinbruch direkt neben dem Schulgelände rumzumachen. Unsere Beziehung schien mir perfekt dafür, mich meinem Ziel näherzubringen. Nachdem wir acht Monate zusammen waren, beschloss ich, dass es an der Zeit war.
Ich hatte natürlich erste Vorbereitungen getroffen. Während das für den Großteil meiner Leidensgenoss*innen bedeutete, verschämt eine Packung Kondome an der Tankstelle des Nachbarorts zu kaufen, war meine Strategie etwas komplexer. Der erste Punkt bestand darin, eine Reihe harter Übungen zu entwickeln, die ich jeden Abend vor dem Schlafengehen trainierte. So lag ich dann auf meinem Bett und verdrehte meinen Körper verstohlen in die komischsten Positionen. Zuerst hob ich meinen Hintern in die Luft, möglichst weit weg von der Matratze, und streckte mein Becken empor. Während ich mich da also in diesem halb erhobenen Zustand befand, war es gar nicht so leicht auch noch meine Beine so weit wie möglich zu spreizen und gleichzeitig meine Knie mit den Armen auseinanderzupressen. Da mir bewusst war, dass ich in dieser Position ein Doppelkinn haben würde, versuchte ich die Übung möglichst lasziv zu absolvieren. Ich zog meine Augenbrauen provokativ hoch. Ich öffnete meinen Mund auf eine Weise, von der ich hoffte, dass sie sinnlich aussehen würde. Für den Fall, dass meine Knöchel schlappmachen oder meine Knie einknicken sollten, versuchte ich es einfach immer und immer wieder. Ich war der Überzeugung, dass diese Stellungen unerlässlich waren, um Sex zu haben und sah sie deshalb als wichtige Übung fürs Ficken an. Ich war eine ambitionierte Schülerin.
Die zweite Vorbereitungsmaßnahme bestand darin, sich die Hilfe eines erfahreneren Sex-Guides zu holen. Diese tiefsitzenden, schweren Fragen wie zum Beispiel, was genau meine Vagina eigentlich tun sollte, waren zu sensibel, um sie einfach irgendjemandem zu stellen. Allerdings hatte ich das Bedürfnis, mich zumindest etwas allgemeiner zu informieren. Und für diesen Job hatte ich Katherine vorgesehen. Katherine war nicht nur eine enge Freundin, sondern zählte auch zu den sexuell aktivsten Personen, die ich kannte. Unsere Jugendjahre hatten bis zu diesem Zeitpunkt ziemlich unterschiedlich ausgesehen – Katherine war im Gegensatz zu mir ein Mädchen, das sehr schnell groß geworden war. Während ich meine Sommerferien damit zugebracht hatte, an einer Tankstelle zu arbeiten und die Autos von Kunden vollzutanken (besser gesagt, in einem Gartenstuhl zu sitzen), hatte sie ihre Sommerferien in Ferienlagern verbracht. In der Zeit von Juni bis Juli schickten ihre Eltern Katherine in verschiedene Teile der Region, angeblich damit sie Dinge wie Kajakfahren und das Überleben in der Wildnis lernte. Ohne das Wissen ihrer Eltern lernte Katherine in dieser Zeit sehr viel spannendere Lektionen fürs Leben. So kehrte sie von ihren diversen Sommerexkursionen zurück mit Knutschflecken, Nippelpiercings und versauten Geschichten über Dinge, die ich bis dato noch nie gehört hatte. Da mich meine Abstecher in Sachen Grundlagenforschung noch nicht sonderlich weit gebracht hatten, wusste ich, dass sie mir das eine oder andere beibringen konnte. Wir beraumten eine „Unterrichtseinheit“ für Freitagabend an, die in dem Privatbereich ihres Kinderzimmers abgehalten werden sollte.
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