Magdalene ging nach unten und fand auch in der Küche alles wie gewohnt. Else stand am Herd und wärmte die Suppe auf, die jungen Mägde hielten den Mund und senkten die Köpfe, solange die Meisterin im Zimmer war. Magdalene trug Rosina auf, sich um den kleinen Hans zu kümmern, verzichtete auf die Morgensuppe und ging hinaus.
Sie brauchte frische Luft, um das Unwohlsein zu vertreiben. Auf dem Markt sollte eine Komödie gegeben werden, die Ankündigung hing seit Tagen aus. Eine Abwechslung war jetzt genau das Richtige, Magdalene würde die erste Vorstellung des Tages besuchen. Sie zog ihr leichtes Mantelet über, das Mäntelchen, das nur bis über die Schultern reichte, hängte den Korb an den Arm und verließ das Haus.
Es war Septembermarkt.
Jedes Jahr im September fand in Halle der größte Markt des Jahres statt. Alle Bewohner der Stadt kamen dorthin, die Bauern aus den Dörfern ringsum, die Leute von den Gütern und Domänen der Umgebung. Es war der Markt, der den Bauern ihr wichtigstes Einkommen verschaffte, der Markt, auf dem jeder die Vorräte für den langen Winter kaufte. Es war der Beweis von Gottes Gnade, das große Aufatmen, die Freude über Ernte und Gewinn nach der langen Mühsal des Frühjahrs und Sommers. Was bis jetzt nicht für die dürren Zeiten vorbereitet war, schuf man in diesem Jahr nicht mehr.
Ein Markttag liebt die Sonne. Die Früchte strahlen bunter, die Stoffe leuchten heller, die Käufer sind besserer Laune, wenn die Sonne scheint. An diesem Tag tauchte sie den Platz in ein goldgelbes Licht. Der Markplatz, zwischen dem Rathaus, dem roten Turm und der viertürmigen Marktkirche gelegen, war voller Männer, Frauen und Kinder, voller Körbe, Kiepen, Wagen, Buden und Stände. Zum Septembermarkt zogen die Verkäufer nicht nur in die hölzernen Buden rings um den Roten Turm und unter den Arkaden der Marktkirche, sondern sie standen über den ganzen Platz verteilt hinter Bündeln und Kisten.
Magdalene liebte den Septembermarkt, wo alles auf einem Fleck zusammenkam, was die Ackerkrume den Menschen nach diesem warmen Sommer schenkte. Den Korb am Arm, schlenderte sie über den Platz, auf dem sich die Ernten der umliegenden Gärten und Felder versammelt hatten. Da gab es Rettiche und Bohnen in großen Körben und feinen Mangold, solchen wie den, vor dem daheim Gertrud ein weiteres Mal saß. Auf dem Boden standen Säcke mit frischem Getreide, Weizen und Hafer, Gerste und Roggen, fertig gemahlenes weißes und braunes Mehl. Für das Kleinvieh der Stadt verkauften die Bauern Klee und Luzerne. Frisch gefangene Fische zappelten in den Auslagen, Karpfen und Zander, Hechte und Aale. Es gab Geflügel, das in Käfigen gackerte. Kohl war aufgetürmt, rote und weiße Bälle auf Haufen wie Kanonenkugeln. Proben von Linsen und Erbsen lagen in flachen Schalen, Rapünzchen und Pilze wurden feilgeboten. Es gab Honig und Milch, Käse und Butter, Rüben und Zwiebeln. Bäcker verkauften Brote und Weckmänner, süße Kringel und Salzgebäck. An der Nordostecke standen die Töpfer und Krämer, Scherenschleifer und Schuhmacher, und an der Westseite des Marktes gab es viele Sorten Obst.
Die ersten blauen Pflaumen waren im Angebot. Das Wasser lief Magdalene bei der Vorstellung von frischem Pflaumenmus im Mund zusammen. Sie ließ sich von einer drallen Bäuerin eine saftige Pflaume geben und kostete. Einen Augenblick lang überlegte sie, einen Korb voll mitzunehmen, aber das würde mindestens sechs Pfennige kosten. Das war zu teuer. Magdalene war in der Lage, mit ihrem Geld hauszuhalten. Noch während die Bäuerin einen neuen Preis nannte, wandte sich Magdalene ab. Ihre Aufmerksamkeit wurde von einer anderen Person angezogen.
Vor einem Korb mit Äpfeln stand eine zierliche Frau in einem abgetragenen blauseidenen Kleid, das an mehreren Stellen sorgsam geflickt war. Es war Isabeau Baret, ihre Freundin aus der französischen Kolonie. Die junge Frau hob den Kopf und erkannte Magdalene. Ihre dunklen Locken quollen unter der Haube hervor, die rabenschwarzen Augen lachten.
»Madeleine, comment ça va?« Sie winkte und zog Magdalene für einen Wangenkuss an sich.
»Was macht das Kleine?«, fragte Magdalene der Höflichkeit halber, obwohl sie sich diese Frage lieber verkniffen hätte. Es war Neid, gestand sie sich ein. Purer Neid beherrschte ihr klopfendes Herz. Isabeau konnte nichts dafür. Sie war gutherzig und leichtgläubig, und das war nichts, was Magdalene ihr vorwerfen durfte, ihre Schwangerschaft erst recht nicht.
In das Gesicht der Freundin zauberte diese Frage ein entzücktes Lächeln. Sie legte die Hand auf ihren vorgewölbten Bauch. »Es bewegt sich munter wie ein Fisch im Wasser, am meisten, wenn ich schlafen will.« Sie sah sich um und rief mahnend: »Marthe!« Die pausbäckige Marthe auf ihren kurzen Beinen sah zu ihrer Mutter auf.
»Und bei dir?«, fragte Isabeau. »Immer noch kein Geschwisterchen für Hans unterwegs?«
Das war die Frage, die Magdalene erwartet und befürchtet hatte. Obwohl Isabeau diese Frage jedes Mal stellte, wenn sie sich trafen, tat Magdalenes Herz einen schmerzenden Schlag. Isabeau meinte es nicht böse. Sie sprach aus, was alle Leute dachten. Georg Rehnikel hatte Magdalene Bertram vor drei Jahren geheiratet, und langsam wurde es Zeit für Nachwuchs. Die Leute in der Stadt glaubten, der kleine Hans wäre Georg Rehnikels Sohn, der erste der Geschwisterreihe, die folgen würde. Die einzigen Menschen, die wussten, dass nicht Georg ihn gezeugt hatte, waren Magdalene, ihr Onkel Conrad und Georg Rehnikel selbst. Ein weiteres Kind wäre der Beweis ihrer guten Ehe, nicht nur den anderen Leuten gegenüber. Sie war zwar zweimal schwanger gewesen, aber sie hatte beide Kinder verloren, einmal nach vier Monaten, das andere Mal kaum, dass sie die Schwangerschaft bemerkt hatte. Ihrer Freundin davon zu erzählen, schämte sie sich.
Magdalene schüttelte den Kopf.
»Nein, noch kein Geschwisterchen für Hans. Und dein Mann«, wechselte sie eilig das Thema, und es war gemein, dass sie jetzt den Kummer ihrer Freundin anschnitt, aber es war nur der gerechte Ausgleich, »hat Frédéric inzwischen Arbeit?«
Isabeau seufzte. »Die Walkmühle an der Saale wird einfach nicht fertig. Ich habe die Hoffnung aufgegeben, dass die Manufaktur auf die Beine kommt. Keiner will Tuch von uns Franzosen kaufen.«
Magdalene legte ihr die Hand auf den Arm. »Ihr werdet euch eines Tages hier wohlfühlen, das weiß ich.«
Isabeau senkte den Blick. »Es ist eine Stadt voller Lutheraner.« Sie verfiel in die französische Sprache, wenn ihr etwas naheging.
Wenn sie so traurig redete, antwortete Magdalene auf Französisch, um sie zu trösten. Magdalene sprach flüssig Französisch, und sie tat es gern. Die Dinge wurden dann klarer, vielleicht, weil sie, wenn sie nach dem richtigen Wort suchte, auf eine gründlichere Weise nachdenken musste. »Ich bin auch lutherisch. Es sind nicht alle feindlich gegen euch. Sieh mich an. Ich zähle mich zu den Pietisten, und die sind von allen Lutheranern die mit dem tiefsten Glauben.«
Isabeau zuckte die Schultern. »Wodurch sollten sie auserwählt sein, eure Pietisten?«
»Sie haben herausgefunden, dass man die Liebe Gottes weitertragen muss«, erklärte Magdalene nachsichtig. »Barmherzigkeit ist eine der Aufgaben, die mir mein Glauben stellt. Ich bringe denjenigen von euch Brot, die sich keins leisten können.«
Isabeau seufzte und die kleine Marthe an ihrem Rockzipfel fuchtelte unruhig mit der freien Hand. »Frédéric sagt, dass die Pietisterei schädlich ist. Sie legen die Bibel allein aus, ohne einen Priester.« Sie gab Marthe, die nach den Äpfeln in den Verkaufskörben grapschte, einen Klaps und hielt die Kleine an der Hand fest. Als sie wieder in Magdalenes Gesicht sah, war ihr Blick verdunkelt, hellte sich aber beim Anblick der Freundin auf. »Schlechte Menschen könnt ihr Pietisten aber nicht sein, wenn ihr uns Brot bringt.«
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