Claudia Tondl, 1980 in Wien geboren. Peter-Turrini-DramatikerInnenstipendium 2013, DramatikerInnenstipendium der Stadt Wien 2011 und des bmukk 2010. Studierte an der Universität Wien Anglistik, Philosophie, Psychologie und Pädagogik sowie Theater-, Film- und Medienwissenschaft. Parallel dazu absolvierte sie eine Ausbildung zur Werbedesignerin und arbeitete vier Jahre als Texterin in einer Wiener Agentur. Ihre Stücke wurden bisher u.a. am Staatstheater Mainz, in der Garage X, am KosmosTheater und zuletzt im Festspielhaus Bregenz uraufgeführt..
Textlicht ist junge Literatur in einem handlichen Format, für daheim und unterwegs – die Bücher der Textlicht-Reihe sind hochwertige und unterhaltsame Literatur, die unter die Haut geht und im Kopf bleibt.
Mehr zur Reihe unter: www.editionatelier.at
Claudia Tondl
Erzählung
PROLOG PROLOG In und zwischen den Zeilen liegt die Betrachtung. Zumindest sagt das meine Großmutter. Sie ist alt. Sie muss es wissen. Ich bin bis heute nicht dahintergekommen, was sie eigentlich damit meint. Wenn ich die Straße entlanggehe, sehe ich bloß Bilder. Ein um das andere Bild reiht sich in den Bilderreigen der immer weitere Kreise zieht. Ich gehe gerne. Während ich durch die Stadt flaniere, habe ich nicht nur an ihr teil, die Stadt ist auch ein Teil von mir. Ich kenne viele Ecken, und die Ecken kennen mich. Dort zwischen den Pflastersteinen habe ich zum Beispiel einmal eine Pusteblume gefunden, deren Schirmchen mich hoch über die Dächer mitgenommen haben. Oder dort drüben, unter diesem Fenster ist mir ein Hut auf den Kopf gefallen. Natürlich gibt es auch weniger spektakuläre Ereignisse, wie ein offenes Schuhband oder einen Fahrradunfall oder den ersten Kuss. Heute gehe ich auf den Markt. Die vielen Waren und Menschen bieten einiges zu schauen, und so schlendere ich voller Vorfreude die Straße hinunter. Gerade als ich die Straße überqueren möchte, braust knapp vor mir ein Fahrrad vorbei. Erschrocken blicke ich ihm hinterher und sehe, wie es zwischen zwei Häusern in die Hausfassade einbiegt. Dass an dieser Stelle eine Durchfahrt wäre, hätte ich noch nicht bemerkt. Ich folge dem Fahrrad, und tatsächlich: eine Seitengasse. Sie ist sehr schmal, so schmal, dass im zweisamen Hand-in-Hand kein Durchgang möglich wäre, aber nicht besonders lang. Schon bin ich an ihrem Ende angekommen und schaue neugierig ums Eck.
1. BILD 1. BILD Leere.
2. BILD 2. BILD Wenn ich lange genug hinschaue, kann ich eine Idee in der Leere keimen sehen. Vor meinen Augen nimmt die Idee Form an, und die Form entfacht Licht. Lichtspot. Umringt von Schwarz leuchtet mitten in der Leere ein Kreis. So etwas habe ich noch nicht gesehen. Ich muss blinzeln.
3. BILD 3. BILD Auf dem leuchtenden Kreis mitten im Lichtkegel steht ein Bauleiter mit Baustellenleuchte. Er sieht sich kurz um, stellt die Leuchte dann neben sich auf den Kreis und pfeift unter Zuhilfenahme seiner Zeigefinger schrill. Ich halte den Atem an. Nichts geschieht. Der Bauleiter sieht sich irritiert um: „Was ist? Wo bleiben die Absperrlatten?“ Unverzüglich fällt der Lichtspot auf eine andere Stelle im leeren Raum und spendet einem überraschten Trupp behelmter Blaumänner kreishellen Boden unter den Füßen. Sie gackern wie Hühner, und ich kann mir ein Schmunzeln nicht verkneifen. Im Lichtkegel leitet der Bauleiter den Aufbau einer quadratischen Baustelle von etwa einem mal einem Meter an. Zu guter Letzt klatscht er zweimal in die Hände, um die Baustellenleuchte zum Leuchten zu bringen. Freudestrahlend hängt er sie an die errichtete Baustelle, während Lichtspot und Bautrupp schon gemeinsam den Weg durchs Dunkel beschreiten. Vor mir hat die Idee Form angenommen.
4. BILD 4. BILD Mitten im Dunkel hängt an einer quadratisch abgesperrten Baustelle von etwa einem mal einem Meter ein Licht. Obwohl das Licht leuchtet, kann ich trotzdem nichts sehen. Sind meine Augen geschlossen? Bin ich eingeschlafen? Ich warte eine Weile und als weiter nichts geschieht, nehme ich eine deklamatorische Haltung ein, um der Leere zumindest Goethes Worte zu schenken: „Wo viel Licht ist, ist starker Schatten“, rufe ich, aber nichts ist zu hören. Ich öffne wieder und wieder meinen Mund, entlasse jedes Wort einzeln nach draußen, schreie, spucke, platze, bis mich plötzlich eine Stimme unterbricht: „Egal was gewesen sein wird, ich werde dafür verantwortlich gemacht werden können. Ich bin da. Hier. Ohne mich gäbe es alles nicht. Ohne meine Anwesenheit wäre rein gar nichts zu sehen oder nichts glaubhaft zu Sehendes wahrzunehmen. Würde ich verschwinden oder wäre ich erst gar nicht gekommen, würden Sie das, was Sie hier sehen werden, niemals zu sehen befähigt sein. Vielleicht aber werden wir vorerst gemeinsam sehen, wohin uns diese Erfahrung führt und lassen diese Sinnesdinge auf uns wirken. Sie werden schon sehen.“ Gespannt entscheide ich mich zu bleiben. Der Markt kann warten.
5. BILD 5. BILD Mitten im Dunkel hängt an einer quadratisch abgesperrten Baustelle von etwa einem mal einem Meter ein leuchtendes Licht. Ein Mann mit Liegestuhl und ein Lichtkegel betreten aus unterschiedlichen Richtungen kommend das Bild. Beide tappen suchend durch das Dunkel und finden einander schließlich in einem Punkt. In diesem lassen sie sich nieder. Der Mann beginnt umständlich zu hantieren, lange, so lange, bis sein gestreifter Liegestuhl schließlich sachkonform aufgestellt ist. „Sieht gemütlich aus“, denke ich und sehe weiter dabei zu, wie sich der Mann selbstbewusst Kleidungsstück für Kleidungsstück auszieht, jedes faltet und alles hübsch gestapelt neben seinem Liegestuhl ablegt. Die Unterhose lässt er bis zu den Knöcheln hinunter. „Nein, das will ich aber nicht sehen.“ Erschrocken, als hätte er mich gehört, zieht der Mann die Unterhose wieder hoch. Dann schmiert er sich ausgiebig mit Sonnencreme ein, legt sich in seinen gestreiften Liegestuhl, freut sich darüber, dass Streifen schlank machen, und rückt sich gemütlich zurecht. Das Licht an der quadratisch abgesperrten Baustelle von etwa einem mal einem Meter beginnt zu blinken.
6. BILD
BILDSTÖRUNG
7. BILD
8. BILD
9. BILD
WERBEUNTERBRECHUNG EINS
10. BILD
11. BILD
12. BILD
13. BILD
14. BILD
15. BILD
16. BILD
17. BILD
INTERMEZZO
18. BILD
19. BILD
20. BILD
21. BILD
22. BILD
23. BILD
24. BILD
25. BILD
26. BILD
27. BILD
WERBEUNTERBRECHUNG ZWEI
28. BILD
29. BILD
30. BILD
31. BILD
32. BILD
33. BILD
34. BILD
35. BILD
WERBEUNTERBRECHUNG DREI
36. BILD
37. BILD
38. BILD
EPILOG
In und zwischen den Zeilen liegt die Betrachtung. Zumindest sagt das meine Großmutter. Sie ist alt. Sie muss es wissen. Ich bin bis heute nicht dahintergekommen, was sie eigentlich damit meint. Wenn ich die Straße entlanggehe, sehe ich bloß Bilder. Ein um das andere Bild reiht sich in den Bilderreigen der immer weitere Kreise zieht.
Ich gehe gerne. Während ich durch die Stadt flaniere, habe ich nicht nur an ihr teil, die Stadt ist auch ein Teil von mir. Ich kenne viele Ecken, und die Ecken kennen mich.
Dort zwischen den Pflastersteinen habe ich zum Beispiel einmal eine Pusteblume gefunden, deren Schirmchen mich hoch über die Dächer mitgenommen haben.
Oder dort drüben, unter diesem Fenster ist mir ein Hut auf den Kopf gefallen.
Natürlich gibt es auch weniger spektakuläre Ereignisse, wie ein offenes Schuhband oder einen Fahrradunfall oder den ersten Kuss.
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