Und Gundel Schreyer wusste davon …
»Mein Gott, Klara, was hast du getan?«, flüsterte Christine. Verstört legte sie das Schriftstück beiseite und trat ans Fenster, das die Obermagd vorsorglich mit einem pergamentbespannten Rahmen hatte schließen lassen. Gegen die milchige Fläche, durch die diffuses Tageslicht drang, trommelte dumpf der Regen, während vom Hof her gedämpfter Lärm heraufdrang.
»Nein, ich glaub es nicht. Ich kann es einfach nicht glauben«, murmelte Christine störrisch und schüttelte entschieden den Kopf. Ihre einst beste Freundin – eine Ehebrecherin? Ihr integeres Verhalten, ihre Loyalität Wernher gegenüber – alles nur gespielt?
Ja doch, nimm es endlich zur Kenntnis!, rief die harte Stimme des Verstandes Christine zu.
Langsam ging sie zur Bettstatt zurück und warf sich aufs Lager. Die Hände hinter dem Kopf verschränkt, starrte sie zur Decke empor. Was die Ermittlungen anging, war sie ungewöhnlich erfolgreich gewesen. Nicht nur, dass es ihr gelungen war, überraschend schnell in das geheimnisvolle Labyrinth seltsamer Beziehungen vorzustoßen, das Klara unterhalten hatte; unter Umständen hatte sie sogar ihren Mörder ausfindig gemacht. Und selbst wenn Gundel Schreyer für die Tat nicht verantwortlich war: Das enthüllende Papier mit dem daran befindlichen Stückchen Stoff, das sich in seinem Besitz befand, dokumentierte zumindest, dass er Dreck am Stecken hatte.
Was Wernher wohl sagen wird, wenn er von all dem erfährt? Und Sofia?
Christine fuhr hoch.
Sofia! – Hatte sie um das Geheimnis ihrer Mutter gewusst?
Erklärte sich daraus ihr seltsames Verhalten?
Christine seufzte. Zwar hatte sich der Nebel, der auf dem Verbrechen lag, ein klein wenig zu lichten begonnen. Doch gleichzeitig beschwor das, was er freigab, weitere Fragen herauf.
Was hatte Gundel Schreyer, so er überhaupt der Mörder war, bewogen, Klara zu töten?
Wie war das intime, an Lamprecht Bürgel gerichtete Schreiben in seinen Besitz gelangt?
Und was war der Grund, der Klara veranlasst hatte, Trost in den Armen eines anderen Mannes zu suchen?
Zeit, dass Falk zurückkehrte und sich des Zeitlers annahm. Dass dieser entscheidende Antworten würde geben können, lag auf der Hand. Vielleicht gelangte die Wahrheit nun doch schneller als gedacht ans Licht und sie würden Steyr bald wieder verlassen und nach Salerno zurückkehren können.
Ein sehnsuchtsvoller Seufzer entrang sich Christines Brust, als sie daran dachte.
Nacht. Stille. Funkelnde Lichter vor samtener Bläue: Sterne – ungezählt und unerreichbar in den Höhen ewiger Ferne. Das erzene Leuchten des Mondes lässt den Horizont schmelzen; wie flüssiges Silber ergießt sich sein Licht in die glatte, ruhige See. Laue Luft. Der Geruch des Meeres. Ein Strand mit weißem feinem Sand, gesäumt von einer Gruppe Pinien …
»Christine!«
Erschreckt und überrascht zugleich, öffnete sie die Augen. Noch zögerte sie, die Grenze zwischen Traum und Wachsein zu überschreiten. Dann aber, noch bevor sie auf das Flüstern ihres Namens reagieren konnte, verschlossen die Lippen ihres Mannes ihren Mund, und umschlungen von seinen starken Armen spürte sie, wie er an ihre Seite glitt, fühlte, wie ihre Körper miteinander verschmolzen, um sich gleich darauf dem leidenschaftlichen Rhythmus von Hingabe und Verlangen, Lust und Ekstase zu überlassen, ganz im Takt des sich kräuselnden Wellenschlags am nächtlichen Strand von Salerno …
»Du kannst dir nicht vorstellen, wie sehr ich dich vermisst habe«, murmelte Falk.
Die Hände im Nacken, lag er auf dem Bett, das Haupt Christines auf seiner Brust.
Sie bog den Kopf zurück und sah ihn schelmisch an. »Wolltest du nicht den Prior von Melk Bodo von Schachnitz treffen und erst morgen zurückkehren?«
»Schon, aber sie haben mich nicht zu ihm vorgelassen mit der Begründung, er könne mich unmöglich empfangen, da er zurzeit wieder eine Schwächephase habe und an starken Schmerzen leide. Wie lang dieser Zustand anhalte, wisse man nicht. Also hab ich mich entschlossen, wieder zurückzureiten, und von Schachnitz ausrichten lassen, dass ich es irgendwann später noch einmal versuchen werde«, begründete Falk seine vorzeitige Rückkehr. »So bot sich mir die Gelegenheit, dich zu überraschen«, fügte er lächelnd hinzu und griff spielerisch in die blonde Pracht, die über seinen Oberkörper gebreitet lag.
»Das ist dir gelungen – Schurke«, lachte Christine.
»Schurke?«, grinste Falk.
»Aber ja doch. Oder wie würdest du jemanden nennen, der schlafende Frauen verführt? Noch dazu, wenn er sie mitten aus ihren schönsten Träumen reißt«, witzelte Christine und hob scherzhaft den Finger.
»So, aus welchem Traum habe ich dich denn gerissen?«, entgegnete er mit noch breiterem Grinsen.
Christine maß ihn mit einem langen, versunkenen Blick.
»Ich habe von unserem Strand geträumt. Und von Salerno. Ich sehne mich so sehr danach zurückzukehren, Liebster«, sagte sie schließlich leise.
»Ich auch, Liebes, glaube mir«, versicherte er murmelnd und wickelte zärtlich eine Strähne ihres Haares um seinen Finger. »Wir bleiben nicht länger als unbedingt nötig. Sobald unsere Mission hier zu Ende ist, reisen wir zurück, das schwöre ich. Bleibt nur zu hoffen, dass wir bald irgendetwas Greifbares in die Hände bekommen, das uns weiterbringt.«
Er wollte gerade sein Gesicht erneut über ihr Haupt beugen, um sie zu küssen, als sie sich plötzlich seinen Armen entwand und auf die Bettkante setzte.
»Ich muss dir etwas sagen, Falk. Ich glaube, ich habe etwas Greifbares.« Ihre Stimmung schien mit einem Mal wie umgeschlagen. Das Zärtliche in ihrem Ton war kühler Sachlichkeit gewichen.
Befremdet richtete er sich auf.
»Ach, tatsächlich, was denn?«
Statt einer Antwort sprang Christine mit einer federnden Bewegung vom Lager, ging zum Tisch und zündete ein Öllicht an. Flackernd rötlicher Schein erhellte die Kammer.
Erstaunt beobachtete Falk, wie sie eine auf dem Tisch befindliche Rolle in die Hand nahm.
»Nun komm schon, sieh es dir an«, drängte sie ihn ungeduldig, eine Aufforderung, der er umso verwunderter folgte, als ihn die plötzliche Verwandlung, die mit ihr vorgegangen war, irritierte.
»Hier, lies dieses Schriftstück. Aber pass auf, es ist klebrig«, sagte Christine, als sie ihm die Rolle reichte.
Noch während er sie entgegennahm, registrierte er den Stofffetzen mit dem daran befindlichen Knopf.
»Was ist … Das darf nicht wahr sein«, murmelte er entsetzt und starrte Christine verständnislos an. »Woher …«
»Ich erklär’s dir gleich. Lies den Brief doch erst einmal«, drang sie in ihn.
Falk entrollte das Blatt und überflog die wenigen Zeilen. Als er aufsah, wirkte seine Miene wie versteinert. Doch noch bevor er dazu kam, auch nur eine einzige Frage zu stellen, begann Christine, ihm präzise zu berichten.
In dieser Nacht fanden sie so gut wie keinen Schlaf. Lange noch besprachen sie sich, erörterten dieses und jenes und stellten auch die eine oder andere Hypothese auf. Über einen Punkt allerdings waren sie sich schnell einig geworden: Stadtrichter und Burggraf mussten darüber in Kenntnis gesetzt werden, dass gegen Gundel Schreyer dringender Tatverdacht bestand. Der Fund, den Christine gemacht hatte, rechtfertigte es, den Mann unverzüglich in Gewahrsam zu nehmen und zu verhören. Doch wie würde der Ternberger reagieren, wenn er erfuhr, dass der Inhalt des kompromittierenden Schreibens anderen zur Kenntnis gelangt war?
»Ob er wohl darauf bestehen wird, die Ermittlungen weiterzuführen, wenn er vom Doppelleben seiner Frau erfährt?«, fragte Christine.
Falk zuckte die Schultern. »Wenn wir das wüssten, wäre die Entscheidung einfacher.«
»Du meinst, es würde dir leichter fallen, Stadtrichter und Burggraf den Brief zu präsentieren?«
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