Hermann Bauer - Fernwehträume
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Hermann Bauer
Fernwehträume
Kriminalroman
Zum Buch
Ausgeträumt Ruhig liegt das Kaffeehaus »Heller« im nebligen Wien nördlich der Donau. Dies ändert sich schlagartig, als ein Stammgast, die pensionierte Susanne Niedermayer, erschlagen aufgefunden wird. Die Polizei vermutet einen Betrunkenen als Täter, doch Chefober Leopold mag nicht an diese Version glauben. Auf eigene Faust stellt er Nachforschungen an. Eine heiße Spur führt ihn in den Klub »Fernweh«. Bei Filmvorführungen und Diavorträgen floh die alte Dame hier regelmäßig aus der Enge ihrer Heimat in die große weite Welt.
Hermann Bauer wurde 1954 in Wien geboren. Dreißig wichtige Jahre seines Lebens verbrachte er im Bezirk Floridsdorf. Bereits während seiner Schulzeit begann er, sich für Billard, Tarock und das nahe gelegene Kaffeehaus, das Café Fichtl zu interessieren, dessen Stammgast Bauer lange blieb. Von 1983 bis Anfang 2019 unterrichtete er Deutsch und Englisch an der BHAK Wien 10. Als Herman Bauer 1993 seine Frau Andrea heiratete, verließ er ihr zuliebe seinen Heimatbezirk. Im Jahr 2008 erschien sein erster Kriminalroman »Fernwehträume«, dem zwölf weitere Krimis um das fiktive Floridsdorfer Café Heller und seinen Oberkellner Leopold folgten.
Impressum
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Ähnlichkeiten mit lebenden oder toten Personen
sind rein zufällig und nicht beabsichtigt.
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Alle Rechte vorbehalten
7. Auflage 2020
Lektorat: Claudia Senghaas, Kirchardt
Herstellung/E-Book: Mirjam Hecht
Umschlaggestaltung: U.O.R.G. Lutz Eberle, Stuttgart
unter Verwendung eines Fotos von photocase.de
ISBN 978-3-8392-3078-7
Widmung
Für Elisabeth, die an dieses Buch geglaubt hat.
1
Wir dürfen Floridsdorf nicht mit London vergleichen – schon gar nicht das Uhrwerk der Kirche am Pius-Parsch-Platz mit dem Big Ben. Dennoch kroch am Abend des 6. November ein Nebel an den Häusern hoch, der wie in einem Edgar-Wallace-Film den gesamten Stadtteil nördlich der Donau umhüllte und nur mehr das Zifferblatt besagter Kirche über die dicke Suppe, die Floridsdorf bedeckte, schauen ließ.
Lockt so ein Nebel die Menschen eher ins oder aus dem Kaffeehaus? Das lässt sich schwer beurteilen. Fest steht nur, dass sich die Gäste, die schon drinnen sitzen, vorerst einmal durch nichts von der warmen, gepolsterten Sitzbank wegbewegen lassen.
So war es auch im Café Heller, nicht weit entfernt vom Pius-Parsch-Platz und damit dem sogenannten Zentrum Floridsdorfs gelegen, das wohl vor allem deshalb diese Bezeichnung für sich in Anspruch nahm, weil hier alle möglichen öffentlichen Verkehrsmittel aus den verschiedensten Richtungen wie durch ein Wunder zusammentrafen. Leopold, der Ober, der schon irgendwie zum Inventar gehörte, betrachtete die Szene gelassen, aber missmutig. Dass die Leute sitzen blieben, ohne etwas in entsprechender Quantität zu konsumieren, nur, weil es draußen unwirtlich war, passte ihm gar nicht.
Die heutige Besetzung des Café Heller ließ für den Rest des Abends tatsächlich das Schlimmste befürchten. Im hinteren Teil des u-förmig gebauten Lokals saß nur eine Kartenpartie – der Herr Kammersänger (ein verkrachter ehemaliger Heurigensänger mit Gesangsausbildung) spielte Tarock mit dem pensionierten Herrn Kanzleirat, dem Herrn Adi und dem Herrn Hofbauer. Als unverwüstlicher Kiebitz (Zuschauer beim Kartenspiel) saß noch der Herr Ferstl, eine Kaffeehauslegende unbestimmten, aber sehr hohen Alters, dabei, ein Gast, bei dem man immer Acht geben musste, dass er nicht unversehens einschlief, was oft ein sehr strapaziöses Aufweckritual zur Sperrstunde zur Folge hatte.
Keine sehr ergiebige Runde. Vielleicht würde jeder noch ein Achtel trinken, das war aber auch schon das höchste der Gefühle.
Am zweiten der drei Billardbretter im Mittelteil versuchten sich drei junge Burschen an einer Partie Karambole. Sie hatten sich erst unlängst Leopolds Unwillen zugezogen, da sie immer wieder, trotz seiner Ermahnungen, auch die rote Kugel als Spielball verwendeten. Das war nach Leopolds Wissensstand auf allen Billardbrettern der Welt untersagt. »Wir können aber trotzdem so spielen, wie wir wollen!«, hatte sich im Laufe des Disputs einer von ihnen erfrecht, ausgerechnet der Kleinste, der den Queue noch immer so hielt, als ob er damit ein lästiges Insekt an der Wand zerdrücken wollte. »Nicht da bei uns im Kaffeehaus. Da herrscht eine Ordnung!«, hatte Leopold mit gespielter Strenge erwidert. Denn streng musste man sein, um auch die jüngeren Gäste, zum Großteil Schüler des angrenzenden Gymnasiums, an die herrschenden Sitten und Gebräuche zu gewöhnen.
Nun schienen sich die Burschen absichtlich bei der Getränkekonsumation zurückzuhalten und schlürften nur langsam an ihren Cola- und Biergläsern.
Im vorderen Teil des Kaffeehauses, rechts vom Eingang, herrschte eine beinahe heilige Ruhe. Löffel rührten in Kaffeetassen, Zeitungen raschelten, zeitweise vernahm man aus einer Ecke ein schwaches Hüsteln. Die meisten hier saßen schon stundenlang da und hielten sich an die goldene Regel, dass man mit einer Schale Kaffee und dem dazu gereichten und vom Ober in regelmäßigen Abständen bereitwillig nachgefüllten Glas Wasser einen ganzen Nachmittag oder Abend sein Auskommen haben konnte.
Hier auf weitere Bestellungen zu hoffen, erforderte eine gehörige Portion Optimismus.
Leopold warf einen Blick in die Runde. Viele saßen alleine da, lesend, schweigend. Nur aus der Ecke, wo die Bauer-Geli – Schulabgängerin und treuer Stammgast – mit zwei Freundinnen tratschte, kam manchmal ein fröhliches Lachen, das hier beinahe störte.
›Die leben noch‹, dachte Leopold, aber bei den anderen war er sich da nicht so sicher. Sie kamen zwar jeden Tag zur Türe herein und gingen nach einiger Zeit auch wieder durch dieselbe hinaus, aber wenn sie so in sich erstarrt ihren Platz ausfüllten wie Marmorbilder, sahen sie aus wie gut konservierte Leichen.
Leopold antwortete auf die Frage nach seinem Beruf gerne mit ›Leichenbeschauer‹.
Die meisten von ihnen kamen dennoch immer wieder, tagtäglich, bis sie eines Tages nicht mehr kamen. Zunächst schien Leopold das gar nicht zu registrieren. Er verdrängte es. Wenn die Chefin fragte:
»Warum bleibt denn der Herr Amtsrat so lange aus? Drei Tag hab ich ihn jetzt schon nicht gesehen!«, antwortete er:
»Wird schon wieder kommen. Ist ja kalt jetzt. Und vorige Woche hab ich ihn ein paar Mal husten gehört.«
Niemand merkte, dass er sich Sorgen machte.
Eines Tages stand dann eine Dame in Schwarz vor der kleinen, halbkreisförmigen Theke und überreichte ohne viele Worte (»Hat ja er schon kaum was geredet!«, meinte Leopold) der Chefin einen schwarz umrandeten Partezettel 1 1 In Österreich sehr gebräuchliches Wort für eine Todesnachricht; zu französisch ›donner (oder faire) part‹, ›Nachricht geben‹.
. Lungenentzündung, hörte Leopold, hohes Fieber, Gehirnschlag. Es war schnell gegangen, ja, ja. Aber alle Ärzte hatten der Witwe versichert, er habe kaum etwas gespürt.
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