Das geht so weit, fuhr er fort, dass ich jedes Mal zu Hause bleiben muss, wenn sie in einer neuen Rolle auftritt. Aber heute Abend wollen wir sie Beide bewundern. Ich habe mir heimlich zwei ganz versteckte Logenplätze neben einer Säule verschafft, wo sie uns nicht vermutet. Sie darf keine Ahnung haben, dass wir da sind. Ich bin gewiss, sie wird hinreißend sein. Wir haben das Stück zusammen durchgenommen, ich finde es abgeschmackt, aber ich muss zugeben, es »liegt« ihr. Ich werde nie ein Stück schreiben, das ihr so liegt wie dieser neue Sardou.
Es ging ganz so, wie Borck vorhergesagt hatte. Selma trat heraus, von einer freudigen Bewegung im Zuschauerraum begrüßt. Von ihrer Angst war ihr nichts mehr anzusehen, sie war strahlend schön und spielte mit einer inneren Wahrheit, die aus der öden Rührigkeit ihrer Rolle ein unmittelbares menschliches Fühlen machte, und steigender Beifall dankte ihr nach jedem Aktschluss. Wir beide waren in völliger Selbstvergessenheit hinter der Säule hervorgetreten, um besser zu sehen. Da stockte sie mitten im Spiel und sah einen Herzschlag lang wie angewurzelt zu uns herüber, sie war Gustavs ansichtig geworden. Um sie anzufeuern, machte er ganz leise die Gebärde des Händeklatschens, die wie ein Signal auf die Nebensitzenden wirkte, denn plötzlich erhob sich aus unserer Reihe ein Beifall, der von Galerie zu Galerie lief und am Ende alles mitriss, sodass gegen jede Gewohnheit der Schauspielerin mitten im Auftritt eine brausende Huldigung dargebracht wurde. Ihr guter Genius hatte es so gefügt, dass jenes Zusammenfahren und Erstarren gerade auf den Augenblick passte und als ein Gipfelpunkt ihrer Kunst erschien. Nach dem Aktschluss wurde ihr ein mächtiger Lorbeerkranz mit flammendroten Bändern auf die Bühne gereicht.
Selig wandelte sie an jenem Abend an Gustavs Arm nach Hause, ich musste noch helfen, ihren Triumph, der ihr erst durch seinen Beifall zu einem vollständigen geworden war, in Champagner zu feiern. Als die Gläser leer waren, ließ sie sich durch das Mädchen den schweren Lorbeerkranz hereinholen und zerpflückte ihn auf ihrem Schoß zu tausend Blättern. Diese schüttete sie dann, sich plötzlich erhebend, aus den Falten ihres Kleides alle dem Manne zu Füßen und sagte, indem sie bei ihm niederkniete:
Der Lorbeer ist für den schaffenden Künstler, dessen Gebilde dauern. Ich kann nur nachgestalten, und was ich gebe, das ist im nächsten Augenblick nicht mehr. Deshalb verlange ich auch keinen Ruhm als den, sein Weib zu sein.
In ihren schönen Augen, die trunken waren vom Erfolge dieses Abends, glänzte die tiefere Wollust, so von ihrem Thron herabzusteigen und ihr Haupt auf die Knie des geliebten Mannes zu legen.
Was aber hatte seit seiner Heirat der Dichter geleistet? Wo waren die verheißenen Werke? Wo war vor allem die Trilogie, die ihn in die Reihe der großen Unsterblichen stellen sollte? War diese liebliche Stadt, die schöne Häuslichkeit mit Selma wirklich der Zaubergarten, wo die Amoretten den Geharnischten vom Rosse ziehen und ihm die Waffen verstecken? Fast wollte es mir so scheinen, wenn ich den Feuergeist, der noch vor kurzem flüssige Lava ausgeströmt hatte, neben dem reizenden Weibe sitzen sah, das ihm schmeichelnd diente. Nach dem »Befreier« wagte ich gar nicht mehr zu fragen, denn ich hatte gleich gemerkt, dass er hastig ablenkte, wenn das Gespräch nur in die Nähe dieses Gegenstandes kam. Zur Zeit war er damit beschäftigt, die letzte Hand an ein neues Schauspiel zu legen. Aber er sprach nicht davon mit der überschwenglichen Zuversicht wie einst im Hölderlinsturm von seinen Plänen, sondern es klang etwas Gepresstes, fast Kleinlautes in seinen Worten durch, als ob er mit sich selber nicht im Einklang sei. Ehe er es der Intendanz einreichte, wollte er seine Wirkung im engen Kreise erproben, deshalb wurde einer der letzten Abende meines Stuttgarter Aufenthalts für die Vorlesung bestimmt. Außer mir war auch der unvermeidliche Berka und ein anderer literarischer Hausfreund namens Ruhland geladen. Das Stück spielte zur Zeit der französischen Revolution auf einem Herrensitz in Südfrankreich; der wilde geschichtliche Hintergrund mit Sansculottenhaufen und brennenden Burgen gab ihm eine warme Tönung. Am Schlusse erschien unter Trommelwirbeln und den Klängen der Marseillaise ein junger Artillerieoffizier mit Namen Napoleon Bonaparte auf den Brettern als das menschgewordene Weltgeschick, was von starker, aber rein äußerlicher Wirkung war. Die Fabel des Ganzen wollte für mein Empfinden nicht so recht zusammenhalten. Der Schwerpunkt lag auf einer Frauengestalt, in der die völlige Selbstentäußerung der Liebe zum Ausdruck kommen sollte. Ruhland erhob Einwände, er fand das Liebesopfer der Heldin, einer Adligen, die sich einem Plebejer geschenkt hat und jetzt mit der alten feudalen Ordnung untergehen will, um dem Geliebten nicht im Wege zu sein, überspannt und unbegründet. Gustav verteidigte sich mit Feuer, von Berka unterstützt, und was er sagte, war bedeutender als alles was im Stücke stand. Selma hatte während der ganzen Vorlesung nach ihrer Gewohnheit auf einem Schemel am Boden gesessen und andächtig zugehört. Sie war augenscheinlich ganz mit dem Gedanken beschäftigt, wie sie die etwas blutleere Gestalt der Heldin zum vollen Leben bringen wolle. Als auch ich mich zu der Meinung Ruhlands bekannte, dass diese Gestalt keine innere Notwendigkeit habe, rief die Künstlerin: Sie hat! Sie hat!, sprang von ihrem Schemel auf, und dicht vor ihren Gatten tretend sprach sie mit hinreißendem Ausdruck die beanstandeten Worte: Geh’ deinen sicheren Weg zur Höhe. Wer bin ich, dass ich dich hemmen dürfte usw., bis der Verfasser sie entzückt in die Arme schloss, und wir anderen in lauten Beifall ausbrachen.
Aber als wir zusammen nach Hause gingen und ich meinem Gasthof zustrebte, fing Ruhland, sobald Dr. Berka in einer anderen Richtung abgeschwenkt war, über Gustav zu reden an.
Ich weiß, er trägt sich mit großen Plänen. Es ist Gefahr, dass er sich zu lange damit trägt und den rechten Augenblick versäumt. Drängen Sie ihn, ich tue es auch. Jetzt sucht er sich selbst herabzustimmen, sich anzupassen. Das soll er nicht, er soll seine Umwelt mit sich hinaufreißen. Dieses heutige Stück, ja das wäre ein ganz guter Wurf für einen Kleineren. Aber er denkt und fühlt eigentlich immer darüber hinaus. Wer weiß, ob nicht einer von den Dramenschreibern, die er nicht für voll nimmt, es besser gemacht hätte? Ein solcher hätte dem Stoff sein Bestes gegeben, und wenn das auch nicht viel wäre, so wäre es doch immer alles was er vermag, eine eingesetzte ganze Kraft. Dass Borck sich nicht völlig einsetzt für das, was er jetzt schreibt – mag es auch das Geschreibe der andren immer noch weit an Geist überragen –, das ist’s, was der Hörer fühlt und was ihn kalt lässt gegen den Dichter, der selber nicht mit der Seele dabei ist. Ihm liegt nun einmal die mittlere Gattung nicht. Auch tragische Einzelschicksale geben ihm noch nicht den genügenden inneren Auftrieb. Ihn reizen nur Völkergegensätze, ja mehr als das: zusammenprallende Zeitalter. Ich habe Bruchstücke von einem Alexander, einem Konstantin, einem Montezuma in seinen Papieren gesehen. Das ist die rechte Lust für ihn. Vor allem aber seine große Trilogie. Mahnen Sie ihn, dass er die zu Ende führt. Wenn man Gustav Borck ist, so soll man sich mit nichts Halbem begnügen.
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