Immerhin sehe ich heute gut aus. Ich habe mir heute Morgen die Zeit genommen, um mir die Zähne zu putzen und Deo aufzutragen. Außerdem unterrichte ich heute Abend einen Fellatio-Workshop und gebe mir deshalb größte Mühe, wie eine erwachsene Frau zu wirken, die weiß, was sie tut. Und wenngleich das meistens der Fall ist (also, dass ich weiß, was ich tue), sehe ich nicht immer danach aus, zum Beispiel, wenn meine Haare verfilzt sind und ich mein T-Shirt verkehrt herum trage. Aber heute ist das anders. Meine Zähne sind sauber und meine Haare gekämmt. Ich trage Lippenstift, der bisher (so hoffe ich) noch nicht meine strahlend weißen Zähne verschmiert hat. Ich bin eine Frau. Ich bin Blowjob-Expertin. Ich habe alles unter Kontrolle.
Abgesehen von der Tatsache, dass ich mein Portemonnaie nicht finden kann, mir gerade meine Schlüssel runtergefallen sind und mich der Teenie-Kassierer ungeduldig anstarrt, während ich versuche zu bezahlen und gleichzeitig Platz zu machen für die Kundin hinter mir. Eine Frau mit Kind, die mich ebenfalls missmutig und genervt beobachtet. Ich halte hier gerade alle auf. Ich wünschte, ich könnte dieses blöde Telefonat endlich beenden.
Und da passiert es. Ich stehe in der Schlage mit gefühlt 100 frustrierten Menschen hinter mir und einem genervten Teenager vor mir, der mich anstarrt und darauf wartet, dass ich endlich bezahle, als ich einen riesigen, weißen, schimmernden Silikonpenis aus meiner Tasche hervorziehe. Ich glaubte, ich hätte mein Portemonnaie erwischt, doch es ist mein Utensil für den heutigen Workshop. Ein richtig schöner sauberer Dildo, nagelneu und bereit, von mir präsentiert zu werden.
Später werde ich diesen Schwanz dafür benutzen, um Anatomie und Techniken zu erklären. Später wird es angebracht sein, einen Schwanz in der Hand zu halten, weil Menschen dafür bezahlt haben und in der Erwartung gekommen sind, dass ich genau das tue. Jetzt allerdings stehe ich in der Schlange eines überteuerten Supermarkts und wedle mit einem gigantischen Schwanz in der Gegend herum, während mich gepflegte Frauen mittleren Alters schockiert anstarren. Das Kind fängt an zu weinen, zwar nicht, weil ich seine Unschuld gestohlen habe, aber so fühlt es sich gerade an.
„Der ist für die Arbeit“, versuche ich zu erklären. Als sei es gang und gäbe, einen Dildo für die Arbeit in der Tasche mit sich herumzutragen. Zeitgleich höre ich Jason meckern: „Du hörst mir ja gar nicht zu!“
Der Kassierer starrt mich noch fassungsloser an, mit offenem Mund und funkelnder Zahnspange. Ich stopfe den Dildo wieder in meine Tasche, finde endlich mein Portemonnaie, zahle, schnappe meinen Einkauf und flüchte.
Das ist kein Einzelfall. Solche Dinge passieren mir ständig. Es scheint, als fielen mir immerzu Vibratoren, Kondome, Gleitgel und Butt-Plugs aus der Handtasche oder zeichneten sich darin ab. Erst Anfang der Woche erwischte mich ein LWK-Fahrer dabei, wie ich mit einer Hand in der Hose dasaß und auf der Suche nach einem Parkplatz verzweifelt im Kreis fuhr. Dafür gab es eine gute Erklärung. Es war nicht so, als masturbierte ich einfach mal eben auf dem Weg zur Arbeit. An diesem Morgen hatte ich kurzfristig entschieden ein Klitoris-Stimulations-Gel auszuprobieren. Ich hatte nicht damit gerechnet, dass es irgendetwas bewirken würde, dachte, dass die „pflanzlichen, aphrodisierenden Inhaltsstoffe“ bloß beschissene Modewörter waren, die weder meine Klitoris hart werden noch meine Säfte fließen lassen würden. Ich hatte die prickelnde Flüssigkeit auf meine Muschi getröpfelt, meine Hose angezogen und war zur Tür hinausgestürmt.
Leider sollte die Produktbeschreibung Recht behalten. Das Prickeln setzte ein, als ich im Auto saß – auf halber Strecke zur Arbeit. Doch anstatt mich durch die „sanfte Wärme“ anzuturnen, brannte es einfach nur. Es fühlte sich an, als wäre meine Klitoris ganz gruselig verstopft, als würde sie womöglich abfallen und ich später einen kleinen fleischigen Noppen auf dem Boden neben meinem Bremspedal liegen sehen. Hektisch griff ich mit der Hand in meine Hose und rubbelte, in der Hoffnung, das Gel mit meinen Fingern irgendwie abzubekommen und meine Muschi von diesem Brennen zu befreien. Und genau in diesem Moment, als ich, wie alle anderen autofahrenden Perverslinge auch, wie wild an mir herum rieb, blickte der LKW-Fahrer auf der Spur neben mir von seiner Fahrerkabine auf mich herab.
Ich ertappte mich dabei, A Hand in the Bush: The Fine Art of Vaginal Fisting völlig gedankenverloren im Bus zu lesen, neben einem wahrscheinlich recht netten und nun zutiefst verstörten achtzigjährigen Herrn. Am Tisch eines kleinen familienbetriebenen Restaurants berichtete ich meinen Kolleg*innen sehr detailliert von meinen sexuellen Aktivitäten und vergaß völlig, dass nicht jede*r über Ejakulat spricht und sich dabei Pommes mit Mayonnaise in den Mund schiebt.
Ich habe einem Supermarkt-Mitarbeiter meinen Schwanz gezeigt und wurde von einem LKW-Fahrer dabei beobachtet, wie ich an meiner Fotze herumrieb. Inzwischen sind Situationen wie diese so herrlich vorhersehbar. Es scheint, als hätte ich mein Anstandsgefühl schon lange verloren. Draufgegangen bei einem Arbeitsunfall.
UND SO KAM DIE WÄRME ÜBER UNS
Wenn ich an meine ersten sexuellen Erfahrungen denke, ist es absolut nachvollziehbar, dass ich in meinem aktuellen Arbeitsumfeld gelandet bin. Dass ich so gerne über Sex spreche, ist aller Wahrscheinlichkeit nach darauf zurückzuführen, dass ich lange sehr, sehr schlechten Sex hatte. Wirklich. Ich mache hier nicht auf bescheiden. Mag sein, dass ich mittlerweile eher so etwas wie eine Pseudo-Sex-Expertin bin, dem war aber nicht immer so. Vielmehr habe ich mir, wie manch eine*r sagen würde, einige beachtliche Sex-Fauxpas geleistet – und das innerhalb meines doch erst recht kurzen Lebens. Und ich weigere mich zu glauben, dass all die Ausrutscher, Missgeschicke und totalen Fehltritte allein meine Schuld waren. Nein, die Gesellschaft hat Schuld daran (das ist kein Scherz).
Wie die meisten war auch ich einst eine Teenagerin. Wenn du dich daran zurückerinnerst Teenager*in zu sein, dann erinnerst du dich auch daran, dass es eine wirklich grässliche Erfahrung war. Es ist eine Zeit in deinem Leben, in der du so viele Outfits, Handlungen und Frisuren bereust. Du bist erfüllt von nahezu konstantem, emotionalem Aufruhr und geplagt von allgegenwärtigen Hautproblemen. Du weißt nicht so recht, wer du bist, was du möchtest und wo du hinwillst. Und dazu riechst du auch noch komisch. Zumindest ging es mir so. Ich hasste es, eine Teenagerin zu sein.
Als Teenagerin war ich all den bereits genannten universellen Teenie-Erfahrungen ausgesetzt: die Haare, die Hormone, der Geruch. Obendrein hatte ich auch noch mit dieser BeHindertensache zu kämpfen. Ich war doppelt verwirrt. All diese sowieso schon mysteriösen Veränderungen als Heranwachsende*r wurden durch die brutale Realität verstärkt, dass mein Körper anders war als der anderer. Ich kannte nicht eine einzige andere beHinderte Person. In meinem dörflichen Ontario-Denken war ich der festen Überzeugung, dass es in diesem Universum niemanden wie mich sonst geben konnte. Da ich eine menschliche Anomalie darstellte, war es mir unmöglich herauszufinden, was zur Hölle mein Körper tat oder wie er die harten Proben der Jugendjahre überstehen sollte. Sowohl meine Gegenwart als auch meine Zukunft sahen düster aus.
Die Möglichkeiten, die sich mir aufgrund meines unmittelbaren Umfeldes für meine Zeit nach der Schule, als Erwachsene boten, waren übersichtlich. Sollte ich den Weg der meisten mir bekannten Menschen einschlagen, so hätte ich die Wahl zwischen zwei Optionen. Option eins: heiraten, meinem Mann auf dem Bauernhof helfen und mich fortpflanzen. Option zwei: in der nächstgelegenen Stadt studieren, heiraten, meinem Mann auf dem Bauernhof helfen und mich fortpflanzen.
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