«Nationalsozialist noch immer?» Klimt schien nicht sonderlich beeindruckt, aber seine Augen verengten sich hoch konzentriert. «Schlimmer. Ein Nationalsozialist der Zukunft. Was ihn treibt? Schwer zu sagen! Ich fürchte, es ist ein sehr antiquiertes Gefühl von Stolz. Er hasst die Gegenwart, die Moderne schlechthin. Er verachtet die Generation seines Großvaters, weil sie Deutschland in den Abgrund führte. Er nimmt es Hitler persönlich übel, dass Berlin bombardiert wurde. Er möchte nur eins, Rache dafür nehmen, dass ihm persönlich in dieser Zeit nicht die große Bühne bereitet wurde. Ein Achill ohne die trojanische Bühne und ohne Homer!»
«Dieses Gefühl werden die wenigsten nachvollziehen können!»
«Das macht ihn so unberechenbar. Jeder vermutet etwas anderes hinter seinem Tun. Geldgier, Geltungssucht, Fanatismus, nichts von alldem. Er unterstützt die Bewegung nur aus einem Grund: Vernichtungswille. Zwei Kinder, eine Frau, die keinen Hehl daraus macht, dass sie ihn gern und häufig betrügt, was wiederum ihm völlig gleichgültig ist. Dieser Mann ist faktisch unangreifbar … Ihm ist nichts lieb und teuer, sein Ego ausgenommen.»
«Was plant er?»
«Nun ja, Ihre Auslöschung, das versteht sich. Sie sind ihm schon rein körperlich zutiefst zuwider. Die Frage ist nur, wie er es bewerkstelligen will. Ich fürchte, sein Talent zur Grausamkeit steht seiner Fantasie, was den Tathergang betreffen wird, in nichts nach.»
«Wollen Sie mir Angst machen?!»
«Aber sicher! Das lässt Sie hoffentlich ein wenig vorsichtiger agieren! Allzu einfach wollen wir es den anderen ja auch nicht machen!»
«Was tun?»
«Nun, wir haben noch etwas Zeit. Er wird sich mit uns, mit Ihnen treffen wollen. Er wird zu erfahren suchen, was genau Sie alles wissen. Er wird Ihnen drohen, sie zu bestechen versuchen, kurzum ein wenig Katz und Maus mit ihnen spielen, und dann wird er sie töten. Eigenhändig, könnte ich mir vorstellen.»
«Und wir? Was können wir gegen ihn tun?» Klimt wurde ungeduldig, was Wilson noch bedächtiger sprechen ließ.
«Wir können dafür sorgen, dass die Allianz seiner Opfer tätig wird. Die Frage ist nur, ob uns das rechtzeitig gelingt.»
«Die Allianz seiner Opfer?! Geht es ein wenig konkreter?!»
«Nun ja, kein Bürgermeister wird sich gern nachsagen lassen, dass sein liebster Zeitvertreib Nutten und Koks sind, in wechselnder Reihenfolge, kein Gewerkschaftler gibt gern Schwarzgeldkonten zu, kein Vorsitzender der deutschen Industriellenvereinigung will seine Nacktbilder aus den Knabenpuffs in Phuket im Internet veröffentlicht sehen. Von Hausen hat sehr eifrig recherchiert. Das kommt uns zugute. Wir werden uns im präventiven Ermahnen üben.»
«Wie oft hab ich Ihnen schon gesagt, dass mir Ihre affektierte Ausdrucksweise grässlich auf die Nerven geht?!»
«Häufig, sehr häufig. Es ist mir geradezu ein Ansporn! Aber auch wenn Ihnen die Formulierung ‹präventives Ermahnen › nicht zusagt, so sind Sie doch mit dem Vorgehen an sich einverstanden, hoffe ich?»
«Wer soll als Erster auffliegen?»
«Aus politischem Kalkül wie aus persönlichem Empfinden heraus würde ich vorschlagen, dass wir zuallererst das Dossier über den Bürgermeister in Auszügen der Presse zuspielen. Mit einem sorgfältig kaschierten Adressvermerk sozusagen, der die Meute direkt auf die Spur von Hausens bringt. Das wird ihn nicht unschädlich machen, aber doch beschäftigen!»
«Gut, einverstanden.»
«Und nun, zuguterletzt …»
«Mein Liebling, wo ist sie? Ah ja, was für ein entzückendes Audrey-Hepburn-Hütchen! Die Lady hat einfach Geschmack!»
Er zoomte ihr Gesicht heran.
«Ayn, mein Schatz! Très chic wie immer, eine aparte Person. Schade, dass uns das Schicksal zu so unerbittlichen Feinden erklärt hat. Schade, schade!»
Klimt kicherte in sich hinein, was Wilson etwas unruhig auf seinem Sitz hin und her rutschen ließ. Er durchblickte die Beziehung zwischen Ayn Goldhouse und Klimt einfach nicht. Ein Außenstehender hätte denken können, sie wären vor langer Zeit tatsächlich einmal ein Paar gewesen, aber Ayn war gerade einmal Anfang fünfzig, während Klimt seinen siebzigsten Geburtstag nicht mehr erleben würde. Nicht zuletzt, weil Ayn Goldhouse es ihm nicht gönnte. Wilson erschrak ein wenig über die harmlose Formulierung. «Nicht gönnte» war eine lächerliche Verharmlosung. Diese Frau hasste Klimt mit einer Unbedingtheit, mit einer Tiefe des Gefühls, die unweigerlich an das Gegenteil denken ließ. Es war Liebe, nur auf teuflische Art.
Wilson erinnerte sich Wort für Wort an Klimts Erzählung über die erste gemeinsame Begegnung auf einem Charity-Dinner in Boston. Klimt stand in einer Traube aufmerksam lauschender Professoren und monologisierte wie immer über Gottes Tod und das nahende Ende der Welt, da erschien – kurz bevor zu Tisch gebeten wurde – eine Frau in Begleitung zweier mächtiger Leibwächter, die wie fallsüchtige Erzengel hinter ihr dreinstolperten, denn sie eilte mit kleinen festen Schrittchen direkt auf Klimt zu, blieb empört vor ihm stehen, ballte die Fäuste in ihre Hüften und zischte ihn an: «Feigling!»
Klimt blinzelte verwirrt. Er war Beleidigungen gewohnt, aber die waren meist von handfester Art, vor allem hatten sie meist einen guten Grund, aber als Feigling war er sich noch nie vorgekommen und anderen wohl auch nicht.
Die kleine schlanke Frau in dem dunkelroten Designerkostüm lächelte maliziös angesichts seiner Verwirrtheit, genoss sie einen ausgiebigen Augenblick lang, warf einen abschätzigen, aber keineswegs ungnädigen Blick auf Klimts jungen Sekretär und verschwand dann in der Obhut ihrer muskulösen Leibeigenen an den Tisch. Im Lauf des weiteren Abends würdigte sie Klimt keines weiteren Blicks mehr.
Der blieb, nachdem er so abgekanzelt worden war, einige Momente verwirrt stehen, dann fragte er bemüht ironisch: «Wer war das denn? Dschingis Khan in Frauenkleidern?»
«Keineswegs schlecht geraten!», applaudierte ein mageres Männchen mit schwerer Hornbrille, das sich als Soziologieprofessor zu erkennen gab. «Gestatten, mein Name ist Baumann, Norbert Baumann, und Schwerpunkt meines wissenschaftlichen Bemühens ist die neue Religiosität der verarmenden amerikanischen Mittelschicht.»
Klimts Blick gab ihm zu verstehen, dass er bitte schnell auf den Punkt kommen möge, weil er ihm sonst umstandslos den Rücken zudrehen würde. «Und Ayn Goldhouse ist ihr Prophet», setzte der aufgeschreckte kleine Professor eilends hinzu.
«Die Armee der Engel!» Klimts unfehlbares Gedächtnis lieferte ihm die passenden Stichworte, die er schnell zu einer ersten Personenbeschreibung zusammenfassen konnte. «Adoptivkind reicher Eltern, gab sich selbst ihren Vornamen in Bewunderung der Kapitalismuspriesterin Ayn Rand, schart seit Jahren eine Armee fanatisierter Feministinnen und Genderhysterikerinnen um sich, weil sie Gott für eine Frau und die Welt für ihren Fußabstreifer Richtung Himmelsthron hält …»
Klimt schnaufte, während Professor Baumann Hilfe suchend auf die anderen Anwesenden blickte, denn er hätte so gerne differenzierend eingegriffen, aber die warteten nur auf weitere polemische Kommentare – welche jedoch unterblieben.
Klimt schwieg, er schwieg für den Rest des Abends, dann, nach der Heimkehr in ihr gemeinsames Hotel, befahl er seinem damaligen Sekretär, alles, aber auch alles über diese Frau in Erfahrung zu bringen.
«Ich denke, dass ist der Beginn einer sehr intensiven … ja, warum nicht, nennen wir es Freundschaft!»
Wilson hatte den Report über sie sorgfältig studiert. Und er zermarterte sich seitdem das Hirn, was Ayn Goldhouse mit dem Vorwurf «Feigling» gemeint haben konnte. Aber es fiel ihm nichts ein, er konnte sich nicht einmal ruhig auf die Fragestellung konzentrieren, denn was ihn so fesselte, war das außergewöhnlich Anziehende ihrer Erscheinung. Ayn Goldhouse verzauberte ihr Gegenüber sofort, körperlich, weil sie einen mit einem so hellen durchdringenden Blick ansah, als könnte sie noch die dunkelsten Abgründe der Seele in einem neuen Licht erstrahlen lassen. Eine Menschenfängerin, das war sie!
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