Als ich aber das Endziel meiner Reise nannte, verfinsterte sich Kunos Gesicht; er war noch immer nicht mit des Freundes Heirat ausgesöhnt.
Der Dichter muss ein blinder Bettler sein, der nichts besitzt als seine Lieder, sagte er. Dann ist er allmächtig, dann wird er unsterblich. Ein wohlgepflegter, gehätschelter Ehemann, der zwischen zwei Mahlzeiten behaglich seine Dramen schreibt, ist kein Dichter mehr. Was hat er denn geschaffen, seit er die Ehre hat, Frau Selma Hanusch-Borcks Gatte zu heißen? Ich habe sein jüngstes Stück gesehen – das hätte ein Anderer auch gekonnt! Sind das Aufgaben für einen Gustav Borck? Man spürt noch die Löwenklaue, ja, aber wo bleibt der Löwe?
Er wird wiederkommen, wenn der erste Rausch verflogen ist, tröstete ich.
Den Teufel wird er! war die unwirsche Antwort. Dieses Stuttgart ist sein Kapua. Was stellt sich Selma unter einer vollkommenen Ehe vor? Den Mann entwaffnen, ihm die Simsonslocken abschneiden, dass er über dem Tändelspiel sein Werk vergisst. Um ihm die Freunde zu entfremden, schmeichelt sie ihm, bis er sich für den Mittelpunkt des Erdkreises ansieht und keinen Umgang mehr erträgt, der diese Tonart nicht aufnimmt. Ich sah es ja kommen. Täglich trinkt er aus dem vergifteten Becher und merkt es nicht. Selbst die unglückliche, schmachtende Adele wäre eine bessere Frau für ihn gewesen.
Der arme Kuno fängt an zu verknöchern, dachte ich. Und natürlich fand ich seine Schwarzseherei wieder sehr übertrieben. Auch sonst war er mir unheimlich geworden. Studium und Abtötung hatten ihn in der Zwischenzeit noch mehr ausgezehrt und das Geisterhafte seines Gesichts trat stärker hervor.
Ich weiß jetzt, wofür ich in seiner Schuld bin, teilte er mir geheimnisvoll mit, aber ich darf es nicht sagen.
Ich wollte es gar nicht wissen, denn ich fühlte immer, wie mein Kopf ins Wanken kam, wenn Kuno Schütte von übersinnlichen Dingen sprach. Ich hielt mir selber auch gern eine Tür ins Unbekannte offen, aber seine Gewissheit dem Unwissbaren gegenüber erfüllte mich mit Grauen.
In einer grünen Vorstadt hatte Gustav sich den reizendsten Dichterwinkel geschaffen, wo die gute Selma der doppelten Aufgabe oblag, ihre Kunst weiterzubilden und dem Gatten eine angenehme Häuslichkeit zu bereiten. Durch abgetönte, leise Farben und gedämpftes Licht, durch Teppiche und Vorhänge waren seine Arbeitsräume zu Stille und Schaffensseligkeit gestimmt; eine Menge kleiner Bequemlichkeiten sollte die Arbeit erleichtern. Dieses Studierzimmer war Gustavs eigenstes Werk, denn Selma hatte keinen entwickelten Geschmack, wie die von ihr bewohnten, mit lauter Flitter behängten Zimmer bewiesen. Dagegen war sie mit fraulicher Sorgfalt beflissen, dem Geliebten jede Störung fernzuhalten; kein Mäuschen durfte sich rühren, während er arbeitete. Die gefeierte Schauspielerin, die vor der Öffentlichkeit in dieser Ehe die Hauptperson war, trat im Hause so gänzlich vor den Bedürfnissen und Gewohnheiten des Mannes in den Hintergrund, wie man es kaum von der unbedeutendsten aller Frauen hätte erwarten können. Es war ein freiwilliges Liebesopfer, das er als etwas Selbstverständliches hinnahm. Wer die Umstände nicht kannte, hätte nie vermuten können, dass die Frau es war, die die Mittel zu dem sorgenlosen Dasein schaffte. Im Hause verkehrten nur Freunde und Bekannte des Mannes; mit ihren Kunstgenossen pflegte sie außerhalb der Bühne keinen Umgang. Es war geradezu, als ob sie ihren Stolz darein setzte, die Künstlerin ganz hinter der liebenden Frau verschwinden zu lassen.
Damals lernte ich einen gewissen Dr. Berka, einen Buchmenschen kennen, der Borck wie sein Schatten begleitete. Was sein eigentlicher Beruf war, habe ich nicht erfahren; im Hause hatte er die Aufgabe, die Brosamen aufzulesen, die vom Tische des Reichen fielen. »Unsern Eckermann« nannte ihn Selma, die glücklich war; dass ihr Mann einen so ergebenen Bewunderer gefunden hatte.
Selten hat mir ein Mensch auf den ersten Blick missfallen wie dieser Berka. Er war von kleiner, unansehnlicher Gestalt, mit übergroßem Kopf und fahlem Gesicht, über das es fortwährend wie Ameisenkribbeln lief. Der Aussprache nach musste er irgendwo an der polnischen Grenze zu Hause sein. Augenscheinlich war er sehr belesen und besaß ein ungewöhnliches Gedächtnis für anderer Leute Gedanken, die er jeden Augenblick mit überraschender Schlagfertigkeit ins Feld führen konnte.
Er ist ganz Hirn, sagte Gustav von ihm, er hat weder Sinne noch Seele, alles nimmt bei ihm den Weg über das Denken. Dafür ist es aber auch in seinem Kopfe so hell, wie in keinem andern Menschenkopf, den ich kenne, und diese Naturerscheinung beschäftigt mich immer aufs neue.
Da ich gewohnt war, mein Urteil dem Urteil Gustavs unterzuordnen, nahm ich mir vor, den unerfreulichen Gesellen unter allen Umständen erträglich zu finden.
Am zweiten Abend sollte Selma in einem neu eingeübten französischen Stück auftreten. Gleichwohl hatte sie darauf bestanden, ich müsse auch diesen Mittag ihr Gast sein. Aber sie litt an unerträglichem Lampenfieber und konnte nicht ruhig auf dem Stuhle sitzen, deshalb zogen wir beiden Männer nach der Mahlzeit uns gleich in Gustavs Arbeitszimmer zurück, wohin uns der Kaffee nachgebracht wurde. Selma in einem gelbseidenen Hausgewand von orientalischem Schnitt, die schönen Haare einfach aufgewunden – wenn sie abends spielte, blieb sie den ganzen Tag im Morgenrock –, ging in ihrer Unruhe rastlos aus und ein. Bald setzte sie sich ganz nahe zu uns, wie wenn hier Schutz vor der Aufregung zu finden wäre, bald sprang sie jählings auf und eilte hinaus, als hätte sie etwas Wichtiges vergessen. Ich begann mich mit ihr und für sie zu ängsten, da ich dachte, sie fühle sich vielleicht in ihrer Rolle nicht sicher, Gustav aber saß mit übergeschlagenen Beinen und rauchte gelassen.
Sei ganz ruhig um ihretwillen, sagte er. Es ist das beste, du gibst auf ihren Zustand gar nicht acht. Ich habe mich schon daran gewöhnt. Es ist jedes Mal so, wenn sie auftritt. Das wächst jetzt von Stunde zu Stunde, und wenn heute Abend der Wagen kommt, sie abzuholen, so wird es sein, als ob eine Todkranke weggeführt würde. Aber es dauert nur so lange, bis sie auf der Bühne steht. Beim ersten Wort, das sie spricht, fällt die Angst von ihr ab und sie ist völlig Herrin ihrer selbst. Das heißt: wenn ich nicht zugegen bin, denn meine Anwesenheit macht sie immer unsicher, ich begreife nicht, warum.
Ich hätte es ihm sagen können, es war das viele Hofmeistern und Bildenwollen, womit er die Arme um ihre Unbefangenheit brachte.
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