Wir lernten einen glänzenden, römisch gebildeten Arminius kennen, der den Römern unverdächtig ist, weil ihn nicht nur die hohe Auszeichnung des römischen Bürgerrechts und der römischen Ritterwürde, die ihm allein vor allen Barbarenfürsten verliehen ist, sondern mehr noch die eigene Anlage über sein Volk hinausgehoben und den Überwindern zugesellt hat. Aber als langjähriger Lagergenosse des Tiberius hat er von den Römern nicht nur die Kriegskunst gelernt, sondern auch die Kunst des Beobachtens und Abwartens, des leisen Auftretens und des harten Anpackens. Und das Römertum klebt ihm nicht auf der Haut wie seinem Bruder Flavius, der den Dienst bei den fremden Herrn als Ehre empfindet, es ist nur ein Mantel, der auch abgeworfen werden kann. Wird der junge Held ihn abwerfen? Diese Frage stellten die ersten Szenen in beklemmender Spannung auf. Zu der römischen Verführung hatte der Dichter noch eine andere Macht hemmend in seinen Weg gestellt: die Liebe. Segestes, der Römerknecht, durchschaut allein den Zwiespalt in der Brust des Jünglings, und um ihn fügsam zu erhalten, hat er ihm die herrliche Tochter anverlobt, aber die Hochzeit dem Ungeduldigen unter immer neuen Vorwänden verschoben. Für einen Augenblick scheint das Schicksal von Thuiskoland an der Dünne eines Frauenhaares zu schweben. Denn schon zieht Varus über den Rhein, und seine ersten Botschaften, die wie Befehle klingen, enthüllen dem Cheruskerfürsten die Absichten Roms und die Rolle, die ihm selbst als Vollstrecker zugeteilt ist. Und hier beginnt seine entschlossene Umkehr zu den heimischen Altären. Doch der Held will nicht zwischen der Liebe und der Freiheit wählen, sondern beide besitzen. Aus ihrer väterlichen Burg an der Weser raubt er mit kühnem Handstreich die Braut und feiert seine Hochzeit mit ihr, während im Nachbarland die ersten Flammen der brennenden Dörfer aufprasseln, die Varus bei seinem Durchgang im Rücken lässt. Flüchtende Weiber und Kinder, der Rauch geplünderter Siedelungen kündet sein Kommen an. Der junge Fürst verbirgt seinen Zorn in tiefster Seele und verschließt den Hilferufen der Seinen das Ohr; als Freund zieht er dem Römerfeldherrn entgegen, der gleichfalls unter dem Deckmantel der Freundschaft kommt, um, von Segestes gerufen, die ewigen Grenzhändel der deutschen Stämme friedlich zu schlichten. Darüber sind auch dem Nachbarkönig Marbod die Augen aufgegangen, er sendet heimlich Boten, um den Sinn des Cheruskers zu erforschen. Dieser aber hält sie mit halben Worten in der Schwebe, denn schon wälzt er in der verschlossenen Brust Entwürfe, die keinen Marbod zum Mitwisser wollen. Mit dem Erscheinen eines spukhaften alten Weibleins, halb Seherin, halb Norne, das dem Helden einen Stab mit alten Runenzeichen überreicht, endigte der erste Teil, der nur ein kurzes Vorspiel darstellte.
Breit und mächtig, vielleicht nur allzu breit, war das zweite Stück, die Varusschlacht, angelegt. Die Handlung begann mit römischer Schwelgerei im Sommerlager des Varus, den seine ersten Worte als beschränkten, selbstgefälligen, in sein Römertum blind verliebten Gecken zeigten. Ohne einen Tropfen Soldatenblut im Leib und mit einer lächerlichen Juristenader behaftet, die ihn treibt, aus dem Schein des Gerichthaltens und Händelschlichtens Ernst zu machen. Die Unterwerfung Germaniens, die das römische Schwert begonnen hat, soll nach seiner Meinung das römische Recht vollenden. Mit Todesurteilen und entehrenden Strafen sucht er die Freigeborenen heim, schamlose Erpressung geht nebenher. Wie das Volk beschaffen ist, in dessen Mitte er sich niederlässt, wie es denkt und empfindet, danach fragt er nicht, wenn es nur die Steuern zahlt, die er ihm auferlegt. Vergeblich warnt Segestes, dem das dumpfe Grollen der Unterdrückten nicht entgeht, Varus verschließt ihm das Ohr, denn neben dem verblendeten Prokonsul steht als sein Schicksal Arminius, der den Leichtherzigen, Sorglosen, ganz vom römischen Geist Erfüllten um so glücklicher spielt, als er nur darzustellen braucht, was er einmal in Wirklichkeit gewesen. Aus dem getäuschten Vertrauen ist ihm der wütende unversöhnliche Hass herausgewachsen. Mit raschen, leichten Schritten einer Tigerkatze umgeht er sein künftiges Opfer. Er bestärkt den Römer in jeder Maßregel, durch die er sich noch verhaßter machen kann, und während Varus seine Ränke spinnt, ist er selber schon von einem viel gefährlicheren Gespinst umstrickt. Die Cherusker, die er für halbe Tiere hält, umdrängen ihn mit gespielter Wildeneinfalt und tragen ihm erdichtete Händel vor, über deren Schlichtung er seine Feldherrnpflichten versäumt. Die knifflichsten Rechtslagen werden mit einem wahrhaft diabolischen Humor erörtert, wobei dem Dichter seine Kenntnis des Corpus juris zu statten kam, und der Spruch lautet jedes Mal für Kläger und Beklagte: Zahlen! Arminius aber dankt für die Mühewaltung und preist die Weisheit römischer Rechtspflege, die jetzt Streitigkeiten schiedlich beilegt, für die es sonst nur den Austrag durch die Waffen gab.
Verwandelt sind die Menschen, seit du kamst,
Sie lernen Ordnung und Gesetz verehren,
Des Friedens pflegen. Und nicht sie allein:
Verwandelt selbst ist die Natur, mein Land
Erkenn’ ich kaum, so milde Lüfte wehen,
So herrlich reift die Ernte unsrer Sichel.
Italiens Himmel brachtest du mit dir,
Die ältsten Leute in Cheruska sahen
Solch einen Sommer nie. Walhalla lächelt,
Weil Romas Götter unsre Gäste sind,
Und für die Menschen tagt ein neues Leben.
Und Varus, der an Verbindlichkeiten nicht zurückstehen will:
Sind denn die Cherusker Menschen? fragt er.
Nichts Menschenähnliches seh’ ich an ihnen
Als Stimm’ und Antlitz, und auch diese kaum,
So hässlich ist ihr Wuchs und ungeschlacht.
Ihr Gang braucht gleich des halben Heerwegs Breite.
Ein Taumeln ist’s, kein Geh’n. – Sprichst du sie an,
Wie Klötze stieren sie minutenlang,
Eh’ sich der träge Geist zur Antwort sammelt,
Und Dunst von Meth umweht sie wo sie stehen.
Das sollen Menschen sein!
Dann seh’ ich dich,
Armin, den Roma liebt, und frage mich,
Ob du Cherusker bist.
ArminWohl bin ich’s, Varus!
VarusDu bist es nicht. Wie wär’ dein Fuß so leicht? Wie wär’ dein Geist so rasch, dass er das Wort Versteht, bevor die Lippen es gesprochen?
ArminDie Edlen unsres Volks erlernen früh Den Waffentanz: durch aufgesteckte Schwerter Die Leiber werfen mit verweg’nem Schwung, Da heißt es flink und doch behutsam sein, Das bildet mit dem Körper auch den Witz. Dann üben wir die Kunst – ’s ist unsre einzige – Im vollen Rosseslaufe abzuspringen, Zu Fuße, Speere werfend, Schritt zu halten Und wieder aufzuspringen nach Bedarf.
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