FRAU GLAUBELEICHTIN. Ach! er kan immer da bleiben! Was hast du denn da vor ein Buch?
CATHRINE. O das ist ein Buch! daran werden sie sich ergötzen! Herr Magister Ungestüm schickt es ihnen.
FRAU GLAUBELEICHTIN (lieset.) Fußstapffen der WunderGOttes im Hällischen Wäysenhause. Ach meine Kinder! das ist ein herrliches Werck.
JUNGFER DORCHEN. Das wird schön zu lesen seyn.
FRAU GLAUBELEICHTIN. Da habt ihrs, lieben Kinder! Ihr sollet es zuerst lesen, so gern ich es auch selbst lesen möchte.
JUNGFER LUISCHEN. Wenn meine Schwester es gern bald lesen will, so will ich schon warten.
FRAU GLAUBELEICHTIN. Nein! nein! ihr könnts beyde [25]zusammen lesen, damit ihr die Lust mit einander theilet. Ich habe was anders zu lesen, davon ich nicht gerne eine Zeile überhüpffen wollte. Wenn mein Schwager kömmt, so rufft mich. Cathrine komm! räume meinen Nacht-Tisch auf! (Gehen ab.)
Jungfer Dorchen, Jungfer Luischen.
JUNGFER DORCHEN. Mich dünckt, Schwester, daß du nach dem Lesen dieses Buchs eben kein grosses Verlangen trägst.
JUNGFER LUISCHEN. Was soll ich denn lesen? Ich sehe, daß alle die Schrifften immer einerley sagen. Ein erschrecklich Klagen über die Orthodoxen; etliche Sprüche aus der Heil. Schrifft, oder aus Doctor Luthern, wohl oder übel angewandt; ein Hauffen Geschrey vom verborgenen inneren Funcken, und allerley Geschwätze, was ich nicht verstehe; das ist alles, was ich darinnen finde.
JUNGFER DORCHEN. Was du nicht verstehst. Du must sehr dumm seyn.
JUNGFER LUISCHEN. Das kan wohl seyn. Mein Trost ist aber, daß ich hierinnen vielen andern Personen gleich bin, die man doch eben nicht für so gar dumm hält.
JUNGFER DORCHEN. Ja! aber sie beschäfftigen sich mit lauter Kleinigkeiten.
JUNGFER LUISCHEN. Es ist wahr, sie bemühen sich nur, ihre Haushaltung zu bestellen; ihre Kinder zu erziehen; [26]ihre Bediente zu regieren; und auf diese Art theilen sie ihre Zeit in die Häußlichen und Christlichen Pflichten ein: Ich glaube aber, daß man sie deswegen eben so hoch hält, als diejenigen, welche sich bemühen über Dinge zu vernünffteln, die sie nicht verstehen.
JUNGFER DORCHEN. Meine liebe Schwester, das heisst so viel: daß du lieber mit dem Herrn Liebmann redest, und daß du ihn besser verstehest?
JUNGFER LUISCHEN. Es ist wahr! bedencke aber auch, daß ich meines Vaters Erlaubniß dazu habe; welcher mir befahl, den Liebmann als meinen bestimmten Mann anzusehen.
JUNGFER DORCHEN. Schwachheit!
JUNGFER LUISCHEN. Das kan wohl seyn, meine Schwester; aber du kanst sie mir leichtlich vergeben: Die Eigenschafft mit lauter himmlischen Sachen umzugehen, ist nicht allen Leuten gegeben, so, wie dir.
JUNGFER DORCHEN. Das heisst so viel: Ich könnte gar nicht ans Heyrathen gedencken, wenn ich wolte? O! nein! du irrest dich sehr. Ich halte den Ehestand an sich selbst für keine Schwachheit; sondern das kömmt mir nur nicht billig vor, daß man ihn als eine ernsthaffte und wichtige Sache ansieht, und darüber die Erkänntniß des innern Christenthums aus den Augen setzet.
JUNGFER LUISCHEN. Es ist wahr! die irrdischen Gedancken kommen dir gar nicht in den Sinn. Doch hoffe ich nimmermehr, daß du dir auf den Liebmann einige Rechnung machen wirst.
JUNGFER DORCHEN. Warum nicht? du bildest dir ein wenig zu viel auf deines Vaters Einwilligung ein!
JUNGFER LUISCHEN. Wie! Dorchen? willstu mir den [27]Bräutigam abspänstig machen, den mir mein Vater gegeben hat?
JUNGFER DORCHEN. Das sage ich eben nicht; aber ich verstehe mich wohl. Doch da kommt der Vetter und die Mama. Sie kommen als wie geruffen! Wenn du willst, so wollen wir gehen, und unser Werck zu lesen anfangen.
Frau Glaubeleichtin, Herr Wackermann.
HERR WACKERMANN. Nun Jungfer Muhmen! jage ich sie weg?
FRAU GLAUBELEICHTIN. Lassen sie sie nur gehen: Sie wollen etwas mit einander lesen; sie aber, Herr Bruder, werden mir vielleicht wieder eine Predigt zu halten haben?
HERR WACKERMANN. Ja! Frau Schwester! Ich habe ihnen einen sehr vernünfftigen Vorschlag zu thun; nemlich daß sie ihre Tochter Luise verheyrathen sollen. Ich kan den langen Aufschub einer Sache nicht begreiffen, die schon vor zwey Jahren sollte geschehen seyn.
FRAU GLAUBELEICHTIN. Ists nicht wohl schon das hundertste mahl, daß sie mir davon sagen?
HERR WACKERMANN. Freylich!
FRAU GLAUBELEICHTIN. Nun? haben sie etwas damit ausgerichtet?
HERR WACKERMANN. Zum Hencker? was sollte ich ausrichten?
FRAU GLAUBELEICHTIN. Warum geben sie sich denn immer vom neuen die Mühe?
[28]HERR WACKERMANN. Je! warum kan man sie gar nicht überreden?
FRAU GLAUBELEICHTIN. Warum? was haben sie denn für Recht darzu? sind sie mein Vormund? mein Gevollmächtigter? sie sind doch nichts mehr, als mein Schwager?
HERR WACKERMANN. Das ist freylich wenig genung! Wir wollen aber vernünfftig reden, ohne uns zu ärgern.
FRAU GLAUBELEICHTIN. Ich? ich sollte mich ärgern? Ach! die Schwachheit der verderbten Natur habe ich längst abgelegt! dem Herrn Scheinfromm sey Danck dafür.
HERR WACKERMANN. Sehr schön! aber mit aller vorgegebenen Sanfftmuth sind sie im Stande die gantze Welt tolle zu machen. Ich muß bekennen, der Herr Scheinfromm bringt ihnen schöne Sachen bey.
FRAU GLAUBELEICHTIN. Ey, Herr Bruder! seyn sie doch sanfftmüthig und liebreich. Sie hassen den Hrn. Scheinfromm, weil er ein Heiliger ist.
HERR WACKERMANN. Sie irren sich sehr! Ich habe die Tugend jederzeit geehret und geliebet: Aber, wenn ich ihnen die Wahrheit sagen soll, diejenige, so Scheinfromm ausübet, hat mir niemahls gefallen wollen.
FRAU GLAUBELEICHTIN. Warum denn nicht?
HERR WACKERMANN. Ich will nicht sagen, daß Scheinfromm ein dummer Mensch ist, der nichts weiter als einige heilige Geberden an sich hat. Ich sage nur, daß, seit der Zeit die Frau Schwester ihr Vertrauen auf ihn gesetzt haben, ihr gantzes Haus-Wesen im Verfall geräth. Das Gesinde kriegt keinen Lohn; die Töchter werden nicht versorgt; ihr Haus ist der allgemeine Sammelplatz von [29]den närrischsten Schmieralien und Leuten, die nur in der Stadt sind: Und da sie vormahls auf meinen Rath noch etwas gaben, so geben sie sich jetzo kaum die Mühe, mich anzuhören.
FRAU GLAUBELEICHTIN. Ey, Herr Bruder! ein wenig Sanfftmuth und Liebe! Sie kennen die wahre Tugend noch sehr schlecht.
HERR WACKERMANN. Es sey drum. Aber kurtz von der Sache zu reden, der arme Liebmann jammert mich. Lassen sie sich doch erbitten, Frau Schwester! Was haben sie davon, zwey junge Leute zu quälen?
FRAU GLAUBELEICHTIN. Herr Liebmann mag sich quälen, wie er will. Was aber meine Tochter betrifft, so bin ich von ihr eines gantz anderen überführt. Sie kennen sie und ihre Erziehung gewiß sehr schlecht. Das arme Kind denckt viel ans Heyrathen. Behüte GOtt! seit dem sie unsere Schrifften gelesen hat, so beschäfftiget sie sich mit viel ernsthaffteren Sachen.
HERR WACKERMANN. Sie meynen also, die Jungfer Muhme sey mit ihren Zänckereyen so gar beschäfftiget, daß sie darüber das Heyrathen vergisst? Wenn sie das glauben, so kan ich ihnen berichten, daß sie von uns zweyen diejenige Person sind, welche sich irret.
FRAU GLAUBELEICHTIN. Nun gewiß, sie sind recht halßstarrig! Ich will sie herruffen, damit ich den Herrn Bruder nur überzeuge. Komm her, Luischen! man hat dir was zu sagen.
HERR WACKERMANN. Meinetwegen. Allein erlauben sie ihr auch, ihre Gedancken frey zu sagen: Und, wenn sich die Sache so verhält, wie ich dencke, so willigen sie endlich in unsere Bitte.
[30]FRAU GLAUBELEICHTIN. O! wenn sich die Sache so verhält, so werde ich schon selbst wissen, was zu thun ist.
Frau Glaubeleichtin, Herr Wackermann, Jungfer Luischen.
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