1 ...6 7 8 10 11 12 ...34 Vorsichtig nahm Hannah Hralfors Hand zwischen ihre beiden Hände und seufzte wohlig auf. »Das bedeutet, dass deine Berührung für uns Menschen ausgesprochen warm und angenehm ist.«
Hralfors Augen strahlten erfreut auf. Er legte nun auch seine andere Hand fest auf ihre miteinander verschlungenen Hände. »Das freut mich. Aber du solltest jetzt wirklich ins Bett gehen, sonst schläfst du noch im Sitzen ein.«
3
Die Sonne schien bereits hell in ihr Zimmer, als Hannah endlich erwachte. Genüsslich räkelte und streckte sie sich. Sie hatte tief und fest geschlafen, auch wenn sie irgendwann im Verlauf der Nacht diesen abscheulichen Albtraum gehabt hatte. Angewidert verzog Hannah das Gesicht.
Komisch, ich habe in der letzten Zeit doch weder einen Horrorfilm noch einen Science-Fiction angeschaut. Schon seltsam, was einem das Unterbewusstsein manchmal für Streiche spielt. Dabei hat sich der Schmerz im Arm richtig echt angefühlt.
Unwillkürlich fasste sie sich an den linken Arm und erstarrte.
Mist! Fassungslos betrachtete Hannah den seltsamen Verband, der ihren Unterarm bedeckte. Ihre Augen wanderten in hilflosem Entsetzen zu ihrer Zimmertür. Wenn der Verband echt ist, war der Rest auch kein Traum. Das bedeutet, im Nebenzimmer ist Hralfor!
Ihr Herz machte einen kleinen, erschrockenen Satz. Dann erinnerte sie sich an ihre gemeinsame, nächtliche Mahlzeit und Hannah sprang aufgeregt aus dem Bett. Ein Blick zur Uhr ließ sie erstarren. Es war schon nach zehn. Sie hatte über sechs Stunden geschlafen wie eine Tote.
Verdammt, ich hab ihm doch ein irisches Frühstück versprochen! Und Kilroy wird auch ganz schön sauer sein, dass ich ihn noch nicht hereingelassen habe.
Eilig lief sie zur Tür, holte noch einmal tief Luft und öffnete sie vorsichtig.
Er war noch da und stand wieder an seinem Lieblingsplatz am Fenster. Erleichtert atmete Hannah auf. Es waren also doch keine Hirngespinste gewesen, in ihrer Wohnung befand sich tatsächlich jemand aus einer fremden Welt.
Langsam drehte Hralfor sich zu Hannah um und konnte sich ein leises Grinsen nicht verkneifen. Sie wirkte so rührend verwirrt, wie sie dastand mit ihrem zerknitterten, bunten Hemd und dem völlig zerzausten Haar. Den strengen Zopf vom Vorabend konnte man nur noch erahnen und mehr als eine Haarsträhne kräuselte sich nun um ihr Gesicht. Doch die Schatten unter ihren Augen waren verschwunden, wie er befriedigt bemerkte.
Er selbst hatte auf dem provisorischen Lager, das Hannah ihm so fürsorglich aufgeschlagen hatte, ebenfalls einige Stunden gut geruht.
Er deutete nach draußen. »Irgendein Tier streicht seit einiger Zeit um dieses Haus und möchte offensichtlich hereingelassen werden.«
Hannah stöhnte auf. »Kilroy! Der wird eine Stinklaune haben. Es ist zwei Stunden über seiner üblichen Frühstückszeit.«
Schnell rannte sie aus der Wohnung und riss die Eingangstür auf. Mit einem wütenden Grummeln schoss ein gewaltiger, orange-weißer Blitz ins Haus in Richtung Hannahs Wohnungstür und blieb dann wie erstarrt und mit gesträubtem Fell im Flur stehen. Hralfor war Hannah langsam gefolgt, um die Ursache ihrer Aufregung zu sehen und betrachtete völlig fasziniert das wütende Geschöpf, das fauchend vor ihm stand. Ganz langsam ging er in die Knie und gab dabei ein sanftes Knurren von sich.
Fassungslos beobachtete Hannah, wie Kilroys Fell sich lang-sam wieder glättete, während er vorsichtig auf den Fremden zuging. Als der Kater, der fremde Menschen normalerweise zutiefst verabscheute, auch noch zu schnurren begann und seinen Kopf an Hralfors Hand rieb, schüttelte sie ungläubig den Kopf. »Das gibt’s doch gar nicht. Das macht er sonst nie. Was hast du mit ihm angestellt? Zuerst dachte ich, er geht gleich auf dich los.«
Hralfor blickte zu ihr auf. »Mein Geruch hat ihn geängstigt. Ich habe ihm klargemacht, dass ich ihm nichts tun werde.«
»Aha.« Misstrauisch sah Hannah ihn an. »Du willst damit doch nicht etwa sagen, dass du mit Katzen sprechen kannst?«
Interessiert betrachtete Hralfor den Kater. Er schien nicht zu bemerken, wie seine Äußerung auf Hannah gewirkt hatte. »Also ist er tatsächlich eine Katze? Das ist seltsam. Die einzige Katze, die ich kenne, ist grau und viel kleiner. Allerdings hat sie einen ähnlichen Geruch wie dieser hier.«
Hannah seufzte auf, weil Hralfor ihre Frage nicht beantwortet hatte. »Kilroy ist tatsächlich eine männliche Katze, obwohl ich das manchmal wirklich bezweifle. Er ist einfach viel zu fett. Aber du hast mir noch nicht geantwortet. Kannst du mit Tieren sprechen?«
Erstaunt sah er zu ihr hoch, während Kilroy sich euphorisch schnurrend von ihm den Kopf kraulen ließ. »Ich kann nicht richtig mit ihnen sprechen, sondern mich in Gedanken ein wenig mit ihnen verständigen. Aber das tust du doch auch.«
»Nein, wie kommst du denn darauf?« Hannah schüttelte den Kopf. »Ich kann vielleicht durch meine Beobachtungen manchmal erraten, was ein Tier will, aber das würde ich nicht als richtige Verständigung ansehen.«
Nachdenklich stand Hralfor auf, was von Kilroy mit einem unwilligen Maunzen quittiert wurde. »Nun, es ist zumindest eine Art der Verständigung. Ich bin vielleicht etwas geschulter darin als du, da ein guter Freund von mir mich ein wenig darin unterwiesen hat. Er hat tatsächlich die Fähigkeit, mit Tieren zu sprechen. Das ist in meiner Heimatwelt ein häufig auftretendes Talent.«
Hannah sah Hralfor grübelnd an. »Ich habe dir heute Nacht fast meine ganze Lebensgeschichte erzählt. Ich finde, jetzt bist du dran, mir etwas über dich und deine Welt zu verraten, meinst du nicht auch?«
Ein vorsichtiges Lächeln erschien in den schmalen Augen. »Ich werde versuchen, dir deine Fragen so gut wie möglich zu beantworten, solange niemandem daraus ein Schaden entsteht.«
Hannah nickte zustimmend. Fürs Erste würde sie sich damit zufriedengeben, auch wenn er offensichtlich irgendeinen geheimnisvollen Aspekt seines Lebens für sich behalten wollte. Vielleicht würde er ihr irgendwann einmal so vertrauen, dass er ganz offen zu ihr war.
»Also gut. Aber zuerst bekommst du das versprochene Frühstück, und Kilroy auch, sonst lässt er dich gar nicht mehr in Ruhe.« Hannah zögerte kurz, dann sah sie Hralfor neugierig an. »Was hast du vorhin damit gemeint, dass ihn dein Geruch geängstigt hat?«
»Es ist ein ähnlicher Geruch, wie er seinen natürlichen Feinden anhaftet«, erklärte Hralfor.
»Ich verstehe.« Nachdenklich schaute sie zu Boden. Dann richtete sie sich auf und blickte ihm geradewegs in die Augen. »Heute Nacht habe ich diesen Geruch an den drei Fremden auch wahrgenommen, aber bei dir ist es völlig anders. Woran liegt das?«
»Dafür gibt es verschiedene Gründe. Einer davon ist die Art der Ernährung.« Er blickte sie besorgt an. Wie würde sie seine weitere Erläuterung aufnehmen? Würde sie auch ihn danach nur noch mit Abscheu betrachten können? »Diese Vargéris waren Verbannte und ernährten sich ausschließlich von dem rohen Fleisch ihrer frisch gerissenen Beute …«
Hannah wurde bei seinen Worten kreidebleich. »War es das, was sie mit mir vorhatten?«
Unsicher fuhr Hralfor sich mit beiden Händen durch seine schwarze Haarmähne. »Nein, ich fürchte, dir hat ein schlimmeres Schicksal geblüht. Sie hätten dich in ihre Welt entführt und missbraucht, bevor sie dich schließlich irgendwann … getötet hätten.«
Hannah schloss entsetzt die Augen. Ihr war speiübel. Hralfor beobachtete besorgt, wie sie ins Schwanken geriet, doch nach diesen Eröffnungen wagte er zunächst nicht, sie zu be-rühren. Als er jedoch befürchten musste, dass sie bewusstlos wurde, fasste er sie vorsichtig an den Schultern.
Dankbar lehnte Hannah sich gegen seine Brust und spürte erleichtert, wie das Schwindelgefühl langsam abebbte, während seine Wärme sie umfing und das entsetzliche Kältegefühl beseitigte, das sie bei seinen Worten befallen hatte.
Читать дальше