«Diese Idioten kapieren nichts, die könnten ihre eigenen Eier gerührt auf dem Silbertablett serviert bekommen und würden auch noch Danke sagen!»
Was Wilson noch mehr abstieß als diese sinnlosen Pöbeleien, war der Applaus heischende Blick von Klimt. Der saß in seinem schmalen französischen Hotelsessel, die dicken Schenkel eng zusammengepresst, die Fäuste auf den Armlehnen geballt, und spuckte mit hochrotem Kopf Obszönität um Obszönität auf den Teppich. In Kriegszeiten wäre es vermutlich Kautabak gewesen oder Zigarrenreste. Ein wenig wirkte er wie Churchill, nur ohne Amt und Würden.
Sie hatten im Schnelldurchlauf die Videoaufzeichnung des Vortrags studiert. Nach kaum drei Minuten kam die Frage, die Wilson eigentlich gleich vorab erwartet hätte: «Wie fanden Sie mich?» Die Frage klang beiläufig, aber Robert Wilson arbeitete schon zu lange für seinen Chef, als dass er sich davon hätte täuschen lassen. «Sensationell! Wie immer. Wir haben mehr Presse als der König der Löwen Flöhe!»
«Die Scheißkerle von der Presse interessieren mich nicht! Die würden jedem für diese Story den Hintern wischen. Was sagt das Publikum? Der einfache Mann auf der Straße? Ist die Botschaft angekommen?»
«Die Lawine kommt langsam ins Rollen. Die wichtigsten Boulevardblätter widmen sich dem Thema, etwas zaghaft noch, zugegeben, aber das wird sich rasch ändern. Hier: ‹Hitlers Erben unter uns.› Nice try, oder? ‹Hitlers Testament und sein Vollstrecker!› Alles noch etwas ungelenk, die Deutschen können immer noch nicht so gut mit ihrer Geschichte. Aber der hier ist gut: ‹Mord auf Abruf!› Sie trauen der Sache alle noch nicht so recht. Dazu kommt ein durchaus vertretbares Misstrauen bei so sensationellen Enthüllungen wie der unseren. Hitlers Tagebücher wurden ja auch recht schnell wieder aus dem Regal genommen. Aber wenn Sie nach meiner ganz privaten Einschätzung fragen, insbesondere wie Ihre Person wahrgenommen wird? Ja, die Leute wollen Sie unbedingt sterben sehen! Das kann man ihnen nicht mal übel nehmen, oder? Die Ankündigung, auch wenn sie etwas vernehmlicher hätte sein können, kam gut an! Gerade bei den Zuhörern im Saal.»
Charles Klimt kannte Wilson viel zu gut, als dass er sich von seiner zynisch willfährigen Art hätte beeindrucken lassen. Dennoch machte er sich einen Spaß daraus, ihm immer wieder Komplimente abzunötigen.
«Na immerhin haben wir schon ganz schön Schlamm aufgewirbelt, oder? Aber gut, zurück zum illustren Kreis der möglichen Attentäter …»
«Sie waren alle da.» Wilson wies auf einen kleinen hageren Herrn mit seidenem Schal, der während des Vortrages hektisch Notizen machte und kaum den Kopf hob.
«Ihr Freund Richard junior, der offenbar nie genug von ihren Ausführungen bekommen kann!»
Klimt hüstelte belustigt. Richard junior verfolgte ihn schon seit langer Zeit mit Morddrohungen. Er sah sich als Werkzeug des wiedergeborenen Herrn und vermutete in Klimt den leibhaftigen Antichristen, womit er nicht alleine stand. Allerdings bereitete die Beharrlichkeit seines Hasses inzwischen selbst Klimt ein wenig Sorge.
«Ich will nicht, dass mein Plan durch die Panikattacke eines Wirrkopfes durchkreuzt wird! Verstehen wir uns da?! Von wessen Hand ich sterbe, entscheide immer noch ich! Lassen Sie ihn verprügeln. Vielleicht kommt er dann zur Besinnung!»
Wilson hatte über jeden gefährlich scheinenden Gegner ein Dossier angelegt. Bei Richard junior musste er allerdings noch nicht mal seinen Laptop aufklappen, um alle relevanten Daten abzurufen. Richard war ein Gegner der ersten Stunde. Ein kleiner, hagerer, ein wenig bucklig wirkender Mann, ein Eindruck, der aber nur daher rührte, dass der Hass auf Klimt ihn geradezu niederzudrücken schien. Umso wahrscheinlicher war es, dass er diese Last irgendwann abzuschütteln gedachte. Es schien, als gönnte er seinem Erzfeind nicht einen einzigen weiteren Tag auf diesem sündigen Planeten.
«Hier, wie immer am äußersten Rand, seinen langen Beinen zuliebe, Signore Othello. Und wie immer ganz in Schwarz gekleidet! Ein Held der unveräußerlichen Gewohnheiten!»
Klimt hüstelte, als hätte er sich an einer Fischgräte verschluckt.
«Wilson, Ihre Witze bringen mich noch mal ins Grab!»
«Ich fürchte, das steht nicht in der Macht meines Humors! Signore Othello bereitet im Übrigen die Publikation einer neuen Kampfschrift gegen Sie vor, Auszüge kursieren bereits im Internet, eine Lektüre erübrigt sich, er verharrt auf dem Niveau seiner untalentiertesten Studenten.»
Martin Moses war wegen wiederholter sexueller Belästigung von Studentinnen wie Studenten unehrenhaft entlassen worden, und zwar ausgerechnet in jenem Monat, als Klimt drei Gastvorträge in Berkeley hielt. Moses vermutete einen Zusammenhang, welcher genau, war ihm selbst unergründlich, und so bezichtigte er Klimt zunächst einmal des Ideenklaus. Eine absurde Unterstellung, die auch nie ernsthafte Diskussionen ausgelöst hatte. Was ihn, den universitären Stalker dennoch so gefährlich machte, war, dass er die Treibjagd der Presse gegen ihn seit geraumer Zeit schon in eine Hexenjagd gegen Klimt wenden wollte, indem er immer neue Enthüllungen über dessen Sexualgewohnheiten ins Netz stellte, gern auch mit gefälschtem Bildmaterial oder gekauften Zeugenaussagen, was zuweilen schon sehr ernsthafte Auseinandersetzungen mit den uneinsichtigen Ermittlungsbehörden diverser Gastländer ausgelöst hatte.
«Es ist kein Spaß, in jedem neuen Land mit einem anderen Sexualdelikt konfrontiert zu werden. Seine Fantasie scheint da keine Grenzen zu kennen. Nur weil er sich als Täter vergessen machen will … Was für ein Waschweib! Sorgen Sie für seine Ausweisung! Gerne auch mit pikantem Bildmaterial. Das wird doch hier in Berlin nicht so schwer sein!»
Klimt verzog angewidert den Mund. Er empfand es geradezu als persönliche Beleidigung, dass ihm Martin Moses noch immer eine sexuelle Regsamkeit zutraute.
«Wir sollten den deutschen Behörden zudem einen Tipp geben, was seinen Drogenkonsum anbelangt. Vielleicht beschleunigt das Othellos Heimreise!»
Wilson hatte es sich angewöhnt, den Intimfeinden seines Chefs Namen aus Shakespeares Dramen zu geben. Klimt fand das nicht sonderlich witzig, aber er musste zugeben, es nahm den Figuren ein wenig von ihrer Bedrohlichkeit. Mit einem abschätzigen Lächeln musterte er das Standbild. Verstreut im Zuhörerraum saß ein weiteres Dutzend «Gewohnheitsspinner», die ihn mit Hass-Mails rund um den Globus verfolgten.
«Fast schon ein Familientreffen. Kein neues Gesicht dabei, schade, aber das war ja auch nicht zu erwarten!»
«Unser eigentlicher Gegner», Wilson ignorierte Klimts kokettes Aufseufzen und zeigte auf einen leger am Rand sitzenden älteren Herrn mit Fliege, «hält sich wie immer diskret im Hintergrund. Shylock, alias Ludwig Müller von Hausen, Generalssekretär der ‹Humanistischen Liga›. Ich vermute, er wird in den nächsten Tagen an Sie herantreten und Sie sehr höflich bitten, auf den zweiten Teil des Vortrages zu verzichten.
«Was wissen wir über von Hausen exakt?»
Wilson klappte sein Notebook auf und tänzelte mit den Fingern über die Tastatur. Er bildete sich viel darauf ein, das nahezu geräuschlos tun zu können, was Klimt nur ein verächtliches Schnaufen abnötigte.
«Warum ist von Hausen gefährlich? Er hat über alle Mächtigen dieser Stadt ein Dossier angelegt. Politiker, Wirtschaftsbosse und Kriminelle. Wer in Berlin etwas zu sagen hat, ist in seiner Datenbank.»
«Wir auch? Haben wir auch Zugriff auf diese Datenbank?»
«Selbstredend!» Wilson hüstelte selbstzufrieden. «Aber das ist nebensächlich, insofern dieses provinzielle Surrounding hier in Berlin für uns nicht weiter von Interesse ist. Wichtiger, brisanter sind von Hausens internationale Kontakte. Er ist, dank der von ihm gegründeten D’Annunzio-Gesellschaft, bestens vernetzt mit der italienischen Mafia. Er unterhält rege Kontakte zu der White-Nation-Bewegung in den Staaten, und er kennt dank seiner juristischen Beratertätigkeit für die Stasi-Waffenverkäufer die einflussreichsten Politiker, soll heißen Kriminellen im Nahen Osten. Von Hause aus ist er ein Enkel des berüchtigten SS-Oberführers Hilmar von Hausen, der für seine eigenhändigen Erschießungen von Dutzenden Partisanen den Ehrennamen Bluthund von Batschka erhielt. Hilmar von Hausen gelang seinerzeit die Flucht auf der «Rattenlinie», soll heißen, dank der tätigen Mithilfe des Roten Kreuzes und des Vatikans konnte er nach Paraguay entkommen. Dort verlor sich seine Spur. Vermutlich kehrte er unter anderem Namen zu seiner Familie in die Bundesrepublik zurück. Auffällig ist jedenfalls, dass die keineswegs reichen von Hausens seit Beginn der Fünfzigerjahre einen Chauffeur beschäftigten, der Hilmar von Hausen auffällig ähnlich sah. Die Kriminalpolizei hier in Berlin ging entsprechenden Hinweisen allerdings nie nach. Es bestand kein Fahndungsbedarf.» Klimt schnaufte verächtlich, was Wilson nicht aus der Ruhe brachte. «Hilmars Sohn starb früh. Es hieß, er sei geistig umnachtet gewesen, was man von Ludwig Müller von Hausen nicht behaupten kann – er geriet ganz nach seinem Großvater. Eine eiskalte Intelligenz und ein unbezähmbarer Machtwille. Der Mann ist ein Gegner von Format.»
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