Später erfuhr ich durch Selma, die ihr eine herzliche Teilnahme widmete, das unglückliche Mädchen habe sich nach dem Duell in fesselloser Leidenschaft in Gustavs Arme stürzen wollen und sei von ihm, der keine Bindung wollte, herb zurückgewiesen worden. Sie fürchteten beide, dass sie durch Scham und Kummer in den Tod getrieben worden sei. Andere meinten, eine verspätete Liebe zu Olaf Hansen sei der Grund ihres Trübsinns gewesen. Die Wahrheit hat man nie erfahren, sie ruht mit ihr unter dem südlichen Myrtenbäumchen, das die dankbaren Gäste des Molfetta auf ihren Hügel pflanzten.
Nach Gustav Borcks Wegzug war auch meines Bleibens nicht mehr in Tübingen. Es zog mich nach Basel, wo damals Jakob Burckhardt lehrte.
Gustav gab dem Drängen Selmas nach, hing die Jurisprudenz an den Nagel und heiratete, was nun auch den äußeren Bruch mit seiner Familie nach sich zog. Im Sommer traf ich mit dem jungen Paar am Vierwaldstätter See zusammen, wo sie die Theaterferien verbrachten.
Ein Los der Götter schien den zwei Jungen, Schönen, Zukunftsreichen bereitet. Die Künstlerin, jetzt Frau Hanusch-Borck – nach dem letzten Zerwürfnis mit den Seinigen hatte der Dichter den bürgerlichen Decknamen angenommen, unter dem ich ihn eingeführt habe – strahlte von Glück und Liebe. Üppig blühend, doch mit schlanken Hüften, im blassblauen Sommerkleid und bauschendem Reifrock, denn die Mode stand damals noch im Zeichen der Kaiserin Eugenie, so kam sie mir an der Dampfschifflände in Luzern entgegen. Ihr Haar war von dem Gelb des reifen Gerstenfeldes, und sie trug es wie einen Ährenkranz um das Haupt geflochten, dazu die dunkelblauen Kornblumen auf dem Florentiner Strohhut und der mohnrote Sonnenschirm, der mit seinem durchfallende Schein ihr Gesicht verklärte; eine jugendliche Ceres!
Gustav sah noch männlich schöner aus als früher im Hochgefühl seines aufgehenden Dichterruhms. Der Winter hatte ihm die erste ausgereifte Frucht getragen, ein bürgerliches Drama, dessen Hauptrolle abermals seiner Gattin auf den Leib geschrieben war. Es hatte darum bei der ersten Aufführung einen stürmischen Erfolg gehabt und sich den ganzen Sommer über auf dem Spielplan halten können; nur es auf auswärtige Bühnen zu bringen, misslang, weil eben die Darstellerin fehlte, die ihm erst das rechte Leben gab. Dankbar erkannte er an, was er seiner Frau schuldete, und schrieb ihr sogar den Löwenanteil an seinem Erfolge zu, denn das Glück machte ihn immer gut und bescheiden. Mit mitleidigem Lächeln dachte ich an Kuno Schüttes Unglücksprophezeiungen. Konnte man sich eine schönere Eheharmonie und ein höheres Künstlerglück denken? Der Mann dichtete, die Frau verkörperte seine Träume, und die Hörerschaft warf ihnen Kränze zu, die jedes mehr dem andern als sich selber gönnte. Auch brauchte er nicht mehr ängstlich den Groschen zu sparen, denn Frau Selma bezog ein ansehnliches Gehalt, er selber nahm seine Gewinnanteile ein. Das war der höchste Stand, den Gustav Borcks Glücksstern äußerlich jemals erreichen sollte.
Nur nach der Trilogie wollte er nicht gefragt sein. Als ich von dem unvergesslichen Eindruck jener ersten Szenen sprach und ihn an die Erfüllung des großen Versprechens mahnte, wurde er unruhig und gestand, dass er jetzt nicht zu so hohen Dingen gestimmt sei.
Selma, die fraulich sorgend ab und zu ging, blieb stehen und sagte vorwurfsvoll:
Wie? Eine Tragödie, von der ich nichts weiß?
Ich sagte ihr, dass sie den echten Gustav Borck noch gar nicht kenne, ehe sie seine »Norne« und den Eingang der»Varusschlacht« gelesen habe, und bat sie, dafür zu sorgen, dass er das Hauptwerk seines Lebens nicht versäume.
Aber Gustav wehrte ab und sagte ihr:
Lass das. Ich kann jetzt nichts dichten, was sich nicht auf dich bezieht. Du bist keine Thusnelda.
Die Schauspielerin streichelte ihn zärtlich ohne Ahnung von der gefährlichen Tragweite dieses Wortes. Eine Thusnelda war sie freilich nicht. Man konnte sie sich in keiner Rolle denken, deren Inhalt über die Liebe hinausging. Der Hauch der sinnlichen Leidenschaft erfüllte ihren ganzen Luftkreis wie schwerer Duft der Orangenblüte, dessen berauschender Wirkung man sich nicht entziehen konnte. Man wäre am liebsten gleich hingegangen, um selber zu heiraten, wenn man diese glücklich Liebenden sah.
So besaß nun Gustav, was er nie gesucht und woran er nicht geglaubt hatte: die Frau, die nicht bloß den schönen Mann, sondern ebenso den Dichter in ihm liebte. Frau Selma war seine Hörerschaft, seine anbetende Gemeinde; sie lag vor allem, was er schrieb, auf den Knien, und ich musste mich oft leise fragen, wie lange wohl ein Sterblicher solche Vergötterung ohne Schaden ertragen könne. Er hatte zwar den guten Geschmack, ihr die allzu theatermäßige Sprache, wenn sie ihn etwa ins Gesicht ihren Dichterfürsten nannte, zu verweisen, er sagte dann wohl auch, sein Fürstentum müsse erst erobert werden, aber schon war er unduldsamer gegen Widerspruch geworden und behandelte alles, was sich nicht auf ihn selbst und sein Schaffen bezog, mit noch größerer Gleichgültigkeit als früher.
Hätte die Frau ihn nur etwas weniger geliebt oder mehr Zurückhaltung besessen, es wäre für beide Teile besser gewesen. Wenn sie bei Tische ein ernsthaftes Gespräch mit ihrem stets wiederholten: »Liebst du mich?« unterbrach, so hätte ich ihre zu ihm hinübergestreckte Hand fassen und zurückziehen mögen, weil er nur zerstreut damit tändelte oder sie mit flüchtigem Drucke von sich schob.
Des Morgens, während Gustav arbeitete, ging ich mit Selma am Seeufer spazieren, sie trug mir Stellen aus seinem neuen Drama vor und ließ mich versprechen, dass ich nächstens einer Vorstellung in Stuttgart beiwohnen und darüber an amerikanische Zeitungen berichten würde. All ihr Denken und Wollen drehte sich in steter Bewegung um den einen Angelpunkt: ihren Gustav.
Ich liebe ihn ja so grenzenlos, so grenzenlos, rief sie einmal übers andere. Wenn ich fühlte, dass ich ihm zur Last würde oder wenn ihm mein Tod etwas nützen könnte, augenblicklich stürbe ich.
Wenn er von ihr redete, so war der Ton auch ein zärtlicher, aber er klang doch völlig anders:
Das gute Weibchen, hieß es da. Je näher man sie kennt, desto mehr muss man sie schätzen. Sie ist ja ein Theaterkind und hat keine andere Bildung als die Rollen ihres Fachs, aber sie lässt sich so gern belehren.
Er trieb es jedoch etwas weit mit dem Belehren und Hofmeistern, und es war nicht immer ganz zartfühlend, wie er sie in meiner Gegenwart darauf aufmerksam machte, dass das betonte Sprechen und das bewusste Gebärdenspiel, das ihr von der Bühne her anhaftete, im täglichen Leben störend wirkte. Ich wunderte mich über die gute Laune und Geduld, mit der sie die Zurechtweisungen ihres gestrengen Herrn und Liebhabers hinnahm.
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