Ein anerkennender Pfiff einer vorbeilaufenden Jungsgruppe ließ Paisley voll aufblühen. Gekonnt stellte sie sich in Covermodelpose und zwinkerte den Jungs zu. Ich hingegen konnte nicht verhindern, dass ich ein bisschen rot wurde.
Kaum hatte ich den Schutz des Wagens verlassen, riss der eisige Wind an meiner Frisur und wehte mir ein ganzes Büschel meines roten Haarschopfs ins Gesicht. Na, wenn das nicht attraktiv aussah … Ich fuhr mir durch die jetzt völlig verstrubbelten Haare und griff nach Paisleys Hand. Eilig zog ich sie mit mir ins Einkaufszentrum. Hoffentlich war wenigstens drinnen noch nicht so viel los. Es fehlte noch, dass Hunderte von Menschen mich so sahen und glaubten, ein Schottisches Hochlandrind oder noch besser ein Yeti aus den Bergen betrat das Einkaufszentrum. Und das auch noch in diesem KLEID! Doch ich hatte Glück. Da das Einkaufszentrum eben erst geöffnet hatte, schlenderte nur eine Handvoll Kunden durch die Einkaufspassagen.
»Wir haben jetzt kurz nach halb neun. Das heißt, es sind noch 6 Stunden Zeit bis zu unserem Auftritt mit Santa«, verkündete Paisley nach einem Blick auf ihr Handy. Unterdessen versuchte ich meine Frisur wieder zu einem einfachen Zopf zusammenzubinden. »Ich muss noch ein Geschenk für Mum, meinen kleinen Bruder Todd und für dich besorgen.« Sie schaute auf den bunten Lageplan des Einkaufszentrums, der neben dem Eingang angebracht war. Darauf erkannte man das große Gebäude, das von der Form her einem leicht eckigen Donut ähnelte. Auf vier Etagen verteilt lagen Boutiquen, kleine Läden, Designer-Outlets und Lebensmittelgeschäfte, während sich in der Mitte ein großes, mit Glas überdachtes Atrium befand, in dem lange Rolltreppen von Etage zu Etage angebracht waren. Einen besonderen Blickfang bildete die alljährlich aufgestellte, große Tanne, die zu Weihnachten festlich geschmückt wurde. Doch eine der beliebtesten Attraktionen war ganz klar die kleine Indoor-Achterbahn, die sich in der Mitte des Einkaufszentrums befand und laut Eigentümer das Flair eines Jahrmarkts verströmen sollte. Das war einzigartig in der gesamten Umgebung und diente in meinen Augen vor allem als Werbemagnet, um noch mehr Besucher hierherzulocken. Dennoch musste ich zugeben, dass die Stimmung im Einkaufszentrum tatsächlich jedes Mal nach Abenteuer und Spaß schrie anstatt nur nach normalem Shopping. Ein Grund, warum ich gerne hier einkaufte.
Trotz der Größe des Einkaufszentrums würden sich die Geschäfte an einem Tag wie heute rasant füllen.
Eigentlich gehörte ich zu den Menschen, die schlau genug waren, bereits etliche Wochen vor dem 24. Dezember alle Geschenke einzukaufen. Aber die zahlreichen Klausuren in der Schule hatten mir dieses Jahr einen Strich durch die Rechnung gemacht und meinen Zeitplan gehörig auf den Kopf gestellt. Somit hatte auch ich noch nicht alle Geschenke beisammen. Deshalb hatten Paisley und ich uns zum gemeinsamen Shoppen verabredet, bevor wir unseren Dienst bei Santa antreten mussten. Dank Paisleys Mutter hatte ich sogar bei den O’Briens übernachten dürfen. Obwohl meine Eltern zuerst nicht begeistert über die Einladung gewesen waren, hatten sie dann doch schnell zugestimmt. Wahrscheinlich waren sie mehr als froh, mich heute Morgen nicht noch ins Einkaufszentrum fahren zu müssen. Zu Hause herrschte vermutlich wie jedes Jahr das reinste Chaos. Mein Vater war hochmotiviert, den Weihnachtsbaum aufzustellen, verzweifelte aber innerhalb kürzester Zeit bei der Suche nach dem Ständer und den Christbaumkugeln. Diese bewahrte er nämlich schlauerweise jedes Jahr woanders auf. Meine Mutter würde bereits jetzt mit den Vorbereitungen für das große Familienfestessen beginnen und stimmungsmäßig einem Vulkan kurz vor der Eruption gleichen, während Oma und Opa im Laufe des Tages am Flughafen eintrafen und hofften, von Dad nicht wie letztes Jahr dort vergessen zu werden. Und dann war da noch Jonah, mein großer Bruder. Er war dieses Jahr achtzehn geworden und aus meiner Sicht trotz Volljährigkeit kein bisschen erwachsener. Was genau er gerade anstellte, wollte ich mir lieber nicht ausmalen. Ja, es reichte, wenn ich erst am späten Nachmittag, nach meinem Weihnachtselfen-Job, zu meiner Familie stoßen würde. Da genoss ich nur allzu gern ein paar feierliche Stunden mit meiner besten Freundin. Wenn auch im Minikleid und im schnell überfüllten Einkaufszentrum.
»Ich brauche noch ein Geschenk für Mum und Dad.«
»Was schenkst du denn Jonah dieses Jahr? Wieder Socken?«
Ich grinste. Letztes Jahr kurz vor Weihnachten hatte Jonah es sich nicht nehmen lassen, mich gehörig reinzulegen und halbnackt im tiefsten Winter aus unserem Haus auszusperren. Na gut, irgendwie war ich zum Teil auch selbst daran schuld gewesen, weil meine Leichtgläubigkeit damals die Oberhand ergriffen hatte. Unter einem angeblich extrem wichtigen Vorwand hatte er mich nach draußen in unseren Garten gelockt - und das im Pyjama. Die Folge: Ich musste eine Woche lang, direkt vor Heilig Abend, mit Fieber und einer fetten Erkältung im Bett verbringen und wurde zu DEM Gesprächsstoff in der Schule. Denn selbstverständlich hatte Jonah, zur Freude aller, ein paar Fotos davon geknipst, wie ich kläglich versuchte den Balkon zu erklimmen, um dort durch meine sperrangelweit offen stehende Schiebetür zurück ins Haus zu gelangen. Da konnte ich nicht anders, als mich zu rächen. Also hatte Jonah letztes Jahr zu Weihnachten nur einen großen Vorteilspack quietschbunter Socken unter dem Weihnachtsbaum vorgefunden. Schön, ich gebe zu, nicht sehr kreativ. Aber wie gesagt, ich lag bis Heilig Abend krank im Bett und hatte nicht die Zeit, den nächstbesten »Finden Sie ein hässliches Geschenk für ihren Bruder«-Laden aufzusuchen. Leider waren die Socken auch noch super weich und warm, sodass Jonah sie so cool fand, dass er wochenlang keine anderen mehr tragen wollte. Aber der böse Gedanke zählte …
»Nein. Ausnahmsweise hat er sich dieses Jahr mir gegenüber vorbildlich verhalten. Was mich ziemlich stutzig macht. Deshalb rechne ich jeden Moment mit einer verrückten Aktion seinerseits. Dennoch bekommt er dieses Jahr etwas wirklich Tolles: ein Platten-Regal in Form einer Gitarre.«
»Mann, das hättest du mir früher sagen sollen. Ich will auch so etwas Cooles zu Weihnachten.« Paisley zog einen traurigen Schmollmund. Lediglich ihre Augen verrieten, dass sie nur Spaß machte. Kopfschüttelnd, aber mit einem breiten Schmunzeln auf den Lippen, boxte ich sie freundschaftlich in die Seite. »Also. Wollen wir zuerst etwas für unsere Mütter besorgen?«
»Klingt gut.« So hatte ich endlich eine Beschäftigung, um mich von dem Minikleid abzulenken.
»Und ich weiß auch schon, wo wir hingehen können. In die neue Damenboutique im ersten Stock. Dort soll es für jede Altersgruppe, sogar für Babys und Seniorinnen, Klamotten geben.«
»Wirklich?«
Kapitel 2
Kurze Zeit später durchstöberten wir bereits unzählige Regale und durchforsteten eine Stange voll behangen mit T-Shirts, Blusen und Hosen nach der nächsten.
»Ich habe absolut keinen Schimmer, was sich meine Mum wünscht.« Paisleys Stimme drang dumpf hinter einem Ständer voller Hüte hervor.
»Na, eine neue Kopfbedeckung denke ich nicht.«
»Autsch, so böse.« Sie grinste frech.
»Was ist mit einem Schal? Ich glaube, so etwas würde auch meiner Mutter gefallen.«
»Gute Idee … Mensch, schau dir doch mal dieses süße Top an.« Paisley griff nach einem Bügel mit einem Top, dessen Print Cinderella samt Glasschuh zeigte. Es war wirklich hübsch und erinnerte mich an meinen Besuch in Disneyland vor einem Jahr.
»Das sieht echt schön aus. Aber sind das nicht nur Kindergrößen?«
Читать дальше