»Das kling spannend.«
»Na ja. Ich bin mir nicht sicher, ob es gut geworden ist.«
»Bestimmt ist es gut geworden«, sagte Lynn.
»Na ja. Man wird sehen ... Aber was ist mit dir? Erzähl doch mal.« Benn lehnte sich im Stuhl zurück und schickte ihr ein entspanntes Lächeln über den Tisch.
»Oh ... na ja ... Ich habe immer noch diesen Job als Fotografin.«
»Aha.«
»Und ... äh ... Ich bin mit Charlie zusammengezogen.«
»Tatsächlich? Das ist schön«, sagte Benn.
Lynn beobachtete ihn genau bei seiner Antwort. Er sagte es aufrichtig, ohne Heuchelei und Eifersucht.
Sie und Benn hatten sich im Guten getrennt. Kurz nachdem sie Charlie kennengelernt hatte, war der Kontakt zu ihm allerdings vollkommen abgerissen. Sie hatten sich jetzt beinahe zwei Jahre nicht mehr gesehen oder gesprochen.
»Und, klappt das gut?«
»Wie bitte?« Sie verstand nicht.
»Du und Charlie ...?«
Lynn dachte darüber nach, was sie darauf antworten sollte. Als Erstes wollte sie einfach Ja sagen, aber dann kam es ihr komisch vor, ohne Not zu lügen. Gleichzeitig stellte sie sich die Frage, warum sie nur erwähnt hatte, dass sie mit Charlie zusammengezogen war, und nicht, dass sie heiraten wollten. Sie dachte solange über all das nach, bis es merkwürdig wirkte.
»Verstehe«, sagte Benn. »Entschuldige, dass ich gefragt habe.«
»Ach«, sagte Lynn. »Du kannst ja nichts dafür.«
Ein langes, peinliches Schweigen entstand.
Endlich sagte Benn: »Willst du vielleicht kurz mitkommen? Ich wohne gleich hier um die Ecke.«
Lynn sah ihn überrascht an. War das gerade eine Anmache? So war Benn früher doch nie gewesen.
»Ich meine wegen dem Buch. Ich möchte dir gern ein Exemplar mitgeben. Es würde mich interessieren, was du davon hältst. Du meditierst doch schließlich selbst. Oder ist es unpassend, dass ich frage?«
»Nein, nein«, sagte Lynn und lachte kurz auf. »Das ist nicht unpassend. Ich würde dein Buch wirklich gern lesen.«
»Also ...?«
»Gehen wir.«
***
Die Verlobungsringe, die Charlie gekauft hatte, waren aus Weißgold. Er hatte ihre Vornamen eingravieren lassen. Auf dem Ring von Lynn stand »Charlie«, auf seinem »Lynn«. Sonst waren die Schmuckstücke schlicht gehalten.
Geistesabwesend klopfte er mit dem Ring an seinem Finger auf den großen Konferenztisch. Er hatte sich in den Besprechungsraum des CHRONICLE gesetzt, eine Stunde bevor das offizielle Meeting beginnen sollte. Besonders intelligent war das nicht, aber es war immer noch besser, als in der Wohnung zu bleiben, nachdem Lynn hinausgelaufen war.
Sie hatte nichts weiter gesagt, war einfach hinausgelaufen und hatte die Wohnungstür hinter sich zugeknallt. So heftig gestritten hatten sie beide noch nie. Sicher, es gab immer mal wieder Zank, aber so war es wirklich noch nie gewesen. Und woher kam das? Vielleicht hatte Lynn recht. Vielleicht hatten sie beide wirklich nur den Sex. Na ja, dank ihrer bescheuerten Esoterik hatten sie jetzt noch nicht einmal mehr das.
Charlie ließ den Ring laut auf den Tisch klopfen. Im Prinzip war das Ding auch nichts wert. Im Prinzip war er nur ein idiotisches Symbol für etwas, das es nicht gab. So wie dieser verdammte Buddha in ihrem Wohnzimmer. Jetzt fiel er Charlie wieder ein. Er hatte den Buddha genau vor seinem geistigen Auge und es ärgerte ihn, wie er so gelassen und heilig da hockte. Dieser verdammte, erleuchtete Scheißkerl.
»Wir sind heute aber früh dran.«
Charlie schreckte auf.
Vor ihm stand die stellvertretende Chefredakteurin Samantha Morten. Samantha war, wie Charlie wusste, Mitte Vierzig. Wann immer er sie sah, wirkte sie elegant und sehr kühl – als wäre die Welt um sie herum ein Witz, der sie amüsierte, aber nicht sonderlich beeindruckte. Ihre Stimme war sehr markant, kratzig, etwas verraucht, und immer lag ein selbstsicherer, fast spöttischer Ton darin. So auch jetzt.
Sie trug sein sehr adrettes schwarzes Kostüm, Nylons, schwarze hochhackige Schuhe und lächelte ihn mit ihrem roten Mund an.
»Tja, ist doch mal eine Abwechslung. Sonst komme ich ja gern zu spät.«
»Das stimmt allerdings«, entgegnete Samantha. Sie setzte sich neben Charlie an den großen Konferenztisch und sah ihn an. »Ist alles in Ordnung?«
»Bei mir?«
»Sonst ist hier ja wohl keiner.«
»Stimmt auch wieder«, räumte Charlie ein.
»Und? Ist nun alles in Ordnung?«
»Klar.«
»Tatsächlich?«
»Aber ja. Warum fragst du?«
»Du sitzt hier rum und starrst vor dich hin.«
»Ich habe nur nachgedacht.«
»So, so«, sagte Samantha. Ihr Blick huschte kurz zu den großen Fenstern, durch die man bis nach Manhattan sehen konnte. Auch Charlie sah einen Moment lang aus dem Fenster. Irgendwo dahinten lag seine Wohnung. Lynn war wahrscheinlich schon wieder zu Hause. Sie saß vermutlich gerade im Lotussitz im Wohnzimmer und versuchte zu meditieren. Was immer das auch sein sollte.
»Rauchst du eigentlich?«, hörte er Samantha plötzlich fragen.
Als er sich zu ihr wandte, bemerkte er, dass sie ihn prüfend ansah. »Nicht mehr. Nicht so häufig jedenfalls.«
»Kommst du mit, eine rauchen?«
Charlie zögerte. »Ich weiß nicht.«
»Ich für meinen Teil brauche vor diesem öden Meeting noch eine Zigarette.« Samantha stand auf und ging zur Tür. Charlie bemerkte, dass sein Blick über ihre Beine und ihren Po strich, während sie sich bewegte.
»Sicher, dass du nicht mitkommen willst?«, fragte sie, ohne sich umzudrehen. »Letzte Chance.«
»Na schön. Warte auf mich«, sagte Charlie, als sie die Tür aufzog. »Ich komm mit.«
Sie gingen durch das Treppenhaus, hoch zur Dachterrasse, wo der CHRONICLE eine Raucherecke für seine Angestellten eingerichtet hatte.
Als sie nach draußen an die frische Luft kamen, hielt Samantha Charlie eine Zigarette hin. Er nahm sie und ließ sich Feuer geben.
»Und jetzt noch einmal von vorn«, sagte Samantha mit einem Lächeln. »Was ist los?«
»Tja«, machte Charlie. »Ich habe mich mit meiner Freundin gestritten.«
»Lynn, nicht wahr?«
Charlie nickte.
»Sie war doch auf der Weihnachtsfeier.«
»Ja.«
»Sie ist niedlich.«
Charlie wusste nicht, was er darauf sagen sollte, und rauchte still weiter vor sich hin. Das Rauchen tat gut.
»Um was ging es denn, wenn ich fragen darf?«
»Das ist ein bisschen kompliziert«, druckste Charlie.
»Hin und wieder habe ich meinen helle Momente. Vielleicht versteh ich es ja.«
»Na ... also ... Ich weiß nicht. Vielleicht lassen wir das Thema besser.«
»Okay, du musst ja nicht darüber reden.«
»Danke.« Charlie nahm einen weiteren tiefen Zug.
Eine Weile standen sie schweigend nebeneinander. Er schloss seine Augen und hielt sein Gesicht in die Sonne. Es war Juni. Die Luft war angenehm warm, nicht zu heiß, und ein leichter Wind ging. Außer ihm und Samantha war niemand sonst auf der Dachterrasse. Der Verkehr unten auf der Straße war nur leise zu hören.
»Hat dir Freddy eigentlich schon Bescheid gesagt?«
Charlie blickte Samantha an.
Jener Freddy, von dem Samantha sprach, war seit zwei Jahren der Chefredakteur des CHRONICLE. Charlie hatte noch nie viel mit ihm zu tun gehabt. Die meisten Fragen klärte er mit Samantha und es gab ohnehin nicht viele Fragen. Üblicherweise gingen Charlies Texte so durch, wie er sie niederschrieb.
»Weswegen?«
»Er ist der Ansicht, dass deine Kolumnen in letzter Zeit einen Tick zu weit gehen.«
»Inwiefern?«
»Manche deiner Sätze sind zynisch und verletzend.«
»Natürlich, deshalb lesen die Leute meine Kolumne. Das sind die Markenzeichen der ›Bad Notes‹.«
»Das sehe ich genauso, aber Freddy hat seine Probleme damit.«
»Aha«, sagte Charlie wenig begeistert.
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