Nach einigem Schweigen setzte er hinzu:
Es ist auch für das Glück dieser Ehe besser, wenn er sich zu einem großen Schlag zusammenrafft. Unser Freund Borck, wie ich ihn kenne, wird sich nicht lange bequemen, den Triumphwagen seiner Frau zu ziehen. Leistet er nicht bald etwas, wodurch er ihren Ruhm überstrahlt, wie der Jupiter da oben seine Nachbargestirne, so dürfen Sie sicher sein, dass er sich für all die Liebe und Anbetung, in die sie ihn einwickelt, noch grausam rächen wird.
Rächen für Liebe und Anbetung! sagte ich entsetzt.
Ach, bester Herr Ewers, war die Antwort, glauben Sie mir, es gibt kein Verbrechen, worauf eine härtere Strafe steht als auf diesen beiden.
Solche Reden, die mich an Kuno Schüttes böse Ahnungen erinnerten, gaben mir in der Stille zu denken.
Gustav war augenscheinlich sehr verliebt in seine Frau, noch mehr als in den ersten Zeiten ihrer Ehe. Man sah es an den trunkenen Mienen, mit denen er jeder Bewegung ihrer biegsamen Gestalt folgte, an den Blicken, die sie heimlich tauschten. Es herrschte eine tropische Lust um dieses glücklich genießende Paar, die den Eintretenden bis auf die Knochen sengte. Wenn ich des Abends aufbrach, schien es, als warteten sie nur den Augenblick des Alleinseins ab, um sich mit bacchantischem Jubel in die Arme zu stürzen. So war es in Luzern noch nicht gewesen, von seiner Seite nicht. Seitdem hatte die Leidenschaft ihn mächtiger hingerissen. Zugleich aber hatte sich auch der Zwiespalt in seiner Natur, der schon damals vorhanden war, vertieft. Eine verhaltene Unruhe ließ ihn des gefundenen Glücks nicht innerlich froh werden. Es war, als ob er es nur mit schlechtem Gewissen genösse.
Er ist so reizbar, klagte mir Selma.
Ich kannte das ja von früher her, aber jetzt war es ein dauernder Zustand geworden. Oft ging es durch seine Reden wie ein Ton der Erbitterung gegen die Frau, die ihm diente, und man konnte sich sagen, dass dieser Ton unter vier Augen mitunter noch schärfer klingen mochte. Selma suchte sich auf heitere Weise damit abzufinden.
Ich möchte eine Preisfrage ausschreiben, sagte sie einmal. Warum sind Liebende so gehässig? Sagen Sie mir’s, Unkas, wenn Sie es verstehen.
Ich fürchte, ich weiß zuwenig von der Liebe um mitzureden, antwortete ich. Als Siebzehnjähriger habe ich eine um sieben Jahre ältere Verwandte in ehrfürchtiger Anbetung geliebt und wurde von ihr ausgelacht. Dann verliebte ich mich in ihre zehn Jahre jüngere Schwester mit derselben ehrfürchtigen Anbetung und mit demselben Erfolg, und das gleiche Gefühl hatte ich jedes Mal, wenn ich mich wieder verliebte. Ich begreife nicht, wie Liebe gehässig sein kann.
Lass ihn, er versteht nichts von der Liebe, sagte Gustav. Die amerikanischen Männer haben Fischblut. Die Liebe ist grausam und muss es sein. Quälen, Qualen erleiden, das ist ihre Wollust. Warum versengt Eros Psyches Flügel mit der Fackel? Warum verfolgt der wilde Jäger im Pinienwald von Ravenna ohne Rast die nackte Jungfrau und reißt ihr das Herz aus der Brust? Das ist Liebe.
Quäle mich, mein Eros, sagte sie, jage mich, wilder Jäger, ich will es nicht anders.
Die beiden Hausfreunde waren auch wieder anwesend und begegneten sich mit kühler Höflichkeit, aus der die gegenseitige Abneigung sprach.
Dieser Berka ist auch kein Glück für unsern Borck, sagte mir Ruhland offen, als wir uns allein fanden. Seine Art von Witz trocknet Herz und Leber aus, die Sonne verliert an Glanz, wenn er sie ansieht. Und haben Sie bemerkt, wie er unter dem Tisch heimlich ins Merkbuch schreibt? Die Reporterseele. Es ist für den Fall, dass Borck später ein berühmter Mann wird, um gleich mit Gustav-Borck-Erinnerungen aufzuwarten. An Borcks Stelle würde ich ihn an die Luft setzen. Aber ihm kommt die Schmarotzerpflanze gelegen, weil er den Abstand von ihm zu sich genießen kann. Es ist Zeit, dass eine Freundeshand ihn rüttelt und ihm die Ziele weist, die ihm zu entgleiten drohen. Und Sie, Herr Ewers, sind der Nächste dazu.
Ich versprach’s. Aber als ich mich nur von weitem und mit Vorsicht der Frage näherte, da war es, als ob man ein übervolles Gefäß angestoßen hätte, und es brach aus dem Armen hervor wie ein lange angesammelter, unerträglich gewordener Schmerz!
Nicht ich verlasse meine Ziele, sagte er, sie verlassen mich! Seit meiner Heirat ist es so. Die glückliche Liebe verträgt sich nicht mit der Kunst, wenigstens nicht mit der tragischen. Wer stark sein will, der bleibe allein. Du fragtest mich einmal in Luzern: Was hast du deiner Frau vorzuwerfen? – Nichts, nichts, als dass sie mir die Götter vertrieben hat. Nein, nicht sie , die Arme, versteh’ mich recht, nicht ihre Person, es ist die Ehe, das ständige Zusammensein mit einem anderen Wesen, was die starken Gesichte nicht aufkommen lässt, die Gemeinsamkeit des Lebens. Aus meiner ärmlichen Studentenbude im Türmchen des irren Dichters, wo ich manchen Tag ohne Essen saß, da kamen die Götter zu mir. Hier in dem schönen Studierzimmer, das alle bewundern, fliegt mich nur das Geringwertige an.
Nichts Geringwertiges, beschwichtigte ich. Etwas Geringwertiges wirst du niemals machen. Nur ist es nicht das, was du selber von dir forderst.
Lass es gut sein, antwortete er. Es bedarf keiner Beschönigung. Meinst du, ich wüsste nicht, was unser allweiser Ruhland gestern Abend über mich zu dir geredet hat, als ihr zusammen wegginget? Es ist mir, als wäre ich dabeigewesen. Und er hat ja recht, ganz recht. Das sind wahrhaftig keine Adlerflüge, was auch Freund Berka sagen mag. Es ist überhaupt kein Fliegen, nur ein Flattern mit gebundenen Schwingen. Aber was soll ich denn machen? Mit zusammengelegten Händen sitzen und warten, bis eine große Eingebung sich meiner bemächtigen will und mich unterdessen von meiner Frau ernähren lassen? So bin ich wenigstens ein fleißiger Arbeiter geworden. Ich sitze meine Stunden am Schreibtisch gewissenhaft ab wie ein Beamter und beschreibe unendliche Stöße von Papier. Davon wandert dann freilich die größere Hälfte in den Ofen und die andere – du hast es ja gesehen – die taugt auch nicht viel.
Es war der strahlendste Apriltag, wir gingen in den frischbelaubten Anlagen gegen Kannstatt hin. Durch die dichten Zweige der Kastanien fielen die Jubeltöne der Amsel herunter, die roten Blütenkerzen leuchteten, und hier verzweifelte einer, weil er zu glücklich war.
Wenn du wieder einmal die Blätter der Trilogie hervorholtest, warf ich ein, und dich in die Stimmung vom Hölderlinsturm zu versenken suchtest?
Er lachte bitter.
Wenn ich meine alten Blätter hervorhole, so sieht mich ein Stoß Papier mit schwarzen Buchstaben an. Das ist alles. Aber die Gesichte, die uns viere damals berauschten, wo sind die? Fort, fort, verflogen!
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