Marcel unterstellte mir immer wieder eine Affäre mit Nick. Sein Verstand konnte nicht begreifen, dass diese Verbindung mich vorantrieb und mir die Lebensfreude zurückbrachte, die mir durch meine vergangenen Lebensereignisse verloren ging. Also spielte er weiter den Detektiv und verkroch sich im Keller, wenn ihm alles zu viel wurde. Die ganzen Jahre hatte Marcel mich auf Händen getragen. In dieser Zeit hätte er jeden Tag sein Leben für mich gegeben. Er hatte es immer nur gut mit mir gemeint, aber nun zweifelte er daran, ob er mich jemals gekannt hatte. Ich wurde ihm plötzlich fremd. Wir sprachen weniger miteinander, gingen uns abends aus dem Weg und ließen uns in Ruhe. Während ich Marcel immer fremder wurde, kamen Nick und ich uns näher – nur durch aufgeschriebene Gedanken. Nick vervollständigte mich. Für Nick jedoch fühlte sich diese Nähe nach ein paar Wochen wie ein Sog an. Anfangs ließ er sich gerne davon mitreißen, weil er spürte, dass es ihm so viel positive Energie für sein Leben schenkte. Er fühlte sich von mir begehrt und so angenommen, wie er war. Ich interessierte mich nicht für sein Geld, sondern nur für ihn als Mensch. Nick ließ alles fließen zwischen uns. Ohne Drang und ohne Zwang. „Ich denke sehr viel an dich, Karla. Du strahlst so viel Wärme, Positivität und Geborgenheit aus.“
Marcel spürte unseren Gedankenaustausch und reagierte noch eifersüchtiger und besitzergreifender. Als ich mein Äußeres veränderte und mich so schick anzog wie in alten Zeiten, sagte er mit abschätzenden Worten. „Die Stiefel sehen streng aus bei dir. Turnschuhe finde ich schöner. Und wozu brauchst du Spitzenunterwäsche? Die hast du doch sonst nie getragen!“ Er war unsicher, weil er zu diesem Zeitpunkt glaubte, ich täte das nicht für mich, sondern für meine Affäre Nick. An manchen Tagen gab Marcel zu: „Du siehst toll aus. Schade, dass du das nicht für mich tust.“ Er hatte schreckliche Angst, mich zu verlieren. Wenn ich abends spät von der Arbeit heimkam, schaute er mich eindringlich an. Marcel sprach nicht aus, was er dachte, aber ich kannte ihn sehr gut. Innerlich war er kurz vorm Platzen. Jeder Außenstehende konnte ihn verstehen. Doch ich wünschte mir so sehr, dass er über seinen eigenen Schatten springen und das Positive in dieser Situation sehen würde: Seine Frau, die ehrlich zu ihm ist und sich für ihn, sich selbst und den Rest der Welt schön machte. Ich ging unbeirrt meinen Weg weiter. Zum ersten Mal in meinem Leben wurde ich selbstbewusst. Von meinen Freunden und auch von Nick bekam ich während dieser Entwicklungsschritte viele schöne Komplimente.
Dann kam der große Einschnitt in meinem Leben: „Schluss. Aus! So geht das nicht!“ Ich stand vor meiner Familie und war wieder den Tränen nahe. Unsere Tochter Maya beleidigte mich in einer Tour. Mittlerweile waren anderthalb Jahre seit der ersten Begegnung mit Nick vergangen. In einer ruhigen Minute nahm ich sie zur Seite. Maya weinte und erzählte mir, dass Marcel in letzter Zeit oft zu ihr sagte: „Mama hat einen neuen Freund.“ Ich war schockiert und verletzt, weil die Kinder unter uns litten. Ich wusste, dass Marcel alles in sich hineinfraß – der Harmonie wegen. Er versuchte die negativen Gefühle zu verstecken und drückte die Gefühle weg. Doch abends überkam es ihn, wenn ich nicht da war. Marcel hatte keinerlei Vertrauen mehr zu mir. Niemals hätte ich ihn betrogen oder wegen eines anderen Mannes verlassen. Ich liebte ihn, aber so ging es mit uns nicht mehr weiter. Wir redeten, als die Kinder schliefen, und kamen an den Punkt, wo wir uns eingestehen mussten, dass es besser wäre, uns in Liebe freizugeben und den Druck herauszunehmen. Ich wünschte mir, dass er glücklicher werden würde ohne mich. Deswegen fällte ich eine Entscheidung für alle: „Es hat keinen Sinn mehr. Lass uns nicht an alten Zeiten festhalten. Wir bleiben trotzdem für immer eine Familie! Wir fangen uns gegenseitig auf, wenn der Andere Hilfe braucht, und sind wie Freunde füreinander da.“ Wir hatten uns verändert, die Zeiten hatten sich geändert. All unsere Versprechungen von damals passten nicht mehr in die Gegenwart. Nun standen wir beide am Scheideweg und bewegten uns in verschiedene Richtungen. Ich wusste nicht, ob diese Wege uns beide wieder zusammenführen würden. Unser Zusammenkommen damals war eine schöne Zeit, das Auseinandergehen sollte nicht hässlich werden. In meiner Erinnerung würde Marcel immer der starke Mann sein, mit dem ich zum ersten Mal in meinem Leben wahre Liebe gefühlt habe. Ich empfand eine tiefe Dankbarkeit für diese Zeit. Dann akzeptierte ich die Wahrheit: Die Liebe blieb in den letzten Jahren auf der Strecke. Es hatte nichts mit Nick zu tun. Nick hatte uns lediglich aufgezeigt, dass etwas Elementares in unserer Beziehung schieflief. Unser Gefühl war nicht mehr wie früher und ich spürte, dass es Marcel genauso ging. Die Vergangenheit war so schön gewesen, dass wir sie wiederholen wollten. Wir versuchten anfangs die Liebe neu zu beleben, und es war schön in dieser Zeit, aber im Alltag kam Nick wieder so stark in mein Herz, dass ich nicht anders konnte, als an ihn zu denken. Viele Stunden habe ich verzweifelt geweint und gedacht, dass ich als Mutter und Ehefrau versagt hätte. Ich hatte geheiratet in der Hoffnung, dass wir unser gesamtes Leben miteinander verbringen würden, so wie es unsere Eltern auch taten. Ich wollte niemals aus meinen Kindern Trennungskinder machen. Doch ich konnte auch nicht mit ansehen, wie unsere elfjährige Tochter zwischen uns hin- und hergerissen wurde und vollkommen durchdrehte. Unser neunjähriger Sohn klammerte an seinem Vater wie ein Ertrinkender. Das musste aufhören und zwar, bevor die Kinder einen ernsthaften seelischen Schaden erlitten. Ein paar Wochen vor dieser Entscheidung saßen wir noch bei einer Paartherapeutin: „Frau Bordeaux, es ist egal, wen Sie heiraten. Am Ende treffen Sie immer nur auf sich selbst. Der Partner ist wie eine Leinwand. Er zeigt Ihnen Ihre unerfüllten Bedürfnisse und verdrängten Verletzungen. Es ist jetzt an der Zeit, die beste Beziehung Ihres Lebens zu führen. Mit Ihnen selbst!“ Sie hatte recht. Ich brauchte nun Zeit für mich selbst, um mich zu finden und zu erkennen, wer ich wirklich war.
Marcel und ich standen uns nach dieser Entscheidung auf Augenhöhe respektvoll gegenüber. Die letzten Blockaden zwischen uns brachen auf und ich spürte, dass es nicht der einfachste, aber der richtige Weg war. Noch in der Trennungsnacht schliefen wir miteinander. Marcel machte mir wunderschöne und ernst gemeinte Komplimente. Ich spürte seine Lust auf mich. Er zog mich an sich. Eng umschlungen standen wir mehrere Minuten zusammen und küssten uns. Langsam glitten seine Finger unter mein Kleid und landeten an meiner Reizwäsche. Wir zogen uns gegenseitig aus und liebten uns leidenschaftlich. Marcel kniete vor mir, hielt mein Becken mit beiden Händen und drang in mich ein. Mit meinen Beinen umschlang ich seine Hüften, kam in die Rückbeuge, spürte meinen tiefen Atem und kreiste in kleinen Bewegungen mein Becken. Danach drehten wir uns. Ich stützte mich auf die Hände, öffnete mein Herzzentrum und bestimmte nun selbst Intensität und Rhythmus. Schweißtropfen liefen über Marcels Gesicht. Ich küsste seinen Hals, seine Lippen, seine Augen. Die sexuelle Energie lief wie ein reißender Fluss durch meine Adern. Wir tauschten Zärtlichkeiten aus und genossen die gegenseitige Öffnung und Nähe – so nah, wie wir uns vielleicht noch nie waren. In dieser Nacht wurden unsere Seelen für einen kurzen Moment eins und ich bekam eine leise Vorahnung, was den Zustand von „Samadhi“ ausmachte: das Gefühl vollkommener Losgelöstheit. Gelebte Sexualität verjüngte meinen Körper und reinigte meinen Verstand – so steht es auch im Kamasutra geschrieben. Jede Zelle meines Körpers wurde von dieser Energie durchdrungen. Nun ging es nicht mehr darum, einfach satt zu werden, sondern um den Genuss. Die Glücksgefühle, die dabei entstehen, werden automatisch über die Herzfrequenz des Partners empfangen und können für dessen Ekstase sorgen. Man schaukelt sich damit gegenseitig hoch und erfährt ein unbeschreiblich schönes sexuelles Erlebnis. Ich kam an diesen Punkt, wo ich anfing, meine Sexualität voll auszuleben. Ohne Hemmungen und ohne Scham. Ich erkundete mich, meinen Körper und meine sehnlichsten Wünsche. Ich spürte endlich die Lebenslust, die ich als junger Mensch gesucht und nicht gefunden hatte.
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