Das Frühstück hätte ich beinahe vergessen, wenn Jeremy mich nicht daran erinnert hätte. »Wenn du es nicht bald verzehrst, ist es kalt und ich habe mir die ganze Mühe umsonst gemacht«, spielte er bewusst den Beleidigten. Dieses Angebot konnte ich ihm nicht ausschlagen. Wann hatte schon mal jemand für mich am Morgen gekocht? An diesen Umstand konnte ich mich glatt gewöhnen.
Genüsslich setzte ich mich an den Tisch im Esszimmer, entschied mich für schwarzen Tee, goss ihn in eine Tasse, nippte daran und überblickte die Vielfalt der Köstlichkeiten, die mir Jeremy zubereitet hatte. Dazu zählte ein Schinken-Käse-Toast, ein Ei im Glas und Würstchen.
»Sachlage geklärt. Hungergefühl meldet sich. Tatbestand erfüllt«, kicherte ich vor mich hin und Jeremy lachte sich halb schief.
»Du hast vielleicht einen eigenwilligen Humor. Wir sind doch hier nicht im Gerichtssaal«, neckte er mich. Amüsiert biss ich in den Toast und löffelte das Ei. Er musterte mich gründlich. Manchmal hatte ich das Gefühl, er wollte mich auf Herz und Nieren prüfen. Typisch Jurist, dachte ich und steckte mir eins der Miniwürstchen in den Mund. »Es wäre schön, wenn du dich heute noch von meinem Bademantel trennen könntest. Es wartet nämlich noch eine kleine Überraschung auf dich«, sagte er geheimnisvoll und ließ mich in Unwissenheit.
»Welche Überraschung?«, fragte ich neugierig und kaute genüsslich auf meinem Toast herum, bis ich auch diesen verdrückt hatte. Anschließend trank ich den Tee. Jetzt war ich gespannt, schob den Teller zur Seite und stand auf. Ehe er sich’s versah, hatte ich das Speisezimmer verlassen und war in der begehbaren Garderobe verschwunden, die ich vorhin bei meiner Erkundungstour gesehen hatte. Unterwegs ließ ich den Bademantel auf den Boden gleiten, um splitternackt in den Ankleideraum zu gehen. Jeremy musste meine Anziehsachen fein säuberlich auf einen Hocker gelegt haben, denn es fehlte nichts. Ich schlüpfte in meine Dessous und streifte mein rotes Etuikleid über, mit dem ich gestern gekommen war. Rasch zog ich meine halterlosen Strümpfe an, die Jeremy über den mit Leder bezogenen Sitzhocker drapiert hatte und befestigte sie am Strumpfband. In weiterer Folge glitt ich in meine High Heels.
Mein Haar war inzwischen fast trocken und ich frisierte meine unbändigen Locken mit einem Kamm, den ich auf einer Ablage liegen sah. Auf Schminke musste ich wohl oder übel heute verzichten, denn ich hatte nicht einmal einen Lippenstift dabei. Jeremy war mir in den Ankleideraum gefolgt, er hatte sich bereits angezogen und begutachtete mich kritisch. Nachdenklich kaute er an seinem Toast. Unsicher wanderte mein Blick nach unten.
»Irgendetwas nicht in Ordnung?«, fragte ich ihn verlegen.
»Welch Dekadenz, Miss Cooper«, stellte er arrogant fest. Verwirrt inspizierte ich mein Outfit.
»Was ist daran falsch?«, fragte ich verwundert. Gestern noch fand er mein äußeres Erscheinungsbild extrem anziehend. Jeremy verschränkte die Arme vor seiner Brust und nahm einen gewissen Abstand ein. Jetzt zog er seine Augenbrauen nach unten und kniff sie zusammen, sodass sich seine Stirn in Falten legte.
»Ich würde sagen, es gäbe objektiv gesehen bessere oder wünschenswertere Zustände. Dein Outfit ist für unseren kleinen Ausflug einfach nicht passend.« Augenblicklich blieb mir bei seiner Bemerkung der Mund offen stehen. Ich starrte ihn unwissend an.
»Was soll das jetzt heißen?«, fragte ich schon etwas genervt. Jeremy verzog seine Lippen zu einem wohlwollenden Grinsen.
»Ganz einfach, Miss Cooper. In diesem Aufzug kann man wohl kaum aus dreizehntausend Fuß in die Tiefe springen. Es sei denn, du möchtest der Belustigung der Fallschirmspringer dienen.« Nun zog ich meine Augenbraue einseitig hoch.
»Bist du jetzt völlig durchgeknallt?« Mit dem Zeigefinger tippte ich einige Male energisch gegen meine Stirn. Er aber steckte seine Hände ungezwungen in seine Anzugtaschen, senkte dabei seinen Kopf und sah mich nun spitzbübisch an.
»Keineswegs! Ich praktiziere diesen Sport schon seit meiner Kindheit. Ich bin ein Experte auf diesem Gebiet«, klang er ganz salopp.
»Du willst also mit mir Fallschirmspringen gehen?« Widerwillig schüttelte ich den Kopf, währenddessen ließ ich meinem Ärger Luft, indem ich tief schnaufte. »Sie sind größenwahnsinnig, Mr White!«
Behutsam nahm er mich in den Arm und wollte mich mit all seiner Überredungskunst, die ihm zur Verfügung stand, beruhigen. »Es wird dir gefallen, Elena. Du wirst es lieben, glaube mir! Wir machen einen Tandemflug, nur wir beide. Ich werde dich auf über dreizehntausend Fuß küssen und du wirst dir wünschen, dass wir es wieder und wieder tun werden, das verspreche ich dir.« Seine Begeisterung war ihm ins Gesicht geschrieben und selbst, wenn ich es gewollt hätte, hätte ich mich seinem Charme nicht entziehen können.
»Was ist, wenn ich unter einer Form der Berührungsangst leide?«, fragte ich ironisch. Nun setzte er seinen verführerischen Blick auf.
»Das hätte ich aber letzte Nacht schon bemerken müssen.« Er hielt mich noch immer fest.
»Was ist, wenn ich unter Höhenangst leide?«, konterte ich energisch und suchte nach einer Ausrede, um diesem verrückten Unterfangen zu entkommen. Jeremy schnaubte.
»Warst du es nicht, die den waghalsigen Bungee-Jump von der Tower Bridge riskierte?«, fragte er in einem zynischen Tonfall. Ich spitzte meine Lippen.
»Das war eine Wette!« Er lachte höhnisch.
»Eine Wette! Die gesamte Judikatur in London hat über dich gesprochen. Du hast unser Gerichtsjournal mit deinen Schlagzeilen gefüllt. Und du willst mir weismachen, du hättest Höhenangst? Ach, komm schon. Schlag ein.« Also tat ich, wozu er mich aufforderte und wir machten uns auf den Weg zu seinem Wagen. Er betätigte den Knopf, um den Fahrstuhl in Bewegung zu setzen, wenig später öffneten sich die Lifttüren. Wir stiegen ein und es ging abwärts.
Als wir in der Tiefgarage ankamen, steuerte er auf ein Auto zu, hantierte mit der Fernbedienung und drückte auf den Knopf. Ein geläufiges Geräusch ertönte und die Warnblinkanlage leuchtete kurz auf. In weiterer Folge öffneten sich die Türen selbständig und gingen nach oben hin auf.
»Toller Sportwagen«, bemerkte ich anerkennend.
»Ein Maserati Zagato Mostro. Acht Zylinder, vierhundert PS, dreihundertzwanzig Stundenkilometer. Ein Rennwagen mit Straßenzulassung. Black Magic im Carbonkleid sozusagen«, erläuterte er lächelnd, während er sich in seinem schicken Anzug auf den mit hellbraunem Leder gepolsterten Sitz fallen ließ.
»Ein reines Männerspielzeug«, untermauerte ich seine Beweisführung und setzte mich auf den Beifahrersitz.
»Nicht nur. Auch zarte Damenhände in Lederhandschuhen haben kein Problem damit, das Auto in die Kurven zu treiben.« Sein Blick war liebevoll.
»Wie viele von diesen Dingern hast du eigentlich?«, fragte ich zynisch. Er lächelte charmant.
»Mehrere«, war seine spontane Antwort. Jeremy startete den Wagen und der Motor schnurrte. Die Inneneinrichtung war beeindruckend. Eine Volllederausstattung, nur der Dachhimmel bestand aus Alcantara. Mehr als genug Fußraum, bequem gepolsterte Sitze, die elektrisch verstellbar waren, Sitzheizung, Lederlenkrad, sozusagen ein wahrer Traum.
Im nächsten Augenblick glitt das Monster im Smoking die Garagenauffahrt hinauf, um auf die Straße zu gelangen.
»Wo geht die Reise hin?«, fragte ich neugierig.
»Zum Flughafen, dort werden wir starten. In Kent, in der Nähe von Seeds Castle, werden wir dann abspringen.« Ich rollte die Augen.
»Okay, wenn du möchtest, dass ich an einer Angststörung erkranke, dann mach nur weiter so. Übrigens so nebenbei: Es macht einen Unterschied, ob man aus einhundertvierzig oder dreizehntausend Fuß springt.«
»Beruhige dich, Honey.« Unterdessen legte er seine linke Hand auf meine rechte.
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