THOMAS
FRANKENFELD
EIN THRILLER
Prolog
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Kapitel 11
Kapitel 12
Kapitel 13
Kapitel 14
Kapitel 15
Kapitel 16
Kapitel 17
Kapitel 18
Kapitel 19
Kapitel 20
Kapitel 21
Kapitel 22
Kapitel 23
Kapitel 24
Kapitel 25
Kapitel 26
Kapitel 27
Kapitel 28
Kapitel 29
Kapitel 30
Kapitel 31
Kapitel 32
Kapitel 33
Kapitel 34
Kapitel 35
Kapitel 36
Kapitel 37
Kapitel 38
Kapitel 39
Kapitel 40
Kapitel 41
Kapitel 42
Kapitel 43
Kapitel 44
Kapitel 45
Kapitel 46
Epilog
Anmerkungen und Danksagung
Die Personen
Der Autor
Juni 1643, Wedel in Holstein
Gesche Carstens rannte. Ihre nackten Füße flogen über den harten, staubigen Boden und trommelten darauf ein wildes Stakkato. Ihr Atem ging in keuchenden Stößen, aufgelöstes, verschwitztes Haar flatterte ihr hinterher wie ein dunkles Banner. Die junge Frau bemerkte weder, dass sich spitze Steine in ihre Sohlen gruben, noch, dass die scharfen Dornen einer Hundsrose ihre Waden aufrissen und rote Spuren hinterließen. Sie rannte um ihr Leben.
Als sie das geduckte Ziegelgebäude des Jacob‘schen Hofes erreichte, der eine halbe Meile nordwestlich der Stadt Wedel lag, warf sie einen gehetzten Blick zurück. Ihre Verfolger hatten an Boden verloren, behindert durch das Gewicht ihrer ledernen Wämser und stählernen Waffen. Doch sie mussten jeden Moment am Waldrand auftauchen, und die Magd wusste, was ihr dann bevorstand. Einerlei, ob es Brandenburger, Österreicher, Schweden oder andere Heere waren – die Truppen in diesem seit vielen Jahren hin- und herwogenden Gemetzel, das man später den Dreißigjährigen Krieg nennen würde, hausten allesamt unmenschlich in den umkämpften Gebieten. Ganze Landstriche waren bereits entvölkert, Dörfer und Städte in Schutt und Asche gesunken. Ausgerechnet die Bauern, die sich täglich den Rücken krumm schufteten, um eine karge Mahlzeit auf den Tisch stellen zu können, standen bei den Söldnerheeren im Verdacht, Schätze in ihren Häusern zu horten. Wie viele von ihnen in die brennenden Kamine ihrer eigenen Häuser gehängt oder mit dem grauenhaften „Schwedentrunk“ zu Tode abgefüllt worden waren, um angebliche Wertsachen preiszugeben, vermochte niemand zu sagen. Abertausende waren es gewiss. Kaum eine Frau, kaum ein halbwüchsiges Mädchen blieb auf dem Lande von der Schändung durch die grausame Soldateska verschont.
Gesche hatte die Gier und die Erbarmungslosigkeit in den Augen ihrer Verfolger gesehen. Verzweifelt warf sich die junge Frau gegen die grob gehobelte Fichtentür des Hofes und fiel erschöpft in die dämmerige Diele hinein. Sie wusste, wie auf vielen anderen Höfen gab es auch in diesem Haus geheime Winkel, in denen sich Menschen vor den Hunden des Krieges verbergen konnten.
„Freder …?“, rief sie halblaut, und dann noch einmal.
Im Haus blieb es jedoch ruhig, geradezu totenstill. Vorsichtig warf sie einen Blick zur Tür hinaus. Ihre Verfolger waren noch nicht zu sehen. Doch aufgegeben hatten sie gewiss nicht, dieser Illusion gab Gesche sich nicht hin. Sie tat ein paar Schritte in den stillen Raum hinein – und erstarrte. Diesen widerlich süßlichen Geruch kannte sie nur zu gut. Jeder in diesen unmenschlichen Zeiten kannte den Hauch des Todes.
Die junge Magd schritt eilig über den Boden aus gebrannten Ziegelsteinen hinweg, vorbei an der gemauerten Herdstelle, in der ein paar Scheite glommen, bis sie einen hölzernen Torbogen erreichte, der einen weiteren Raum mithilfe eines groben Wollvorhangs abtrennte.
„Freder? Janne?“, rief sie leise und schob dann zögernd den Stoff ein Stück beiseite.
Entsetzt keuchte sie auf bei dem Anblick, der sich ihr bot, und stolperte einen Schritt zurück. Als sie sich zur Flucht wandte, prallte sie hart gegen einen Menschen. Sie schrie. Eine Hand packte ihren Hals mit grobem Griff, erstickte gurgelnd ihren Schrei.
„Da haben wir das Täubchen ja endlich. Nun, nach einer guten Jagd schmeckt die Beute gleich noch viel besser“, grinste der Söldner, der sich mit seinen Kameraden lautlos in die Diele geschoben hatte.
Sein Atem stank nach verrotteten Zähnen und billigem Wein, in der rechten Hand hielt er einen Dolch. Er trug ein schwarzes Lederwams mit eisernen Nieten und an seinem Gürtel hing ein abgenutzter Katzbalger, das kurze Schwert der Landsknechte. Gesche starrte mit geweiteten Augen auf die schartige, aber scharf geschliffene Klinge, die sich ihrer Kehle näherte. Eisige Kälte breitete sich in ihr aus. Sie wusste, dass sie keine Chance hatte, den vier Männern zu entkommen. Es sei denn, sie handelte jetzt sehr entschlossen.
„Ihr habt mich also gefunden“, presste sie heraus. „Und den Tod noch gleich dazu.“
Der Söldner runzelte verwirrt die Stirn, als sie ganz dicht an ihn herantrat. Die Spitze des Dolchs ritzte ihre Haut; sie spürte, wie ein dünnes Rinnsal Blut an ihrer Kehle herablief. Die junge Frau lächelte, hob die Arme und legte sie um den Hals des Mannes. Er starrte sie an, dann breitete sich ein Grinsen auf seinem Gesicht aus, als er ihren Rock befingerte. Das Grinsen erlosch jedoch jäh, als sie sich kraftvoll nach hinten warf und dabei zur Seite drehte. Der überrumpelte Mann geriet aus dem Gleichgewicht und wurde durch den Vorhang auf die dahinterliegende breite Bettstatt katapultiert. Mit einem rüden Fluch auf den Lippen schnellte er sogleich wieder in die Höhe.
„Bei allen Dämonen – das ist ja die Teufelspest!“
Die anderen Söldner blickten an ihm vorbei auf die Bettstatt. Dann prallten sie mit gutturalen Lauten zurück und stürmten, sich gegenseitig roh aus dem Weg stoßend, aus der Tür. Ihr Kamerad im schwarzen Wams starrte einen Herzschlag lang seine Hände an, mit denen er sich auf der Bettstatt abgestützt hatte. Dann hob er den Blick zu Gesche Carstens, in dem Hass und blanke Angst standen. Er sah sich nach seinem Dolch um, aber der lag nun auf dem Bett. Der Schwarze wich rückwärts vor der jungen Frau zurück, dann wandte er sich ruckartig um und floh mit wilden Sätzen aus dem Haus, wie von Furien gehetzt.
Gesche stand ein paar Sekunden wie gelähmt da. Schließlich drehte sie sich um und zwang sich dazu, noch einmal auf das Bett hinunterzublicken. Dort lagen sie – Freder, Janne und ihre vier Kinder. Der alte Gerolf, Freders Vater, hing halb von seinem schlichten, strohbedeckten Lager an der gegenüberliegenden Wand herunter. Gesche begann, vor Entsetzen am ganzen Leib zu zittern. Doch sie konnte den Blick lange nicht abwenden: von den Blutlachen, in denen die sieben Menschen lagen. Von den im Todeskampf aufgerissenen Mündern in den schwärzlich angelaufenen Gesichtern mit ihren blutigen Augäpfeln.
Endlich konnte die junge Frau die Lähmung des Schocks abschütteln. Hastig trat sie ein paar Schritte zurück. Ein Gedanke brannte in ihrem Kopf wie ein loderndes Feuer: Hatte sie sich angesteckt? Das würde den sicheren Tod bedeuten! Es hieß doch, diese entsetzliche Pest könne sogar die Luft selbst mit ihrem todbringenden Miasma vergiften. Der Pastor! Wenn einer ihr noch helfen konnte, dann der Pastor! Sagte man nicht von ihm, er hätte sich selbst von der Pest geheilt? Und sogar Tollwütige von der tödlichen Krankheit befreit? Hoffentlich war er noch nicht geflohen wie so viele andere. Gesche Carstens sprang zur Tür hinaus und rannte. Sie rannte um ihr Leben.
2019, Wedel in Holstein
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