»Warum bist du eigentlich so gestresst? Ist der andere Ober vielleicht krank?«, erkundigte Sabine sich neugierig.
»Der ist pumperlg’sund«, unterbrach Frau Heller das traute Gespräch zwischen Vater und Tochter. »Aber mein Herr Oberkellner fühlt sich bemüßigt, wieder einmal auf Verbrecherjagd zu gehen. Und damit es so richtig anstrengend wird, arbeitet er dafür in zwei Kaffeehäusern gleichzeitig.«
»Mit polizeilicher Genehmigung und Unterstützung«, betonte Leopold. Dann weihte er Sabine in den aktuellen Fall und seinen Deal mit Oberinspektor Juricek ein.
»Toll, Papa! Darf ich da auch mitmachen?«, war sie sofort Feuer und Flamme.
»Ausgeschlossen! Das ist diesmal viel zu kompliziert. Außerdem brauchst du jetzt deine Zeit fürs Studium«, wehrte Leopold ab.
»Am Anfang muss ich noch nicht so viel lernen«, widersprach sie ihm.
Leopold schaute auf Sabine, dann auf Frau Heller und überlegte kurz. »Töchterl, du kannst mir doch helfen«, stellte er fest. »Du könntest nämlich – das Einverständnis von Frau Sidonie vorausgesetzt – einen Teil meines Dienstes hier im Heller übernehmen. Damit entlastest du mich so weit, dass ich mich meinen kriminalistischen Nachforschungen zur Genüge widmen kann und meine Erika auch noch was von mir hat.«
Mit diesem Überfall auf ihre Zeitreserven hatte Sabine Patzak nicht gerechnet. So weit wollte sie sich ihrem Vater auch wieder nicht verpflichten. Es war ein Unterschied, ob man, wie Sabine es bei ihrem ersten Wienbesuch aus Spaß gemacht hatte, einmal ein paar Stunden im Kaffeehaus mitarbeitete, oder ob man für eine gewisse Dauer ständig zur Verfügung stehen musste. Sie wollte sich als Studentin fühlen, frei und ungebunden. Außerdem gab es noch Thomas Korber. »Ich weiß nicht«, äußerte sie deshalb vorsichtig.
»Also, ich halte das für eine ausgezeichnete Idee«, zeigte sich Frau Heller hingegen sofort begeistert. »Sie sind ja so geschickt, Sabine. Und eine Frohnatur! Die Herzen der Gäste werden Ihnen zufliegen.«
»Komm, gib dir einen Stoß! Ich mische mich dafür diesmal überhaupt nicht in dein Privatleben ein«, bat Leopold.
»Na schön! Darf ich dir bei der Verbrechensaufklärung auch wieder helfen?«, legte Sabine noch ein Schäuferl nach.
»Wenn’s unbedingt sein muss«, seufzte Leopold.
Damit war der Handel abgeschlossen. Frau Heller lächelte nur im Hintergrund und bemerkte schelmisch: »Die Tochter können Sie wirklich nicht ableugnen, Leopold. Sie ist ganz nach Ihnen geraten.«
Mittwoch, 17. Oktober, Mittag
Als Leopold nach Beendigung seines Dienstes im Heller noch einen Sprung im Kommissariat vorbeimachte, ehe er ins Schopenhauer weiterfuhr, wurde er bereits von Oberinspektor Juricek erwartet. »Wir haben David Panozzo noch einmal verhört«, ließ er ihn wissen. »Er wird jetzt dem Haftrichter vorgeführt. Wenn du möchtest, darfst du vorher ein paar Worte mit ihm wechseln.«
Leopold nahm das Angebot dankend an. David staunte nicht schlecht, als er ihn sah. »Was machst du denn hier?«, fragte er.
Leopold erklärte ihm die Lage. »Du hast diese Frau doch nicht wirklich umgebracht?«, wollte er dann wissen.
»Aber nein! Es ist nur alles irrsinnig blöd gelaufen«, versicherte David.
»Versuche, dich an deinen letzten unglücklichen Besuch bei ihr zu erinnern. Ist dir etwas aufgefallen, was anders war als sonst?«, fragte Leopold weiter.
»Die Rotweinflasche und das Glas sind nicht auf dem Wohnzimmertisch gestanden. Frau Winkler hat für gewöhnlich daraus getrunken, wenn ich zu ihr gekommen bin. Aber ich habe dem keine Bedeutung zugemessen, da sie am Telefon ja gesagt hatte, sie sei krank.«
»Hast du irgendwo einen Aschenbecher bemerkt?«
David schüttelte den Kopf. »Nein, das wäre mir aufgefallen.«
»Auch nicht neben der Leiche?«
David verneinte nochmals. Das kam Leopold bereits komisch vor. Wo war der Aschenbecher hergekommen? Er stellte nun Fragen zur Person der Toten: »Was war diese Katja Winkler für eine Frau? Wie hat sie sich im Schopenhauer verhalten?«
»Sie war seltsam«, gab David sofort an. »Das ist nicht nur meine Meinung, das habe ich auch von meinen Kolleginnen und Kollegen im Schopenhauer gehört. Manchmal blieb sie länger da, manchmal nur kurze Zeit. Dabei ist sie allein gesessen und hat Rotwein getrunken. Sie hat immer einen unruhigen und nervösen Eindruck gemacht, so als ob sie auf jemanden gewartet hat, der dann doch nicht gekommen ist.«
»Kein geselliger Typ also«, konstatierte Leopold. Er wusste, dass Schauspieler in ihrem Privatleben gern zurückgezogen agierten, auch wenn sie auf der Bühne einen ganz anderen Eindruck vermittelten.
»Ich weiß nicht, ob ich mich täusche, aber auf mich hat es den Eindruck gemacht, als ob das mit ihrer Verletzung und dem damit verbundenen Ende ihrer Karriere zusammenhing«, erzählte David weiter. »Sie wirkte so überhaupt nicht fröhlich, verbittert eher. Ein paar ältere Männer haben sie zeitweise angegafft, da hat man richtig gesehen, dass ihr das wehgetan hat. Manchmal hat sie ein krampfhaftes Lächeln aufgezogen. Aber in ihrem Inneren hat es anders ausgesehen, das hat man gemerkt.«
»Hast du dich gut mit ihr verstanden?«
David Panozzo zuckte mit den Achseln. »Notgedrungen«, gab er zu. »Ich war immer nett und freundlich zu ihr, wie das bei uns im Schopenhauer so Sitte ist. Wenn sie es wollte, habe ich ihre Einkäufe in die Wohnung gebracht.«
Dank der ganzen Freundlichkeit hat er sich nur einen Mordverdacht eingehandelt, dachte Leopold bei sich. Im Stillen war er froh, dass er sich mit seiner strengeren Art solche Unannehmlichkeiten ersparte. »Du warst ihr sympathisch, denke ich«, stellte er fest.
»Sie war immer noch eine sehr eitle Frau«, mutmaßte David. »Sie hat ihre Wirkung auf junge Männer getestet, und wenn sie etwas getrunken hat, ist sie anlassig geworden. Ich habe mich bei ihr jedoch auf nichts eingelassen. Sie hat mir den ganzen Schmuck in ihrem Safe gezeigt und wollte mir etwas davon schenken, ich habe aber abgelehnt. Dass sie mir dann doch eine Kette zugesteckt hat, habe ich nicht bemerkt.«
»Wir werden den Herrn Oberinspektor schon noch von deiner Unschuld überzeugen«, versicherte Leopold ihm mit einem Seitenblick auf Juricek. »Hilfreich wäre es, wenn du Gäste im Schopenhauer wüsstest, die du direkt mit Katja Winkler in Verbindung bringen kannst. Auf wen soll ich mich konzentrieren? Hast du einen Anhaltspunkt?«
David musste nachdenken. »Es gab ein Telefongespräch, das ich vor ein paar Tagen belauscht habe«, erinnerte er sich. »Da war von einer Katja die Rede, die den Anrufer angeblich so geärgert hat, dass er ihr, wie er sagte, ein für alle Mal das Maul stopfen wollte. Es soll mit einer ›Grillparzer-Geschichte‹ zu tun haben. Ich hatte noch vor, sie zu warnen, aber sie war bereits tot, als ich sie wiedergesehen habe. Leider kann ich den Mann nur sehr ungenau beschreiben.« Er unterrichtete Leopold über die wenigen Anhaltspunkte, die ihm im Gedächtnis geblieben waren.
»Nicht viel, aber immerhin etwas«, räumte der ein.
»Noch etwas: Herr Burckhardt, den du ja kennengelernt hast, hat einmal erfolglos versucht, sich ihr zu nähern. Seither habe ich die beiden nie mehr gleichzeitig im Schopenhauer gesehen«, erwähnte David.
»Interessant«, attestierte Leopold. »Der feine Herr ist unlängst auch im Heller aufgetaucht, mit einer jungen, feschen Begleitung, die man ihm gar nicht zutraut. Sehr verdächtig! Dem werde ich auf den Zahn fühlen, sobald sich die Gelegenheit dazu ergibt. Damit habe ich für den Anfang ein paar Dinge, die ich nachverfolgen kann. Du wirst sehen, deine Lage erscheint bald in einem anderen Licht.«
»Hoffentlich«, redete David auf ihn ein. »Ich habe nämlich das Gefühl, dass ich ganz schön in der Tinte sitze.«
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