Claudia Tondl - Wo verdammt ist Frau Wermes?

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Für eine Reportage wird Hans Munk das Arbeitsamt unter die Lupe nehmen. Mit einer guten Portion Journalisten-Selbstverständnis betritt er die reglementierten Räumlichkeiten des Arbeitsmarkt-Services, kurz AMS, stellt jedoch rasch fest: An Wartenummern, Restriktionen und geschlossenen Türen, die niemals ohne Aufforderung zu öffnen sind, kommt auch er nicht vorbei.
Vielmehr gerät er mit in die Fänge einer nie enden wollenden Warteschleife. Schließlich gelangt er, wenn auch nur auf leisen Sohlen, an Vorschriften vorbei, ins Büro der leitenden Angestellten Frau Wermes. Sie gibt Auskunft, damit beauftragt zu sein, allen alles recht zu machen. Ihr sichtlich angeschlagenes Innenleben tritt gemeinsam mit ihren statistischen Aussagen und Zielvorgaben schaurig deutlich ans Licht, die jahrelange Gleichförmigkeit auf dem Amt hat tiefe Spuren hinterlassen. Herr Munk braucht weiteres Material, weitere Auskünfte, er muss dranbleiben. Beim interaktiven Job-Automaten im Flur wagt Herr Munk einen kurzen Selbstversuch und erhält die düstere Prognose: Null passende Angebote vorhanden. Umso wichtiger für Munk, nun mit dieser verheißungsvollen Story seine journalistischen Fähigkeiten zu beweisen. Es gilt Eindrücke zu gewinnen, wie das System läuft, dass das System läuft. Tatsächlich, jeder Handgriff sitzt. Besonders bei roten Akten, denn die beinhalten interne Wünsche, interne Anregungen, interne Beschwerden. Rote Akten müssen umgehend und zur vollsten Zufriedenheit bearbeitet werden.
Von der Unerreichbarkeit eines Menschen hinter einem Aktenberg, von abwesenden Mitarbeitern, deren Vertretung ebenfalls nicht da ist, davon erzählt bereits der Titel «Wo verdammt ist Frau Wermes?». Aus dieser Prämisse spinnt Claudia Tondl ein einprägsames Werk über die Absurdität, dass unzählige, geordnete Fakten, die den Menschen eigentlich präziser erfassen sollen, diesen in Wahrheit immer unerreichbarer werden lassen. Sie zeigt, dass diese «Bemühungen» seine Existenz nicht sichern, sondern letzten Endes in jeglicher Hinsicht bedrohen. Zwischenmenschliches intuitives Handeln wird durch bürokratische Hürden systematisch torpediert. Ein Schauermärchen, das die gegenwärtige Arbeitsmarktsituation auf der Bühne verdichtet und weiterdenkt.

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Claudia Tondl

Wo verdammt ist Frau Wermes?

FELIX BLOCH ERBEN

Verlag für Bühne, Film und Funk

Inhaltsverzeichnis

Title Page Claudia Tondl Wo verdammt ist Frau Wermes? FELIX BLOCH ERBEN Verlag für Bühne, Film und Funk

Personenverzeichnis Personenverzeichnis REPORTER (Hans Munk) FRAU WERMES (Helga) INFORMANTIN (Sabine) FRANZ (Herr Leiter) MANN FRAU 1 FRAU 2 FRAU 3 BILDUNGSTRÄGER (Herbert) PUBLIKUM (Chor der Arbeitslosen) Text in () ist zu sprechen oder als Handlungshinweis zu verstehen.

Stücktext

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Über die Autorin

Über das Stück

Impressum

Personenverzeichnis

REPORTER (Hans Munk)

FRAU WERMES (Helga)

INFORMANTIN (Sabine)

FRANZ (Herr Leiter)

MANN

FRAU 1

FRAU 2

FRAU 3

BILDUNGSTRÄGER (Herbert)

PUBLIKUM (Chor der Arbeitslosen)

Text in () ist zu sprechen oder als Handlungshinweis zu verstehen.

REPORTERDie Arbeitslosigkeit ist für immer mehr Menschen ein Problem. Aus diesem Grund binde ich mir meine beste Krawatte um den Hals und statte einer der regionalen Geschäftsstellen des Arbeitsmarktservice einen Besuch ab. Mein Weg führt mich durch einen lauschigen Park. Blumen, Wiesen, Bäume, Sträucher sind hier hübsch durch gepflegte Kieswege in Grünflächen geteilt und thematisch geordnet. Kurz gerate ich in Versuchung, auf einer der Parkbänke zu Verweilen und den Menschen bei ihren Beschäftigungen zuzusehen. Eltern schieben und spielen mit ihren Kindern. PensionistInnen lassen ihre Beine und Seelen baumeln während sie ihre Nase in die Sonne strecken. Es ist zehn Uhr morgens. Ich bin spät dran. Ich hetze über Kieswege zum Parkausgang und stehe nun etwas atemlos vor dem straßenstaubbegrauten AMS-Gebäude. Hier herrscht reges Treiben. Menschen kommen und gehen. Zwei Hunde sitzen vor dem Eingang. Ich gehe an ihnen vorüber in das Gebäude hinein. Hinter mir höre ich ein leises Winseln. Vor mir stoße ich bereits auf das Ende der Warteschlange. Trotz dieser Menschenmassen herrscht Stille. Ein Gefühl der Beklommenheit treibt mich unverzüglich aufs Klo. Ich sammle mich im Neonschein des Blaulichts, wasche meine Hände, inhaliere ein Mal kräftig den in der Luft liegenden Desinfektionsgeruch und trete dann bestimmt nach draußen. In der Warteschlange rollen manche Menschen die mitgebrachten Dokumente in ihren Händen, andere kauen Kaugummi, ein paar lesen Zeitung oder touchen auf ihren Smartphones herum. Diese Menschen sind das erste Mal hier und warten darauf, sich am dafür vorgesehenen Empfangsschalter arbeitslos melden zu dürfen.

Die Schlange bewegt sich einen Schritt vorwärts, ich gehe die Treppe hinauf in den nächsten Stock, den ein Schild als Servicezone ausweist. Welches Service wird hier geboten? Das will ich wissen. Meine Schuhe quietschen über das orangefarbene Laminat, vorbei an orangefarbenen Türen und Büropflanzen mit orangefarbenen Schleifen. Auf orangefarbenen Plastikstühlen liegen vereinzelt Broschüren, Pappbecher und anderer Müll, der davon zeugt, dass hier heute bereits eine Schlacht geschlagen wurde. Eine Tür öffnet sich und ein Mann weist mich höflich darauf hin, dass dieser Bereich für den Parteienverkehr zur aktuellen Uhrzeit nicht mehr offen stehe und mein Quietschen ihn bei der Sachbearbeitung seiner KundInnenakten störe. Ich solle mich, wie alle anderen auch, an den Empfangsschalter im Erdgeschoss wenden, um einen Termin zu vereinbaren.

Danke. Ich habe einen, sage ich. Doch das stößt nur auf taube Ohren, weil sein Kopf bereits wieder hinter der orangefarbenen Tür verschwunden ist, durch die während des Parteienverkehrs nur terminlich vorgemerkte Arbeitslose treten dürfen, die zwischen dem 16. und 31. Mai geboren wurden. Aha. Ich habe tatsächlich einen Termin. Im Zuge meiner Recherche konnte ich eine leitende Angestellte davon überzeugen, mir ein Interview zu geben. Sie möchte anonym bleiben. Darum ziehe ich besser meine Schuhe aus und schleiche in den nächsten Stock treppauf, den das dort angebrachte Schild als Beratungszone ausweist. Am Stiegenabsatz schlägt das Farbleitsystem in grün um. Grüner Laminatboden. Grüne Türen. Weder grünfarbene Schleifen noch Büropflanzen. Und Menschen sind hier ebenfalls keine anzutreffen. So kann ich ungestört einen Blick hinter die Kulissen wagen und in Ruhe mein Interview mit Frau W. führen.

(Silhouette von Frau Wermes)

Frau W./

FRAU WERMESBitte nennen Sie mich Helga.

REPORTERGut, Helga, Sie kennen das System wie Ihre Westentasche, nehmen darin seit geraumer Zeit eine zentrale Stellung ein und wissen bestens um die hier tagtäglich stattfindenden Abläufe Bescheid. Was können Sie uns von Ihrer Arbeit im Arbeitsmarktservice berichten?

FRAU WERMESIch will nichts und niemandem schaden. Sämtliche Vorkommnisse verstehe ich als Ergebnis diverser Verstrickungen, die ich weder eigeninitiativ herbeigeführt noch tatkräftig unterstützt habe. Das möchte ich betonen. Ich bin immer loyal. Gegenüber meinen Vorgesetzten. Gegenüber meinen MitarbeiterInnen. Gegenüber meinen KollegInnen. Gegenüber sämtlichen externen PartnerInnen.

REPORTERWir sprechen über das System und unsere nationale Wirtschaftsleistung, ganz abgesehen vom individuellen und gesellschaftlichen Wohlbefinden?

FRAU WERMESLoyalität ist schließlich Teil meiner Jobdescription. Ich bin damit beauftragt, allen alles recht zu machen. Das tue ich.

REPORTER(Mit einem stoßartigen Ausatmen lässt sich Frau W./

FRAU WERMESHelga.

REPORTERin ihren Schreibtischstuhl zurückfallen.) Meine nächste Frage wirft sie zusammen mit ihrem Blick aus dem Fenster. Der Himmel ist blau und leise blöken ein paar Schäfchenwolken.

FRAU WERMESIn jedem Menschen existiert eine Linie. Diese Linie hält den Organismus zusammen und trennt den Menschen schützend von seiner Umwelt. Diese Linie zieht sich wie eine Ameisenstraße durch den Körper. An manchen Tagen spüre ich sie ganz deutlich. Dann kribbelt es in meinen Armen, in meinen Beinen, in meinem Gesicht.

REPORTERFrau W./

FRAU WERMESHelga.

REPORTERHelga, um auf meine Frage zurückzukommen: Offizielle Zahlen sprechen von einer sehr hohen Arbeitslosigkeit mit weiterhin steigender Tendenz. Weitaus höher ist die Zahl zusätzlicher stiller Arbeitsmarktreserven. Wie geht man von Seiten des Systems mit dem Wunsch um, arbeiten zu wollen, aber nicht zu können?

FRAU WERMESManchmal bahnt sich diese Linie auch ihren Weg über meinen Schreibtisch. Über das aktuelle Kalenderblatt wandert sie durch die Fensterscheibe nach draußen. In den Mittagspausen folge ich ihr gedanklich ins vis-à-vis gelegene Naturgrün und spaziere dort mit ihr die Parkwege entlang.

REPORTERGemeinsam setzen wir uns auf eine der Parkbänke und strecken unsere Nasenspitzen in die Sonne. Frau W. atmet das Duftpotpourri der umliegend angelegten Blumenbeete, mir steigt Wurstsemmelgeruch in die Nase und in der Sekunde höre ich nicht nur herzhaftes Schmatzen, sondern auch meinen Magen knurren.

FRAU WERMESEntschuldigung, das ist dieser Baustellenlärm. Ich schließe schnell das Fenster.

REPORTERNach diesen ersten atmosphärischen Eindrücken in den AMS-Räumlichkeiten will ich von Frau/

FRAU WERMESHelga/

REPORTERW. mehr über die Menschen in diesem System wissen. Wer sind sie? Wie werden sie vermittelt?

FRAU WERMESÖffnen Sie den Schrank hinter Ihnen.

REPORTERJa, hier hängen sie. Dicke, dünne, dicht gedrängt in unterschiedlichen Farben, junge und alte. Sofort bekomme ich Platzangst und setze mich wieder.

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