Schlussbemerkungen
Die Krankheitswirklichkeit der Betroffenen
Das Modell dynamischer Anpassungsleistungen an chronische körperliche Erkrankungen im Kindes- und Jugendalter und Auswahl passender Interventionen
Die konstruktiven Narrative als Resultate der Bewältigung
Pragmatischer Behandlungsansatz
Danksagung
Literatur
Verzeichnis der Abbildungen
Über die Autoren
Ursprünglich ein querdenkendes Außenseiterkonzept, hat sich der systemische Ansatz heute in vielen Bereichen der Therapie und der Beratung theoretisch wie praktisch etabliert. Auch Vertreter anderer Schulen bereichert er mittlerweile in ihrer Arbeit. Die Etablierung eines Paradigmas birgt für dieses selbst aber auch Risiken, weil sie stets mit der Verfestigung von Denk- und Handlungsgewohnheiten einhergeht. Die Reihe Störungen systemisch behandeln stellt sich vor diesem Hintergrund zwei Herausforderungen: Nichtsystemischen Behandlern und Vertretern anderer Therapierichtungen soll sie komprimiert und praxisorientiert vorstellen, was die systemische Welt im Hinblick auf bestimmte Störungsbilder zu bieten hat. Innerhalb der Systemtherapie steht sie für eine neue Phase im Umgang mit dem Konzept von »Störung« und »Krankheit«.
Historisch gesehen war einer ersten Phase mit erfolgreichen Konzepten zu Krankheitsbildern wie Schizophrenie, Essstörungen, psychosomatischen Krankheiten und affektiven Störungen eine zweite Phase gefolgt, die geprägt war von einem gezielten Verzicht oder einer definitiven Ablehnung aller Formen störungsspezifischer Codierungen. In jüngerer Zeit wenden sich manche Vertreter der systemischen Welt wieder störungsspezifischen Konzepten und Fragen zu – und werden von anderen dafür deutlich attackiert. Diese neue Welle ist bedingt durch die Anerkennung der Systemtherapie als wissenschaftliches Heilverfahren, durch den Antrag auf deren sozialrechtliche Anerkennung und nicht zuletzt dadurch, dass viele im klinischen Sektor systemisch arbeitende Kollegen täglich gezwungen sind, sich zu störungsspezifischen Konzepten zu positionieren.
Die systemische Welt hat hierzu einiges anzubieten. Die Reihe Störungen systemisch behandeln will zeigen, dass und wie die Systemtheorie mit traditionellen diagnostischen Kategorien bezeichnete Phänomene ebenso gut und oft besser beschreiben, erklären und mit hoher praktischer Effizienz behandeln kann. Sie verfolgt dabei zwei Ziele: Zum einen soll systemisch arbeitenden Kollegen das große Spektrum theoretisch fundierter und praktikabler systemischer Lösungen für einzelne Störungen zugänglich gemacht werden – ohne das Risiko, die eigene systemische Identität zu verlieren, im besten Fall sogar mit dem Ergebnis einer gestärkten systemischen Identität. Gleichzeitig soll nicht-systemischen Behandlern und Vertretern anderer Schulen das umfangreiche systemische Material an Erklärungen, Behandlungskonzepten und praktischen Tools zu verschiedenen Störungsbildern auf kompakte und nachvollziehbare Weise vermittelt werden.
Verlag, Herausgeber und Autoren bemühen sich, einerseits eine für alle Bände gleiche Gliederung einzuhalten und andererseits kreativen systemischen Querdenkern die Freiheit des Gestaltens zu lassen.
An die Stelle der Abgrenzung und der Konkurrenz zwischen den verschiedenen Therapieschulen ist heute der Austausch zwischen ihnen getreten. Die Reihe »Störungen systemisch behandeln« versteht sich als ein Beitrag zu diesem Dialog.
Dr. Hans Lieb, Dr. Wilhelm Rotthaus
Chronische körperliche Krankheiten im Kindes- und Jugendalter sind weitverbreitet. Nach dem repräsentativen Kinder- und Jugendsurvey (Neuhaus, Poethko-Müller u. Kikas Study Group 2014) leiden circa 16 Prozent der Kinder und Jugendlichen (Altersbereich 0–17 Jahre) unter derartigen Gesundheitsproblemen, die für die Betroffenen selbst und ihre Familien eine außerordentliche Belastung darstellen.
Das vorliegende Buch bietet einen fundierten und kompakten Überblick über die wichtigsten chronischen Erkrankungen im Kindes- und Jugendalter mit den resultierenden Veränderungen im Familiensystem und den damit verbundenen psychosozialen Folgen. Die Autoren zeigen, welche Herausforderungen und komplex-dynamischen Anpassungsleistungen die betroffenen Kinder und Jugendlichen mit ihren Familien in den einzelnen Krankheitsphasen bewältigen müssen. Im Vergleich mit anderen psychotherapeutischen Behandlungsansätzen führen die Autoren therapieschulenübergreifend den aktuellen theoretischen Kenntnisstand aus einer systemisch-ressourcenorientierten und familientherapeutischen Perspektive zusammen. In theoretischen, konzeptionellen und methodischen Arbeitsräumen skizzieren sie die jüngsten Entwicklungen aus der systemisch-lösungsfokussierten therapeutischen Praxis. Unabhängig vom Ausbildungshintergrund regt das Buch zum Perspektivwechsel in der Betrachtung verschiedener psychischer, somatischer und interaktioneller klinischer Themen an. Die praxisnahen Fallbeispiele aus der Arbeit mit den Betroffenen liefern anschauliche Einblicke in die therapeutischen Prozesse und Interventionsmöglichkeiten und bieten eine kreative, fantasievolle und inspirierende Grundlage für alle, die in diesem Bereich tätig sind und sich Anregungen für ihre Arbeit wünschen.
In diesem Sinne wünsche ich der Leserschaft, dass auch Sie an die umfangreichen Erfahrungen der Autoren und deren kreative Ideen anknüpfen und diese zur Gestaltung Ihrer eigenen therapeutischen Arbeit nutzen und weiterentwickeln können.
Jun.-Prof. Dr. Julia Martini Juniorprofessorin für „Psychiatrische Diagnostik und Intervention“ und Psychologische Psychotherapeutin am Universitätsklinikum „Carl Gustav Carus“ der Technischen Universität Dresden
Einleitung
Grundlegende Gedanken zum vorliegenden Buch
Bei der Behandlung von psychischen Anpassungsreaktionen von Kindern und Jugendlichen mit chronischen körperlichen Erkrankungen ist die hohe Systemkomplexität im Handlungsfeld von ärztlicher Behandlung der körperlichen Grunderkrankung und der Psychotherapie der Folgestörungen bei den Kindern und Jugendlichen sowie ihren Angehörigen zu berücksichtigen. Anders als in der Behandlung von Kindern und Jugendlichen bei Ängsten oder Zwängen sind bei jungen Patienten mit chronischen körperlichen Erkrankungen nicht nur die somatischen Krankheitsbilder, sondern auch die psychischen Folgen und psychotherapeutischen Interventionsperspektiven und die Behandlungskontexte im Krankheits- und Behandlungsverlauf höchst unterschiedlich.
Chronische körperliche Erkrankungen stellen für die betroffenen Kinder, Jugendlichen und ihre Familien starke psychische Belastungen dar. Sie zeigen sich in Form von unterschiedlichen psychischen Anpassungsreaktionen. Angefangen von akuten Belastungsreaktionen können sie als Angstreaktionen, kurz- und mittelfristige depressive Reaktionen mit gemischten Beeinträchtigungen von Gefühlen und Sozialverhalten sowie als posttraumatische Belastungsstörungen mit beeinträchtigter Lebensqualität der Betroffenen und ihrer Familien beschrieben werden. Die Diagnose der Anpassungsreaktion unterscheidet sich durch ihre Codierung von anderen Symptomen in der Kinder- und Jugendlichenpsychotherapie, da hier ätiologisch auf eine beschreibbare äußere und innere Belastung hingewiesen wird.
Zur systemischen Behandlung von Angststörungen bei Kindern und Jugendlichen (Rotthaus 2016), von Depressionen (Ruf 2015) und von posttraumatischen Belastungsstörungen bei Kindern und Jugendlichen (Korittko 2016) geben die genannten Arbeiten aus der vorliegenden Reihe »Störungen systemisch behandeln« einen guten Überblick. Im Zusammenhang chronischer körperlicher Erkrankungen sind die genannten Symptome als begleitende Symptome zu verstehen, und Angstreaktionen im Zusammenhang mit einer schweren chronischen, womöglich lebensbedrohlichen Erkrankung bei Kindern sind realitätsbezogen und damit nachvollziehbar und anders interpretierbar.
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