Kahlschlagswirtschaft: die härteste Form der Waldbewirtschaftung
Haben Sie schon mal einen Wald von oben gesehen? Auf Luftbildkarten im Internet sieht er oft wie ein Flickenteppich aus. Und auch vom Waldweg aus scheinen die Grenzen zwischen den verschiedenen Parzellen häufig wie mit dem Lineal gezogen zu sein. Fein abgegrenzt wachsen hier die Baumarten, oft je Teilstück nur eine einzige in einheitlichem Baumalter. Solche Wälder stammen aus den Zeiten der Kahlschlagswirtschaft, die gerade leider wieder auflebt. Sie ist die Methode der Wahl für Kontrollfanatiker und stammt aus Zeiten, in denen der Wald völlig ausgeplündert war und wieder aufgebaut werden sollte (siehe Foto auf Seite 15).
Kahlschläge, um die Wälder vor Ausplünderung zu bewahren? Was schizophren klingt, war damals übliche Praxis. Ein Beispiel: Ein Forstbetrieb wirtschaftet mit Fichten. Seine Fläche beträgt 100 Hektar (= ein Quadratkilometer), die Bäume erntet er nach 100 Jahren Wachstum. Im Idealfall entspricht jeder einzelne Hektar einem Jahrgang. Wenn er nun jedes Jahr den ältesten Hektar Fichten kahl schlägt und diese Fläche wieder aufforstet, dann ist dies in Bezug nur auf die Holzmenge exakt nachhaltig. Die übrigen 99 Hektar wachsen weiter vor sich hin, im kommenden Jahr ist das nächste Feld dran. So eine Wirtschaftsweise lässt sich einfach kontrollieren, und der Fachbegriff dafür lautet »Altersklassenwald«, weil jeder Jahrgang an Bäumen fein säuberlich getrennt von den anderen aufwächst.
Hier trennt eine schmale Fichtenparzelle zwei Kahlschläge. Die Bäume sind alle gleich alt.
Abgesehen von der Kontrolle hat das Modell aber nur Nachteile. Mit einem funktionierenden Waldökosystem hat so eine Plantage nichts mehr zu tun, eher schon mit einem überdimensionalen Maisfeld. Ein bis drei Baumarten, alle gleich dick (oder besser dünn), gleich hoch, gleich jung – da gibt es für die meisten heimischen Tierarten, die auf alte Bäume und viel Totholz angewiesen sind, wenig zu holen. Dazu passt die industrielle Ernte der Stämme mit Großmaschinen, und auch in Bezug auf Spritzmittel trifft der Vergleich mit der Landwirtschaft zu. Die riesigen Monokulturen sind anfällig gegen Fraß der Raupen einiger weniger Schmetterlingsarten, weshalb in jedem Sommer Hunderte von Quadratkilometern mit Insektiziden besprüht werden – Tendenz steigend.

Im Laufe der Zeit hat sich zwar die optimale Quadratform verändert, aber noch immer ist der Wald in sichtbare Altersklassen aufgeteilt.
Nach einem Kahlschlag liegt der Waldboden in der prallen Sonne und erwärmt sich stark. Dadurch werden Pilze und Bakterien besonders aktiv und bauen innerhalb weniger Jahre den größten Teil des Humus ab. Wie ein Strohfeuer verpuffen die Nährstoffe, die kurzfristig zu einem starken Wachstum von Stickstoffzeigern wie Brombeeren oder Brennnesseln führen. Das führt zu einem geringeren Holzzuwachs des künftigen Walds, der zudem noch unter Wassermangel leiden wird: Humus ist ein enorm wichtiger Speicher für Feuchtigkeit. Selbst wenn die Fläche eines Tages wieder von Bäumen bedeckt ist, dauert es bis zu 500 Jahre, bis der Humusvorrat wieder annähernd aufgefüllt ist. Doch bis dahin wurde die Fläche ja fünfmal kahl geschlagen …
Nach dem Kahlschlag begünstigt das Strohfeuer der Nährstoffe das Wachstum der Brombeeren.
Leider wird diese Praxis bis heute ausgeübt. Zwar ist die Kahlschlagsgröße in vielen Bundesländern beschränkt, doch statt diese harten Eingriffe ganz zu verbieten, setzt man auf die Einsichtsfähigkeit der Besitzer. Und selbst wenn diese rücksichtsvoll sind, holen die Sünden der Vergangenheit sie oft ein. Gerade Nadelholzplantagen sind extrem anfällig für Stürme, sodass rund 50 Prozent dieser Hölzer durch »Naturkatastrophen« anfallen. Und ob ein Sturm oder der Besitzer eine Kahlfläche verursacht, ist in den Auswirkungen für die Natur völlig egal. Helfen würde eine Rückkehr zu heimischen Waldgesellschaften, die überwiegend aus stabilen Laubbäumen wie Buche oder Eiche bestehen. Das Ganze dann als Plenterwald bewirtschaftet, wo urwaldähnlich alle Altersgruppen an Bäumen innig gemischt und kahlschlagsfrei wachsen, und Mensch und Natur könnten wirklich zufrieden sein.
Dauerwald: urwaldfern, aber kahlschlagsfrei
Neulich habe ich in einem Naturschutzgebiet am Oberlauf der Ahr etwas beobachtet, was es überall im deutschsprachigen Raum zu sehen gibt. Dort wurde zunächst der alte Buchenwald stark aufgelichtet. So etwas nennt man Schirmhieb, weil zwar rund die Hälfte aller Stämme gefällt wird, die andere Hälfte aber noch einige Jahre als Schattenspender stehen bleibt. Unter den großen Buchen kommen Sämlinge auf, die durch den starken Lichteinfall rasch emporwachsen. Sind sie deutlich über kniehoch, dann ist die letzte Stunde der Altbäume gekommen. Sie werden in ein bis zwei Durchgängen fast völlig entfernt. Als winziges Zugeständnis an den Naturschutz bleiben ein paar »Ewigkeitsbäume« stehen, die sich allerdings wegen des rapide ändernden Kleinklimas innerhalb weniger Jahrzehnte verabschieden. Ökologisch unterscheidet sich solch ein Kahlschlag von der ersten beschrieben Variante durch nichts. Alle Tierarten, die auf alte Bäume angewiesen sind, verschwinden. Das Kleinklima ändert sich, der Humus wird abgebaut, die Langzeitfolgen sind dramatisch. Und doch gibt es einen entscheidenden Unterschied: Die kniehohen Buchensämlinge gelten als Wald im Sinne des Gesetzes. Förster und Waldbesitzer, die so arbeiten, dürfen also ohne rot zu werden behaupten, sie arbeiteten kahlschlagsfrei.
Der Schirmhieb ist ein Kahlschlag auf Raten.
In der prallen Sonne sterben die letzten Altbuchen langsam, aber sicher ab.
Das Wort »Kahlschlag« mag heute kaum noch jemand in den Mund nehmen. Zu viele Menschen sind gut informiert und wissen, dass so etwas nicht ökologisch ist. Und da manch ein Forstbetrieb trotz starker Holznutzungen weiterhin als Vorreiter in Sachen Naturschutz gelten will, wurde ein wenig Wortkosmetik betrieben. »Dauerwald« nennt sich die Wirtschaftsform, die ganz ohne Kahlschläge auskommen möchte. In den Anfängen zu Beginn des letzten Jahrhunderts war das durchaus ehrlich gemeint. Die Vorreiter der ökologischen Waldwirtschaft, später zur »Arbeitsgemeinschaft naturgemäße Waldwirtschaft« zusammengeschlossen, meinten damit einen Wald, in dem schonend immer nur einzelne Stämme geerntet werden durften. Der Boden sollte gesunden, das artenreiche Tierleben zu seiner Entfaltung gelangen.
Doch heute wird der Begriff zunehmend für verdeckte Kahlschläge missbraucht. Und diese funktionieren über »Z-Bäume« (Zukunfts-Bäume). Das sind besonders gerade Exemplare mit makellosen Stämmen, die von den Förstern dauerhaft mit Farbe markiert werden (siehe Foto auf Seite 21). Diese Elite wird von nun an bei jeder Durchforstung kräftig gefördert, indem jeweils ein bis zwei Nachbarn entfernt werden. So können die Z-Bäume eine große Krone ausbilden und besonders viel Holz bilden. Bei 50 bis 100 Stück pro Hektar, die so gefördert werden, kommt irgendwann der Tag X: Dann sind alle Nachbarn gefällt, und die Auserwählten sind unter sich. Alle etwa gleich dick, gleich schön, gleich alt und gleich groß – das ist ein uniformer Wald, der sich gut zu Geld machen lässt. Und weil alle Bäume gleichzeitig ihr optimales Erntealter erreichen, werden innerhalb weniger Jahre auch alle gefällt. Hat sich durch die permanente Auflichtung schon ein wenig Nachwuchs angesiedelt, dann zählt dies wie zuvor beschrieben als Schirmhieb und damit offiziell als ökologisch nachhaltig. Wehe jedoch, Stürme oder Borkenkäfer vergreifen sich an den Auslesebäumen und bringen ihnen den Tod! Da die weniger attraktiven Stämme meist schon entfernt wurden, kann nun nicht auf Ersatzkandidaten umgesattelt werden, wodurch lokal kleine Löcher im Wald entstehen, die sich so schnell nicht wieder schließen.
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