1 ...7 8 9 11 12 13 ...37 Tariq, der noch immer in der offenen Tür stand, blinzelte angestrengt. War es Ahmad? Doch bevor er es erkennen konnte, ließ ihn eine Bewegung direkt links von ihm herumfahren.
Da stand Ahmad. Er hatte seinen beeindruckenden Dolch gezogen und hielt ihn auf jemanden gerichtet, der vor ihm mit dem Rücken an der Wand lehnte und sich offensichtlich nur mühsam auf den Beinen hielt. Der schwarze Guardian beherrschte die Situation, das zeigte die kalte Ruhe, die er ausstrahlte.
Jetzt entdeckte Tariq auch Yonas. Der Junge stand - offensichtlich unversehrt - an der linken Wand des Saales. Aber gerade als er zu ihm hingehen wollte, erkannte er entsetzt seinen Irrtum. Der Mann mit dem Dolch war nicht Ahmad. Ahmad war der, der schwer atmend an der Wand lehnte. Und doch sah einer aus wie der andere. So verblüffend ähnlich ...
"Tariq!", erklang es in dem Moment von der Galerie herab. "Welch schöne Überraschung, dass du auch gekommen bist."
Die Stimme ließ ihn einmal tief durchatmen. Er kannte sie. Und er hatte damit gerechnet, ihren Besitzer heute hier zu treffen.
"Und das war Rayan?"
Issams Stimme holte Tariq zurück in die Wirklichkeit der kleinen Klinik. Der Doc war fertig mit der zweiten Naht und kam zu ihm an den Schreibtisch herüber. Er zog die Handschuhe aus, angelte mit dem Fuß seinen kleinen Rollhocker heran und setzte sich neben seinen Freund.
Tariq nickte langsam.
"Hat er sich nicht gewundert, was du dort zu suchen hast?"
"Nein." Der Chef der Guardians knetete unschlüssig seine schlanken Finger. "Er verhielt sich eher, als ob er … irgendwie damit gerechnet hätte."
Issam kniff besorgt die Augen zusammen. Er verstand, was sein Freund meinte. "Was passierte dann?", fragte er, während er sich mit beiden Händen durch das an den Schläfen bereits ergrauende Haar fuhr und danach erneut die Röntgenaufnahme betrachtete.
Tariq runzelte einen Augenblick konzentriert die Stirn, dann setzte er seinen Bericht fort.
Mato Rayan ...
Ihm blieb keine Zeit, sich von der Überraschung zu erholen. In der Handfläche des Mannes auf der Galerie erschien ein knisterndes, schwarz schillerndes Licht. Wenn er sich bis dahin nicht sicher gewesen war - jetzt musste er es sein. Die Farbe von Rayans Energie war schwarz, so düster wie das Wesen ihres Wandlers.
Gleich würde das Geschoss auf ihn zu rasen. Blitzschnell erschuf er einen großen, silbern schimmernden Energieschild an seinem linken Arm. Ein eigenes Energiegeschoss zu bilden, das knisternd in seiner Handfläche wuchs, geschah automatisch.
Keine Sekunde zu früh, denn in dem Augenblick griff der Mann auf der Galerie an. Zischend raste das Energiegeschoss auf ihn zu und er zog den Kopf ein. Der Einschlag an der Wand über seinem Kopf ließ Putz und Steinstückchen auf ihn herabprasseln, gleich nachdem er ein eigenes als Antwort losgeschickt hatte. Im selben Augenblick hörte er links von sich das Klirren von Metall und gleich darauf das Kreischen von aneinander entlang schrammenden Klingen. Auch Ahmad und sein Gegner hatten also einen Zweikampf begonnen.
Ein neues schwarzes Geschoss zwang ihn den Blick von den beiden Kontrahenten abzuwenden und wieder in Deckung zu gehen. Diesmal hatte Rayan besser gezielt. Die schwarze Lichtkugel pfiff so nahe an ihm vorbei, dass sich sein Haar elektrisiert aufrichtete. Trotzdem antwortete er auf die gleiche Art wie vorhin. Doch ob er getroffen hatte, konnte er nicht sehen. Das dritte gegnerische Geschoss traf krachend auf seinen Schild und der Einschlag ließ Schmerz von den Fingerspitzen bis zur Schulter schießen. Aber das silbern schimmernde Gebilde hielt stand, obwohl die Wucht Tariq einen Schritt zurücktaumeln ließ. Auch einen zweiten Treffer steckte der Schild weg. Kein Zweifel, der Mann wollte ihn töten! All die Jahre hatte er es nicht gewagt, aber hier würde ihm niemand dazwischenfunken, denn hier war sein Terrain! Der Tag war also endlich gekommen ...
"Neiiin!!"
Yonas!
Unverkennbar, das war seine Stimme gewesen. War er etwa getroffen worden?
Vorsichtig schob Tariq den Kopf aus der Deckung und spähte zu dem Jungen hinüber, der noch immer auf der linken Seite des Saales nahe der Wand stand.
Jetzt erst bemerkte er das Flimmern um ihn herum. Was war das? Das Bild erschien merkwürdig verzerrt, wie bei einem ... Kraftfeld? War der Junge etwa darin eingesperrt?
"Nein! Hört auf!", schrie dieser nun erneut und ballte die Fäuste, "Hört auf damit! Alle!"
Ein sanftes gelbes Licht begann um ihn aufzuglimmen. Es schien aus dem Teenager selbst heraus zu drängen und hüllte ihn ein wie ein Kokon. Dann wurde es kräftiger und begann zu rotieren, erst träge, doch es drehte immer schneller. Dazu erklang ein Summen, das sich mehr und mehr verstärkte. Es wurde zu einem Brausen und schließlich zu einem ohrenbetäubenden Tosen, als der Wirbel sich zu einem Sturm entwickelte, der wie ein Tornado um Yonas kreiste. Der Junge befand sich genau im Zentrum und über seinem Kopf entluden sich zuckende Blitze. Seine blonden Haare hatten sich elektrisiert aufgerichtet, während sich das gelbe Licht langsam im Raum auszubreiten begann. Verwundert bemerkte Tariq, dass das Flimmern um Yonas verschwunden war.
"Raus hier!", brüllte in dem Moment Mato Rayan von der Galerie herab. "Verschwinde!"
Der Kopf von Ahmads Gegner fuhr herum und jetzt sah Tariq den Unterschied. Das schwarze Haar des anderen war länger als das von Ahmad. Einen winzigen Augenblick schien er zu überlegen, dann stürzte er in den Korridor hinein, aus dem Tariq gekommen war. Am anderen Ende angelangt schrie er dieselben Worte zu den Gegnern der Guardians hinab ins Foyer. Dann kam er zurück in den Saal. Sein Blick streifte Tariq flüchtig, während er quer durch den Raum zu der Treppe rannte, an deren oberen Ende sein Boss schon ungeduldig auf ihn wartete. Sekunden später waren beide verschwunden.
Noch immer tobte der Energiewirbel um Yonas und das Tosen dröhnte in den Ohren.
"Hör auf!", brüllte Tariq gegen den Lärm an, "Yonas, beruhige dich!" Er wollte hingehen zu dem Jungen, der wie erstarrt dastand und nichts um sich herum wahrzunehmen schien, doch in dem Moment fasste ihn eine Hand am Arm.
"Nicht!" Ahmad war neben ihn getreten. Er blutete am Kopf. Noch immer schwer atmend schob er sich vor Tariq und hielt diesen mit der Hand zurück. "Ich mach das."
Er ging langsam auf Yonas zu, der in dem Augenblick zusammenzuckte und aus seiner merkwürdigen Starre zu erwachen schien. Sein Blick irrte kurz umher, dann richtete er sich flackernd auf Ahmad, der näherkam. Entsetzt riss der blonde Junge die Augen auf und streckte ihm abwehrend die Hände entgegen. "Bleib stehen!", keuchte er. "Komm nicht näher! Ich weiß nicht, was das ist und ich kann es nicht kontrollieren." Inzwischen war fast der ganze Saal von dem strahlend gelben Licht erfüllt und Tariq, der sich sicherheitshalber ein paar Schritte zurückzog, sah, wie Yonas jetzt auf die Knie fiel und sich mit den Händen abstützte.
Ahmad ignorierte die warnenden Worte. Als er direkt vor dem brüllenden Wirbel stand, atmete er einmal tief durch und trat dann hinein. Sofort riss die Gewalt des Luftwirbels an ihm und ließ seine Haare und den schwarzen Mantel wild flattern. Mit Mühe schaffte er es, auf den Beinen zu bleiben und den geringen Abstand zu dem Jungen zu überwinden. Als er ihn erreicht hatte, kniete er sich neben ihn und legte ihm die Hand auf die Schulter.
Atemlos merkte Tariq, dass das Tosen nach und nach leiser wurde und der Sturm abflaute. Die Blitze hörten auf und das gelbe Leuchten wurde schwächer, bis es schließlich ganz verschwand. Es kroch förmlich wieder in Yonas hinein, so, wie es aus ihm herausgekommen war.
Ahmad wartete noch ein paar Sekunden. Dann kam er auf die Füße. Ein kurzes Nicken zu Tariq signalisierte, dass alles wieder in Ordnung war.
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