Er hatte den Hut abgenommen, um sich die gerötete Stirn zu lüften. Jetzt riss er auch den Hemdkragen auf, als ob er am Ersticken wäre.
Das kann doch nicht sein, sagte ich. Gehen sie ja mir, der ich nicht ihr Erzeuger bin, durchs Leben nach. Denke nur gleich an die Szene, wie Armin den Varus in Cheruska beglückwünscht.
Und ich begann aus dem Gedächtnis die Stelle, wie sie mir einfiel, ihm vorzusagen. Die zwei steinernen Rossebändiger mitten im Grünen, die aussahen wie ein nach Thuiskoland versetztes Stück Rom, gaben den rechten Hintergrund dazu, und als ich mit den Worten schloss:
Walhalla lächelt, weil Romas Götter unsre Gäste sind, – da stand er still und horchte, horchte noch lange fort wie auf das ferne Rauschen eines Wasserfalls.
Ja, sagte er endlich, so war es. Wenn ich den Faden wiederfinden könnte.
Ei was, rief ich, du musst ihn finden! Denk’ an den, der die Worte sprach: So kommandiert die Poesie!
Er konnte sie kommandieren. Er war ihr König, gab er zur Antwort. Und selbst Er, – wenn er etwas Großes vorhatte, so flüchtete er in sein Gartenhaus, und Christiane – durfte ihm das Essen schicken.
In seinem Gesicht arbeitete es grimmig, wie wenn Welten sich bekämpfen.
Ich muss sie brechen, ich muss sie brechen, diese Fesseln! Ich muss, ich muss! hörte ich ihn vor sich hin sagen, und als wir an den Schwanenweiher kamen, war er plötzlich von meiner Seite verschwunden.
Da hast du was Schönes angerichtet, sagte ich voller Angst zu mir selber, er ist imstande und verlässt sie.
Und mein böses Gewissen erlaubte mir nicht, Selma an diesem Abend vor Augen zu treten, da ich überzeugt war, es müsse heute irgend etwas Entscheidendes zwischen den Gatten vorgehen.
Am andern Morgen, der für meine Abreise bestimmt war, packte ich eben meine Wäsche in das Handköfferchen und überlegte wie viel Zeit mir bis zur Abfahrt des Zuges bleibe, um von den Freunden, denen mein Hiersein doch nur Verwirrung stiftete, Abschied zu nehmen, als Gustav bei mir eintrat. Er sah ganz verwandelt, strahlend aus, als ob er sich über Nacht verjüngt hätte, und sagte schnell:
Liebster, bester Freund, ich komme mit der dringenden Bitte, heute noch nicht abzureisen.
Dabei fuhr er mit einem mutwilligen Griff in den Haufen schön gefalteter Gegenstände, die ich zum Einpacken zurechtgelegt hatte, und streute sie auseinander.
Du weißt, dass am 15. mein Schiff in Hamburg abgeht, sagte ich.
Ein Tag verschlägt nichts, ich bitte dich nur um einen. Du hast mir gestern einen so großen Dienst erwiesen, dass du heute fortfahren und mir den zweiten erweisen musst. – Als du mir gestern meine eigenen Verse vorsprachst, da kam es auf einmal über mich wie im Turmstübchen des irren Dichters. Darum verließ ich dich so rasch, ich musste allein sein. Und denke dir, in der Nacht stellte sich plötzlich der Cherusker wieder ein und Varus mit seinen Römern und die reizende Atthis, die unsern Olaf entzückte, alle die alten Freunde aus der Junggesellenzeit. Das war ein Fest. Ich brachte die ganze Nacht im Studierzimmer zu, mir eilige Aufzeichnungen machend. Sie hatten mir nach der langen Zeit so viel zu sagen, dass ich mit Schreiben kaum nachkommen konnte. Und es brauste und wogte um mich her wie Weltgerichtsposaunen. Die Nachtstunden, die waren immer meine beste Arbeitszeit. Das muss wieder so werden. Meine arme Frau hat sich geängstet, natürlich, ich kam ja nicht zu Bette. Ich hörte sie mehrmals vor die Tür schleichen, aber sie rief mich zum Glück nicht an. Hätte ich geöffnet und nur ein Wort gesprochen, so wären die Gäste vielleicht entflohen, wer weiß wohin! So ließ ich sie stehen. Diese glückliche Nacht der Empfängnis danke ich dir. Und mein Stück soll nichts dabei verloren haben, dass ich unterdessen um Jahre älter und reifer geworden bin. Es soll ihm bekommen wie dem Helden, der nenn Jahre an der Mutterbrust sog, um stark zu werden.
Und was soll ich jetzt für dich tun?
Jetzt sollst du zu Selma gehen und sie trösten und ihr begreiflich machen, dass sie mich weder heute noch morgen, noch im Laufe der nächsten Tage, vielleicht der nächsten Wochen erwarten darf.
Du willst fort? fragte ich erschrocken, und die schöne Freude fiel schwer zu Boden. Wusste ich doch von Luzern her, wessen die Frau in ihrer Leidenschaft fähig war.
Wie ich stehe und gehe, war die Antwort. Ich muss wieder einmal allein sein. Das ist’s, was mir bisher gefehlt hat. Aber ich gehe nicht weit fort. Ich nehme gar nichts mit als meine Papiere (er klopfte auf die Tasche seines Rocks, die prall gefüllt war). Von deiner Freundschaft erbitte ich mir, dass du heute noch hier bleibst, während ich mich heimlich empfehle, und dass du mein armes Weibchen beruhigst. Sie hat es, weiß Gott, nicht leicht mit mir. Aber sie ist so gut und verständig. Sage ihr, sie solle nur fein fleißig ihre neue Rolle üben. Vielleicht reift sie mir doch noch einmal zur Thusnelda heran. Jedenfalls wird sie einen besseren Gatten zurückbekommen, als sie ihn heute verliert. Wenn ich wieder ich selber bin, so werde ich sie auch besser schonen und hegen. Sag’ ihr das.
Aber warum sagst du es ihr nicht selbst?
Nein, nein, es gäbe Szenen und Tränen, und darüber verflögen mir die schönsten Gedanken. – Leb’ wohl, Harry, und Dank!
Damit stürmte er die Treppe hinunter.
Ich fand Selma in großer Erregung, wie ich gefürchtet hatte.
Gustav ist krank, rief sie mir schon an der Schwelle entgegen. Er hat die ganze Nacht sich nicht gelegt, und heut ist er in aller Frühe fortgegangen, was er niemals tut.
Nein, Selma, sagte ich. – Jetzt wird er erst gesund. Bisher hatten Sie einen heimlichen Kranken im Haus, aber nun wird er genesen.
Ich richtete ihr Gustavs Auftrag aus, den sie ganz entgeistert mit stockendem Atem anhörte. Ich beschwor sie mit aller Beredsamkeit, die ich aufbringen konnte, ihn nicht zu suchen noch zurückzurufen, auch wenn er wochenlang ausbleibe, sich nicht zwischen ihn und sein Werk zu drängen.
Die leidenschaftliche Frau brach in Tränen aus.
Also ich bin schuld, wenn sein größtes Werk stockte? rief sie bitter.
Nicht Sie, er erkennt es ausdrücklich an. Nur das übergroße Glück, das an die Erde kettet und die Lust zu hohen Flügen lähmt.
Sie beruhigte sich allmählich.
Solang er nur keine andere Frau mir vorzieht, will ich mich in alles schicken, will mit allem zufrieden sein, sagte sie, ihre Tränen trocknend.
Ich beteuerte ihr mit gutem Gewissen, dass sie von anderen Frauen nichts zu fürchten habe, denn ich kannte meinen Freund und wusste, dass es für ihn im Grunde gar keine Liebe gab als die zur Kunst, was ich sie natürlich nicht merken ließ.
Sie wollte wissen, wie lange dieses Werk ihn in Anspruch nehmen würde, ob es in vier, in sechs Wochen fertig sein könne. Ich setzte ihr auseinander, dass das Ganze eine Sache von Monaten, bei Gustavs unberechenbarer Arbeitsweise vielleicht von Jahren sei, und dass es viel von ihr abhänge, wie rasch oder wie langsam er die Aufgabe löse, dass er aber ganz gewiss, sobald er nur mit dem Gröbsten fertig sei, zu ihr zurückkehren werde, um sein Werk im einzelnen durchzuarbeiten und auszufeilen.
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