Du wirst sie nach der Rückkehr wieder aufnehmen und sie wird danach noch heller strahlen, wollte ich trösten, aber meine Worte versetzten ihn nur in Erbitterung.
So, meinst du? sagte er wild. Eine Dichtung ist wohl eine Handarbeit, die man nach Belieben weglegt und wieder vorholt. Ich sage dir, jedem Kunstwerk schlägt nur einmal die Stunde. Bin ich, wenn der Tag zu Ende ist, denn noch ganz derselbe, der ich am Morgen gewesen? Sind die Eingebungen von heute noch genau wie die gestrigen? O nein, es gibt nur eine Stunde für jegliches Tun, immer nur gerade die eine vorbestimmte. Ihr ahnt ja nicht, wie voll des herrlichsten Lebens meine Gestalten jetzt vor mir stehen. Wie der Held nach verlorener Schlacht über die Weser herüber zu seinem Bruder, dem Römling, spricht, nachdem er unkenntlich durch Blut die feindlichen Schlachtreihen durchbrochen hat. Man sieht ihn nicht, man hört nur seine Stimme von drüben. Aber die Stimme allein ist wie ein unbesiegtes Heer, das den Abtrünnigen niederschlägt. Das alles werde ich nie wieder so sehen, wie ich es jetzt sehe, da es eben in mir reif geworden ist und noch nicht überreif.
Du hast mich einmal um das Starke in meinem Leben beneidet, antwortete ich traurig, du sprachst von der lebendigen Poesie, die höher sei als die geschriebene, erinnerst du dich nicht mehr? Jetzt tritt sie in das deinige, so groß du sie nur wünschen kannst. Ein neuer Germanikus zieht gegen den Rhein heran, sei selbst Arminius, wenn du keinen Arminius mehr dichten darfst.
So redet einer, der nicht weiß, was dichten ist.
So denke an den Größten, sagte ich, der ohne Not bei Valmy in den Kugelregen ritt, nur um es nicht anders zu haben als die andern, und das zu einer Zeit, wo der Faust noch nicht vollendet war.
Er mag wohl auch seine Stunden des Zweifels gehabt haben, war die düstere Antwort. Hätte uns Napoleon vor einem Jahr den Krieg erklärt, was hätte es mir damals ausgemacht? Mit Freuden war’ ich ausmarschiert, was lag mir damals an meinem Leben? Ich habe auch bei Königsgrätz nicht damit gegeizt. Aber jetzt, jetzt wo meine Gesichte mich greifbar wie die Lebendigen umstehen! Es kann nicht sein, es ist ein böser Traum!
Der stolze Mensch hatte alle Fassung verloren, er legte den Kopf auf den Tisch und weinte wie ein Kind.
Selma lag schluchzend zu seinen Füßen.
Musst du denn, Gustav! Gustav! Du musst nicht . Höre nicht auf Harry. Tausendmal hörte ich dich sagen: Kein Mensch muss müssen. Warum musst du jetzt, wo dein Höchstes auf dem Spiele steht?
So kann ein Weib reden, sagte er, schmerzvoll den Kopf erhebend. – Den Ausreißer, den Feldflüchtigen versenkten unsere Alten in den Sumpf.
Aber die Versucherin ließ nicht ab von ihm.
Du stehst untere einem anderen Gesetz. Was nützt es deinem Lande, wenn dich die erste französische Kugel trifft? Du hast der Nation andere Siege zu erfechten, als die mit der Zündnadel.
Ein preußischer Offizier und fahnenflüchtig vor dem Feind. Mein unglücklicher Vater! Der Schlag wird ihn treffen. Und auf mich wartet der bürgerliche Tod, sagt er verzweifelt.
Armer Gustav! Hätte er in jenem Augenblick deutsche Luft geatmet, hätte ihn auch nur ein Hauch des Feuerstroms erreicht, der alle Herzen drüben überm See in eine glühende Masse zusammenschmolz, er wäre mitgerissen worden und hätte nichts anderes gedacht, als wie jeder schlichte Sterbliche, mit der Waffe in der Hand vor sein bedrohtes Haus zu treten. Aber da oben in der tiefen Hochsommerstille, wo die Grillen schmetterten und die Bienen summten, hatte das Wörtlein »Krieg« etwas so Fremdes und Unwirkliches. Als er heraufzog fiel noch kein politischer Schatten auf den Weg, der ihn hätte vorbereiten können. Zeitungen hatte er sich keine nachschicken lassen, er las sie ja ohnehin nicht, und so hatte ihn die schöpferische Fantasie in einen undurchdringlichen Dunstkreis eingehüllt. Was in diese Stimmung nicht passte, das blieb ihm fern, das drang nicht in sein Bewusstsein.
Schon zehn Tage, sagst du? fragte er zum zwanzigstenmal, und zum zwanzigstenmal erklärte ich ihm das Wie und Wann.
Nun ist es ja doch zu spät, rief Selma dazwischen. Er könnte ja sein Regiment gar nicht mehr erreichen.
Es ist nicht zu spät, sagte ich, er macht es, wie er kann, es gehen noch täglich Truppenzüge. Packen Sie ihm zusammen, was er braucht, wir begleiten ihn beide nach Lindau. Seine Dichtung versiegelt er bis zu seiner Heimkehr. Für alles andere werde ich Sorge tragen, und sein Liebstes bleibt in der Obhut eines Bruders zurück.
Meine Dichtung! sagte er verzweiflungsvoll.
Alles andere war ihm gleichgültig. Ich drängte. Aber er blickte aus starren Augen und regte sich nicht.
Barmherziger Gott, schrie es aus ihm heraus, nur dieses eine lass mich vollenden, dann sei es aus mit mir, dann fordre ich nichts weiter und will es mit meinem Blut bezahlen.
Ich wandte mich an die Frau um Hilfe.
Seien Sie tapfer, bedenken Sie sein wahres Heil und heißen Sie ihn ziehen.
Aber das arme Geschöpf zischte gegen mich auf wie eine getretene Schlange.
Sie, Sie haben das Unheil unter unser Dach gebracht, gestern saßen wir noch so glücklich und friedlich hier oben.
Gustav hielt sie beschwichtigend fest. Dann fragte er:
Du wirst also den Fahnenflüchtigen verachten?
Nein, Gustav, wozu du dich entschließest, immer werde ich dich ehren und werde suchen, dich zu verstehen. Ich habe keinen Genius in mir und kann nicht ermessen, was er von dir zu fordern hat. Du bist kein Feigling, und wahrlich zum Bleiben gehört in deinem Fall mehr Mut als zum Gehen. Aber bedenke, dass du nie wieder nach Deutschland zurückkehren kannst, dass du deines Arminius Siegeszug über die Bretter nicht mit Augen sehen wirst.
Schreibe ich ihn denn, um mich hinter der Rampe vor dem Publikum zu verbeugen? Verächtlich sei ich, wenn ich in diesem Augenblick irgend an mich denke! Wenn mein Arminius lebt, was braucht’s, dass ich ihn sehe? Schriebe ich für meinen Ruhm, so würde ich die Verachtung verdienen, die meine Verwandten und Kameraden überreichlich auf meinen Scheitel häufen werden. Ich schreibe ihn, weil ich muss, weil ein Anderer, Höherer neben mir steht und jedes Wort einsagt und weil niemand außer mir diese Stimme hören kann.
Nun suchte ich ihm von einer anderen Seite beizukommen.
Du sagtest mir immer, die Dichtkunst müsse sich am Leben nähren. Komm mit mir über den See hinüber. Da hörst und siehst du die Volksseele in ihrer unmittelbaren Ergriffenheit. Das verpflichtet dich zu nichts. Niemand kennt dich dort, du kannst ungehindert zurückkehren, wenn es dich nicht selber mitreißt; es werden dann wenigstens deine Hörner und Kriegsdrommeten davon stärker und voller tönen.
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