Am letzten Abend fuhren wir zusammen über den See. Der Mond war voll, der Himmel hoch und sternenlos, ein eigener Zauber spann über den Wassern, die wir stille durchglitten, denn das Mondlicht verwandelte See und Ufer in eine fremde Feenlandschaft, in die Axenstein und Rotstock vergeistert hereinblickten. Ich ruderte und tauschte halblaute Reden mit der jungen Frau, die mir an diesem Abend von einer wogenden Unruhe beherrscht schien, sei’s, dass zwischen ihr und Gustav etwas vorgefallen war, sei’s, dass sein Verhalten sie ängstete. Denn er lag der Länge nach auf der Bootsbank ausgestreckt, die Augen emporgerichtet, und bewegte die Lippen, ohne auf unser Gespräch im mindesten zu achten. Redete sie ihn an, so machte er eine abweisende Kopfbewegung. Dann begann er vor sich hinzusprechen:
Musik und Rhythmus ist alles. Form und Farben zerfließen. Die Erde ist nicht und war nicht. Das Leben löst sich in Klang.
Wir schwammen jetzt in dem breiten Flimmerstreifen, den der Mond über das Wasser zog. Ich legte die Ruder bei und ließ das Boot schaukeln, ganz dem Zauber hingegeben, der von oben niedertroff. Gustav fuhr fort in seinem halbsingenden Tone zu sprechen:
Wir fahren nach Traumland. Legt die Ruder nur bei, das Schifflein findet schaukelnd den Weg.
Gustav! rief Selma und beugte sich über ihn.
Gewappnete Riesen walten des Eingangs. Ihre Schilde rasseln, sie neigen sich uns. Weiße Schleier wallen grüßend, weiße sternendurchwebte Schleier, fremde, sternengeborene Töne fallen herunter. Und Musik ist alles.
Sie wollte ihn rütteln, ich fasste ihre Hand und bat: Lassen Sie ihn.
Still, gleich wird es geschehen, hörte man ihn geheimnisvoll sagen. Gleich, gleich jetzt, das Wunder ist nahe.
Gustav! sagte sie ganz laut, was tätest du, wenn ich ins Wasser spränge?
Er richtete sich halb auf und sagte noch immer in seinem verträumten Ton:
Ich ließe dich sinken und sänge weiter. Dem Leid entblühte das schönste Lied.
Würde das dich glücklich machen, Gustav? fragte die leidenschaftliche Frau.
Gesang ist Glück, es gibt kein anderes. Schön ist das Leben, schön ist die Liebe, doch der schönste Sang ist der Sang vom Tod. So stirb, Geliebte, dass ich ihn singe.
Noch hatte er nicht ausgesprochen, so lag Selma im Wasser, das hoch aufrauschte.
Ich dachte: Träume ich das oder sind wir alle drei wahnsinnig? – denn einen Augenblick sah ich sie mitten in ihren gebauschten Röcken auf der Flut sitzen wie eine Wasserlilie in ihrem Blattwerk. Dann versank sie.
Ich hatte schon die Ruder fahren lassen und sprang ihr nach. Neben mir tauchte Gustav unter. Wir zogen sie herauf, aber sie hatte Wasser eingeatmet und schien am Ersticken, denn sie gab schreckliche, keuchende Töne von sich und schlug mit den Armen, dass wir sie kaum halten konnten.
Gustav klammerte sich mit ihr an die Bootswand, ich schwang mich über Bord und half von innen nach, so brachten wir sie glücklich ins Trockene. Ich ruderte aus allen Kräften zurück, während er die Besinnungslose rieb und klopfte und sich verzweifelt um sie bemühte. Die Atmung hatte sich zwar von selbst wiederhergestellt, aber die Frau lag todesblass und regungslos mit geschlossenen Augen auf der Bank ausgestreckt, wo kurz zuvor Gustav in seinen Träumereien gelegen hatte.
Dieser war wie verwandelt.
Stirb nicht, Selma, stirb nicht, flehte er geängstet.
So trugen wir beiden Triefenden die Triefende in den Gasthof zurück. Ein Arzt wurde gerufen, man entkleidete sie, wärmte sie und brachte sie zu Bette. Gustav war in solcher Aufregung, dass ich im Nebenzimmer, das sein Arbeitsraum war, die halbe Nacht mit ihm verbringen musste, um ihn zu trösten, während er angstvoll auf und ab ging, sich selbst mit Anklagen überhäufend.
Ich mache sie unglücklich. Aber ich kann es nicht ändern. Ich hätte nicht heiraten dürfen, Kuno Schütte hat es mir vorausgesagt. Ich kann ihn ja nicht abwerfen, den Zwang meines Despoten. Wie soll je ein Weib sicher an meiner Brust ruhen? Ich bin ein schlechter Sohn, ein schlechter Gatte, ein schlechter Staatsbürger, denn alles Leben hat für mich nur Wert, soweit es sich in Dichtung verwandeln lässt. Ich habe Stunden, wo ich dem Nero nachfühlen kann, wie er Rom in Brand steckt, um die Flammen von Troja zu singen. Ich kann zum Unhold werden. Aber sie wusste es ja. Sie hätte mich nicht nehmen dürfen.
Schließlich bist du doch für solche Überspanntheiten nicht verantwortlich, entgegnete ich trocken, denn ich hatte mich über Selmas Unverstand herzlich geärgert.
Oh, du weißt nicht, welch grausame Worte ich oft zu ihr gesprochen habe, war seine Antwort. Das arme Weib! Sie liebt mich zu sehr. Es tut nicht gut.
So sich anklagend und sein Inneres unbarmherzig bloßlegend, wühlte er rastlos umher, bis er sich überzeugte, dass die Kranke nebenan gesund und ruhig schlummerte. Da legte er plötzlich am Tischchen, wo ich saß, den Kopf auf die Arme und entschlief gleichfalls.
Als ich mich am Vormittag verabschiedete, lag Selma blass, aber glückselig lächelnd in dem tiefen Lehnstuhl. Eine Aussprache zwischen den Gatten musste vorangegangen sein, denn beide hatten verweinte Augen und waren zärtlicher als je zusammen.
Ich bin so glücklich, sagte sie, als Gustav sich auf einen Augenblick entfernte. – Es war eine harte Probe. Ich war schon gestorben, und Sterben ist fürchterlich. Aber ich weiß es jetzt sicher, dass er mich liebt. Ich will ihm ja gewiss nie wieder einen solchen Schrecken verursachen. Und sehen Sie, auch mein Talisman ist unbeschädigt aus dem Bade gekommen.
Sie meinte Gustavs Kinderbild und ein Löcklein seines hellen Kinderhaars, das heimliche Geschenk seiner Mutter, das sie zur Hochzeit von dieser erhalten hatte. Es war das einzige freundliche Zeichen, das ihr von seiner Familie zuteil wurde, denn aus Vorurteil gegen die Schauspielerin schrieben sie ihr auch die Schuld an seinem zweiten Berufswechsel zu und hatten jeden Verkehr von vornherein abgelehnt. Um so höher schätzte sie dieses Angebinde; es war ihr das Teuerste, was sie besaß, und sie trug es an dem dünnen, goldenen Kettlein in der goldenen Kapsel, wie sie es erhalten hatte, unter dem Kleide auf der Brust.
Im Frühjahr rief mich eine Familienangelegenheit nach Amerika zurück, aber ich wollte Europa nicht verlassen, ohne mein den Freunden gegebenes Versprechen wahrzumachen und sie in ihrem jungen Heim in Stuttgart zu besuchen. Ich kam von einer Fußwanderung im Hegau her und stieg zuerst in der alten Universitätsstadt aus. Dort fand ich nur noch Kuno Schütte, der eben dabei war, seinen philosophischen Doktor zu machen. Alle die lieben Orte suchten wir noch einmal zusammen auf und schmückten auch die Gräber Olafs und Adelens.
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